Elduria - Runa oder das Erwachen. Norbert Wibben

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Elduria - Runa oder das Erwachen - Norbert Wibben Elduria

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hat von Pulmoria den Auftrag bekommen, auf dem Markt frisches Gemüse und möglichst ein oder zwei Bund rote Zwiebeln zu kaufen. Die Köchin will für das Mittagessen ein bei den Gästen des Wirtshauses beliebtes Gericht bereiten. Was es ist, hat sie dem Mädchen nicht verraten, obwohl dieses etwas ahnt. Mit dem großen Korb am Arm läuft es Richtung Zentrum des Örtchens. Es beeilt sich, weil die Luft noch kühl und die Sonne soeben erst aufgegangen ist. Runa weiß aus Erfahrung, mit Bewegung wird ihr schnell warm werden. Die Straße führt nicht besonders steil den Hügel hinab, trotzdem wird sie den Weg zum Markt leichter hinter sich bringen. Auf dem Rückweg wird sie dagegen nicht mehr hüpfend unterwegs sein, was nicht nur an dem dann gefüllten Korb liegen wird.

      Runa erinnert sich plötzlich an den Morgen, an dem sie vor sieben Jahren kaum in der Lage war, dem Straßenverlauf nach Homarket zu folgen, obwohl die größte Strecke hangabwärts verlief. Lediglich das letzte Stück führte wieder aufwärts. Heute wird sie sich nicht so quälen müssen. Sie wischt die Erinnerung fort und wirft einen Blick in die Runde. Runa findet diese Region mit der hügeligen Landschaft heimelig. Sie wirkt ganz anders als das Waldgebiet, in dem Paias Häuschen steht. Dort ist für die ersten Jahre ihre Heimat gewesen. Das Haus steht auf einer großen Lichtung, doch der umliegende Wald erschien ihr seltsam bedrohlich. Das lag nicht an den Bäumen an sich, sondern mehr an den unbekannten Geräuschen, die daraus zu ihr herüberklangen. Dass der dichte Forst einen nicht zu verachtenden Schutz für sie und ihre Amme bot, wird sie noch verstehen lernen. Im Nachhinein wundert sie sich, dort nie ungezwungen mit fremden Kindern in Kontakt gekommen zu sein.

      Es ist nicht so, dass sie in Homarket viel Zeit ohne Arbeit verbringen konnte. Bevor sie ihre Ausbildung zur Hilfsköchin begann, musste sie von morgens bis abends Tätigkeiten im Haus verrichten. Sollte sie damit fertig gewesen sein, und draußen herrschte noch einigermaßen helles Licht, durfte sie mit anderen Kindern spielen. Doch das war eher selten der Fall. Außerdem rümpften die Mädchen der Nachbarschaft gerne ihre Nasen, sobald Runa in ihre Nähe kam. Es lag keinesfalls daran, dass sie sich nicht wusch oder schmutzige Kleidung trug, sie war sauberer als die meisten von ihnen. Nein, der Grund war einfach, dass sie arbeiten musste, um im Wirtshaus geduldet zu werden. Die Nachbarkinder konnten dagegen von früh bis spät spielen. Ihr Arbeitsleben begann erst, als sie das zehnte Lebensjahr vollendet hatten.

      Da Runa sozusagen nichts anderes kennengelernt hatte, war sie über die wenigen arbeitsfreien Momente froh. Dazu zählte sie auch die Aufgabe, Besorgungen auf dem Markt zu erledigen. Genaugenommen hatte sie dabei nicht frei, doch ihre für den Einkauf benötigte Zeit ließ sich nur grob kontrollieren. Deshalb rannte sie meistens auf dem Weg den Hügel hinab, obwohl sie damit Gefahr lief, zu stolpern. Mit zwölf Jahren geschah das zwar nicht so schnell wie mit fünf, aber es ist nicht unmöglich. Und genau das passiert jetzt.

      Runas Kopf fährt nach links, als aus einer Seitenstraße lautes Kreischen zu ihr herüberschallt. Sie wendet ihren Blick dorthin. Befindet sich ein Mädchen in Gefahr? So hört es sich jedenfalls an. Ihre suchenden Augen entdecken ein kleineres Kind, das mit von sich gestreckter Hand auf etwas deutet. Das ist der Augenblick, in dem Runa völlig unerwartet ins Straucheln gerät. Hätte sie nach vorn geschaut, wären ihr die ausgestreckten Beine eines Bettlers aufgefallen, der in zerlumpter Kleidung am Straßenrand sitzt. Dessen erboster Ausruf mischt sich mit ihrem kurzen Wehklagen, denn sie ist mit den Knien aufgeschlagen.

      »Kannst du nicht aufpassen, wohin du trittst? Dummes Balg!«

      Runa reibt sich die Knie. Es sieht nicht so aus, dass sie sich etwas gebrochen hat, und die Haut ist zum Glück auch nicht abgeschürft. Der leichte Schmerz der Prellung wird vermutlich bald vergessen sein.

      »Entschuldigung. Ich war abgelenkt.« Sie richtet sich auf. »Kann ich helfen?« Sie hat das erbettelte Geld bemerkt, das um den Almosensammler herum verstreut liegt. Sofort beginnt sie, es aufzulesen.

      »Untersteh‘ dich, davon etwas zu behalten!«

      Runa blickt zweifelnd zum Bettler. Sie ist überzeugt, die Stimme bereits einmal gehört zu haben. Wie zur Bestätigung kriechen einige Strähnen von kupferroten Haaren unter einem schäbigen Tuch hervor, das um den Kopf geschlungen ist.

      Im ersten Moment will sie erbost erwidern: »Wieso sollte ich dir Geld klauen, Katie? Du hast es sicher unter falschem Anschein erbettelt. Oder konntest du ein Kind verkaufen?« Doch das verkneift sie sich. Es ist offensichtlich, die inzwischen junge Frau hat sie nicht wiedererkannt. Da ist es besser, es bleibt so. Anstatt weiterzusuchen, wirft sie Katie die aufgeklaubten Geldstücke in den Schoß.

      »Ich könnte genauso gut sagen, du bist selbst schuld! Warum setzt du dich auch an diese Stelle, an der viele Leute vorbeimüssen?«

      Der Kopf der Bettlerin ruckt in die Höhe. Sollte sie Runa trotz ihres inzwischen veränderten Äußeren doch erkannt haben? Nein. Es ist vielmehr so, dass sie nicht mit dieser Entgegnung gerechnet hat. Ihre Augen schleudern Blitze, aber sie zögert, sich zu erheben. Dann würde den Umstehenden klar werden, dass ihre lahmen Beine nur vorgetäuscht sind. Stattdessen versucht sie, mit einer der zwei Krücken nach dem Mädchen zu schlagen. Doch das weicht geschickt aus und hebt seelenruhig seinen Korb auf. Dann geht es langsam einige Schritte zurück. Runa beachtet die am Boden Sitzende nicht mehr, sondern läuft in die Straße hinein, aus der das Kreischen erklungen war. Sie hofft, dass ihre Hilfe dort willkommener ist.

      Inzwischen stehen drei Knaben neben dem Mädchen, das vorhin so heftig geschrien hat. Sie reden auf das Kind ein, das nur wenige Jahre jünger als Runa zu sein scheint. Ihre geringere Körpergröße deutet jedenfalls darauf hin. Doch es lässt sich offenbar nicht beruhigen.

      »Nein, das ist ein Drache. Macht ihn tot!«

      »Die gibt es aber nicht!«

      »Und wenn, müsste er riesengroß sein.«

      »Flügel sind auch nicht zu sehen. – Das kann kein Lindwurm sein.«

      »Das ist egal!«, beharrt die Kleine. »Macht ihn tot! Schlagt mit einem Stock drauf.«

      Jetzt mischt sich Runa ein. An manchen Abenden hat sie in Büchern gelesen, die sie aus der kleinen Sammlung der Wirtin ausleihen durfte.

      »Wenn du meinst, ein Drache wäre mit einem Stock zu erschlagen, dann versuche es nur selbst. Denke aber daran, dass diese Wesen Feuer spucken können. Sollte der Lindwurm deine Absicht bemerken, wird er dir eine Feuersbrunst entgegenschleudern. Falls wir Pech haben, könnte er aus Rache vermutlich anschließend den gesamten Ort zerstören und auch uns töten. Willst du das?«

      Weit aufgerissene Augen starren sie an.

      »Aber …«, das Kind schluckt heftig, »… ich habe Angst!«

      »Das kann ich verstehen. Ich fürchte mich auch manchmal. Besonders dann, wenn ich unerwartet einem gruselig aussehenden Tier begegne. Findest du diese Eidechse denn beängstigend?«

      Das Kind nickt heftig.

      »Es ist genau genommen eine Zauneidechse«, erklärt einer der Jungen. »Wenn man sie zu fangen versucht und erwischt sie am Schwanz, werfen sie den ab. Das machen sie, um ihr Leben zu retten. Sollte ein Vogel sie dort packen, können sie immer noch fortlaufen.«

      Das kleinere Mädchen blickt erstaunt.

      »Holt sie sich das Hinterteil später wieder, oder was geschieht damit?«

      »Nein, das bleibt für immer ab. Die Eidechse benötigt anschließend viel Energie, um einen neuen Schwanz wachsen zu lassen. Aber das passiert.«

      Das Kind hüpft aufgeregt und klatscht in die

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