Elduria - Runa oder das Erwachen. Norbert Wibben

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Elduria - Runa oder das Erwachen - Norbert Wibben Elduria

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nichts von eurem sicher köstlichen Bier«, begann der Junge. »Aber wir möchten euch ein Geschäft vorschlagen.«

      »Ich kann mir vorstellen, dass hier oft viel zu tun ist«, fuhr Katie gekonnt fort. »Wäre es da nicht angebracht, eine zuverlässige Hilfskraft zu haben?« Sie blickte die Wirtin fragend an und deutete dann auf Runa. Die hatte sich bisher zu wehren versucht und erstarrte augenblicklich, als sie das hörte. Sie vermutete, »verkaufen« könnte sich tatsächlich auf sie beziehen! Um die Kleidungsstücke ging es jedenfalls nicht! Die Wirtsfrau kam hinter dem Tresen hervor und schlug sich das Tuch über die Schulter, mit dem sie bis soeben die Platte saubergewischt hatte. Sie stemmte beide Fäuste in die Seiten und blickte wirklich grimmig.

      »Ich weiß nicht, worauf ihr hinauswollt. Ich beschäftige eine Köchin, die fürs Essen zuständig ist. Und hier im Gastraum gibt es bereits genug Helfer. – Es ist hoffentlich nicht das, was ich vermute!«

      Sofort war Katie verunsichert.

      »Es könnte sein, dass wir uns missverständlich ausgedrückt haben. Wir wissen natürlich, was die Gesetzestexte in Merion sagen. – Verschiedenster Handel ist erlaubt, aber Menschenhandel wird mit vielen Jahren Haft im Verlies bestraft.«

      »Richtig!«, sprang ihr der Junge bei. »Doch darum geht es nicht. Wir stammen wie unsere kleine Schwester aus Elduria. Dort sind derartige Gesetze unbekannt.«

      »Wir befinden uns aber nicht in eurem Landesteil. Für jeden, der sich hier aufhält, gelten diese Vorschriften. Also auch für euch.«

      »Wir verstehen uns immer noch nicht richtig«, begann Katie mit zitternder Stimme. Sie fürchtete sich vor der resoluten Wirtin. »Wir suchen in Merion Arbeit, da unsere Eltern gestorben sind und wir daheim keine passende Stelle finden. Das ist insbesondere für junge Kinder, wie das Schwesterchen hier, schwierig. Wir hatten gehofft, dass es hier gebraucht werden würde. Das hat nichts mit Menschenhandel zu tun. Sie ist im Moment von der Reise geschwächt, sonst aber sehr kräftig. Ich will sagen, sobald sie etwas zu futtern kriegt …« Weiter kam Katie nicht, da die Wirtin einen Schritt auf sie zugemacht hatte. Sie ließ sofort die erschrockene Runa los und war bis zur Eingangstür zurückgewichen. Ihr Freund wollte dagegen noch nicht kampflos aufgeben.

      »Wir lassen sie hier und kommen in zwei Wochen wieder. Solltet ihr dann mit ihr zufrieden sein …«

      »RAUS!«, brüllte die Wirtin, was sofort befolgt wurde. Sollte das auch für Runa gelten? Offenbar schon, denn die Frau herrschte anschließend auch sie an. »Hast du mich nicht verstanden? Los, sieh zu, dass du deinen Geschwistern hinterherkommst. Ich sehe nicht ein, dich durchzufüttern!«

      Runa konnte es nicht fassen, stand aber trotzig an der Stelle, wo Katie sie stehengelassen hatte. Außerdem schmerzten die Füße derart, dass sie meinte, bei der kleinsten Bewegung aufschreien zu müssen.

      »Das … sind nicht … Sie haben mich überfallen … und mitgeschleppt«, stotterte das Mädchen mit kaum hörbarem Stimmchen. Es räusperte sich und fuhr dann etwas fester fort. »Ich suche Paia, meine Amme. Wir wohnen im Wald. Sie wurde gestern von Männern verschleppt.« Sofort flossen die Tränen erneut über das inzwischen schmutzige, kleine Gesicht. Die riesigen, dunkelblauen Augen richtete es auf die Wirtin, zitterte heftig und kippte plötzlich um.

      Runa wachte in einem Bett auf. Es war kein richtiges mit Holzgestell und Federbett, wie sie es aus dem Haus im Wald kannte. Nein, es war lediglich ein mit duftigem Heu gefüllter Leinensack. Aber nach der vergeblichen Suche und der langen Wanderung kam es dem Kind wie das Paradies vor.

      »Ich heiße Kaytlin und bin die Wirtin vom »Fuchs und Gans««, stellte sich die Frau vor, die offenbar an ihrem Lager gewacht hatte. »Und wer bist du?«

      »Hör auf zu träumen«, wird Runa durch den Knecht des Gasthauses aus ihren Gedanken gerissen. »Wenn du nicht willst, dass du heute kein Abendessen bekommst, solltest du zusehen, mit dem Kartoffelschälen fertig zu werden.«

      Erschrocken fährt das für sein Alter kleine Mädchen zu dem Sprecher herum. Es weiß nicht, wie es den Jungen einordnen soll. Er wirkt oft mürrisch, manchmal aber auch freundlich. Er ist etwa gleichalt, heißt Dragon und hilft überall im Wirtshaus. Manches Mal springt er an ihre Seite, um beim Tragen schwerer Dinge zu helfen. Das führt hin und wieder dazu, dass er sie in seiner Hast anrempelt. Das wirkt so, als ob er nicht genau abschätzen könne, wie schnell er agieren sollte. Woher er stammt, hat sie bisher nicht erfahren können. Sein Lächeln erstarrt zu einer Grimasse, sobald sie ihn in dieser Richtung auszufragen beginnt. Sofort läuft ihr dann ein Schauer über den Rücken. Welches Geheimnis umgibt ihn? Sie vermutet, er könne wie sie durch irgendeinen seltsamen Zufall in dem Wirtshaus gelandet sein.

      Dragon war bereits hier, als das Mädchen verkauft werden sollte. Runas rechte Hand wandert unbewusst zu ihrem linken Unterarm. Sie spürt dort ein Gefühl der Wärme und ein feines Kribbeln, sobald der Junge sie mit seinen hellbraunen Augen fixiert. Deshalb umfasst sie jetzt den Arm mit ihrer anderen Hand.

      Runa besitzt dort eine Art Brandmal, das unter dem Ärmel verborgen ist. Es ähnelt einem großen S, könnte aber auch eine Schlange sein. Sie überlegt, seit wann sie sich an das Mal erinnert. Wie konnte es dorthin gelangt sein? Sollte sie sich an einer Pfanne oder einem Topfrand verbrannt haben? Doch dann wäre sicher kein »S« das Ergebnis gewesen. Ein Halbmond oder ein gerader Strich sind eher zu erwarten, aber ein derart zweifach gebogenes Mal?

      In einem Alter von zehn Jahren beginnt für die Kinder in Merion die Zeit der Ausbildung. Je nachdem, welchen Beruf sie lernen, haben sie unterschiedlich schwere Zeiträume vor sich. Runa befindet sich im dritten Lehrjahr zur Hilfsköchin. Sie hat sich soeben noch erinnert, wie sie in das Gasthaus »Fuchs und Gans« gekommen war, bis sie aus ihren Erinnerungen gerissen wurde. Warum diese Szenen heute in ihr Bewusstsein drängen, versteht sie nicht. Sie hat seit ihrer Ankunft in dem Gasthaus nur wenig an ihr voriges Leben und die Amme gedacht.

      Seitdem sind mittlerweile sieben Jahre vergangen. Weshalb hat sie damals die Suche nach Paia aufgegeben? Dass das der verkürzte Name ihrer Amme gewesen ist, ist ihr inzwischen klar. Manchmal grübelt sie darüber, warum Atropaia sie hin und wieder Runa S genannt hat. In diesem Land haben die Kinder nur einen Vornamen. Lediglich diejenigen von höher gestellten Familien tragen zusätzlich einen Familiennamen. Doch »S« kann kaum eine Bezeichnung …

      »RUNA!« Die Stimme von Pulmoria ruft sie zur Ordnung. »Die Kartoffeln schälen sich nicht von allein.« Mehr braucht die dicke Köchin nicht zu sagen. Das Mädchen schimpft gedanklich mit sich selbst.

      »Du dumme Göre! Der Korb ist noch voll und die ersten Gäste werden bald nach dem weithin gepriesenen, guten Essen verlangen.«

      Das Wirtshaus »Fuchs und Gans« wird von vielen Landarbeitern besucht. Jedenfalls von denen, die sicherstellen wollen, etwas Genießbares zwischen die Zähne zu bekommen. Es ist nicht so, dass deren Frauen nicht mit den Kochkünsten Pulmorias mithalten könnten, sie sind einfach noch nicht verheiratet.

      Runa hat in den vergangenen zwei Lehrjahren vieles bei der Köchin abgeschaut, trotzdem glaubt sie nicht, jemals derart gut schmeckende Speisen zubereiten zu können. Kartoffelschälen, Gemüse putzen und andere vorbereitende Arbeiten gelingen ihr inzwischen recht ordentlich und schnell, wenn sie nicht träumt. Zu den Aufgaben einer Hilfsköchin gehört es auch, die benötigten Zutaten aus der Vorratskammer oder dem Keller zu holen. Das ist eine Tätigkeit, vor der sie stets zurückscheut. Das in dem dumpfen Gewölbe herumkrabbelnde Getier ruft heftigen Ekel in ihr hervor. Aber nicht nur diese Tiere, ob mit Fell und langem Schwanz, oder achtbeinig mit traubenförmigen Augen, leben dort. Manches Mal meint sie ein lautes Fauchen zu hören und gleich darauf schlägt ihr warme Luft entgegen. Sollte im Keller ein Drache auf sie warten? Gesehen hat sie ihn noch nie, aber

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