Hinter Der Bühne. Wolf Wrobel

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Hinter Der Bühne - Wolf Wrobel

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nur den Bus zur „Arbeit“ besteigt. Sich nicht mehr herausreden zu müssen, wenn man gefragt wird, was man denn „gerade so macht“. Die beste Ausflucht ist: „Ich bin Schauspieler.“ Damit hofft man, dass die Sache gegessen und man vom Antworten erlöst sei. Mit „Ich bin Musicaldarsteller“ wertet man sich leider ab, da tatsächlich viele Menschen nicht nur in unserem Metier denken, ein Musicaldarsteller sei kein richtiger Sänger – Tänzer eigentlich auch nicht und Schauspieler erst recht nicht. Er kann von Allem ein bisschen, aber Nichts richtig! So haben wir Musicaldarsteller durch Casting Agenturen und Auditions einen Stempel und eingebauten Minderwertigkeitskomplex verpasst bekommen.

      Dann kommt aber noch: „Und wo spielen sie zur Zeit?“ Jetzt bleibt einem nichts weiter übrig als „Ach, momentan bin ich gerade frei!“, oder „Mal dies, mal das, nichts Festes!“ Peinlich.

      Das Schlimmste aber ist, dass jeder, der einen kennt, feststellt, wie sehr man sich verändert hat. Wie sehr man gealtert ist und wie wenig Freude man noch ausstrahlt. Und wenn selbst die eigene Freundin nicht mehr weiss, wie sie mit einem umgehen soll, dann wird es Zeit Konsequenzen zu ziehen!

      Meine Laune und mein Leben hatte sich gewaltig geändert – dieses Mal ausnahmsweise zum Positiven – als ich die Entscheidung traf zu kündigen. Eine Felswand krachte von meinen Schultern. Eigentlich fiel sie erst gerade eben, denn meine Kündigung ist im Moment durch das Faxgerät gelaufen. Es tut gut, wieder aufrecht gehen zu können.

      Dabei wurde angekündigt, dass auch diesen Monat die Überweisungen leider wieder zu spät sein werden, mit dem Anhang einer Entschuldigung der Buchhaltung. Als ob das noch nie vorgekommen wäre.

      Man kann sich auf nichts verlassen. Vor allem nicht auf Dinge, die einem Vorteile brächten. Man fühlt sich wie in einem schlechten Alptraum. So frei nach dem Motto: „Welcome to FANTASY MUSICAL PRODUCTIONS, where your worst dreams come true, and even some you haven‘t thought of!“ Wenn man denkt, schlimmer kann es ja nicht kommen, hat man sich getäuscht; es kommt garantiert noch schlimmer. Aber Respekt, bisher war die Spannbreite schon enorm. Und schließlich ist man nur noch damit beschäftigt, mental am Leben zu bleiben und einen Weg zu finden, aus dem Schlamassel herauszukommen.

      So etwas sollte nicht wieder passieren und alle, die einen neuen, viel versprechenden Job in Aussicht haben, sollten sich im Klaren sein, worauf sie sich einlassen. Zumindest soweit sie das erkennen können. Aber Erfahrung und Erlebnisse schulen. Und es gibt immer gewisse Anzeichen, wenn etwas schief läuft. Dann, genau dann, sollte man seine Ohren spitzen und seinen bisher ungehörten sechsten Sinn belauschen. Wie ging es eigentlich los?

      Gute Aussicht, schwacher Start

      Ein Anfänger.

      Gerade mal zwei große Theaterproduktionen („Gypsy“ und „30 60 90° Durchgehend geöffnet“) hinter mich gebracht, schlitterte ich in diese Produktion.

      Noch arbeitete ich am Theater des Westens in Berlin, dem TdW. Ein wunderbares Haus, in dem ich von einer tollen Belegschaft unglaublich viel lernte. Man arbeitete in einer Familie, die sich durch alle Abteilungen zog. Viele der Kollegen, sowie das Orchester waren fest am Haus engagiert. Und wenn man in das Stück und in die Familie passte, wurde man auch als Gast in die nächste Produktion übernommen. Als staatlich subventioniertes Theater spielten wir im TdW ca. alle 3 Monate ein neues Stück. Meistens vollkommen neue Produktionen oder auch deutschsprachige Premieren in 6 Vorstellungen pro Woche. Für einen Darsteller, ein Traum und Luxus pur. Kein Fabrikgefühl das nach 8 Vorstellungen pro Woche oft aufkommt, da man mit einem freien Tag in der Woche, dem Montag, nicht wirklich zu viel zu gebrauchen ist.

      Vielfältigkeit, gute Bezahlung und Organisation, eine tolle Stimmung im Haus, mit den „ganz Großen“ zusammenarbeiten und von ihnen lernen, sind alles Dinge, die man erst richtig zu schätzen weiss, wenn man es einmal anders erlebt hat. Und so nahm das Theater des Westens unter der Leitung von Helmut Baumann mehr, oder weniger eine Inselstellung in Deutschland ein. Das Finden und Sammeln neuer Talente, Ausprobieren neuer Stücke, ohne das klassische Musical Genre zu vernachlässigen. Viel Risiko mit ebenso viel Liebe zum Detail. Etwas, wonach man heute leider in dieser Größenordnung vergebens sucht. Ich sehe es, obwohl ich leider nur so kurz (1997-1998) dabei war, immer noch als mein „zu Hause“ an.

      Aber als Musicaldarsteller müssen wir uns leider, sobald wir das neue Engagemant haben, schon um das nächste kümmern. Wir informieren uns, was es Neues gibt, wann und wo die Auditions sind und bewerben uns. Mit Lebenslauf und Photo und hoffen darauf, eingeladen zu werden.

      Wir trainierten damals im TdW während „30 60 90° Durchgehend geöffnet“ jeden Tag. Im Stück gab es eine „Gang“, die einen Waschsalon unsicher machte. Zusätzlich zu Gesang und Tanz kümmerten sich so zwei Stuntmen speziell um uns Gangmitglieder. Wir trainierten mit ihnen Kämpfen, Fallen, Schlagen, Akrobatik und die Arbeit mit richtigen Waffen, wie Butterfly Messer, Totschläger, Wurfsterne, … Mit anderen Worten: Wir waren gut im Training und ziemlich hart im Nehmen. Ich weiss nicht wie ich auf die damals nahe Zukunft reagiert hätte, wäre ich frisch von der Schule da hineingerutscht.

      Die erste Audition für „Herr der Ringe“ in Berlin war am 16. April 1998. Die Ankündigung einer Weltpremiere und vor allem einer Weltpremiere „Der Herr der Ringe“ lockte viele Darsteller in den Ballettsaal der damals leerstehenden Freien Volksbühne. Unglaublich viele. Wir konnten deswegen beim Lernen der Tanzkombinationen kaum etwas sehen. Man musste sich entweder nach vorne kämpfen um etwas zu erspähen, oder gross sein, oder flink taktisch in Bewegung bleiben, um von einer Sichtlücke zur nächsten zu springen. Und ein verdammt rutschiger Boden machte dabei das Tanzen zur höchst interessanten Herausforderung.

      Die Choreographin war streng, wusste was sie wollte und teilte auch schon mal das eine oder andere harte Wort aus. Hart sein ist o.k., persönlich verletzend dagegen nicht. Wir bekamen den Eindruck, sie suche Fonteyns und Baryshnikovs. Aber wer ist das schon. Eine ganze Menge Darsteller gingen nach dem Tanzen verbittert und genervt nach Hause, da sie glaubten, schlecht behandelt worden zu sein.

      Auch die Sänger litten, denn sie mussten lange, bis zu 6 Stunden warten. Gleich ob mit, oder ohne Termin.

      Die Auditions in Wien, Köln und Hamburg verliefen ähnlich, obwohl der Musical-Buschfunk, der sehr schnell funktioniert, meldete, es sei inzwischen gemäßigter. Darsteller kamen aus England, Irland, Österreich, Australien und sogar aus den USA und das, obgleich sie den Flug auch selbst bezahlen mussten, nur um sich für diese Produktion vorzustellen. Und dennoch, so etwas spricht sich per eben diesem Musical-Buschfunk schnell herum, hatten sie noch nicht viele Darsteller gefunden.

      Dann folgten die Callbacks. Das war um den 30. April 1998.

      Und wer daraufhin ein Angebot bekam, und sei es „nur“ für das Ensemble, wurde unter Kollegen mit Bewunderung bedacht. „Du kannst Dir was darauf einbilden, wenn Du den Job nach diesen Auditions bekommen hast“. Und das haben wir, die es geschafft haben, uns dann auch ein wenig. Doch wer hätte das nicht. Man fühlt sich schon etwas privilegiert, wenn man durch ein hartes Auswahlverfahren läuft und in Konkurrenz mit vielen hundert anderen bestehen kann.

      Am 21. Mai 1998 erhielt ich endlich meinen Vertrag. Genauer gesagt, die Einverständniserklärung, was wohl in Amerika einem Vorvertrag entsprechen soll. Die angebotene Gage war nicht berauschend, Handeln war auch nicht drin. Bis die eigentlichen Verträge kamen, bedurfte es noch vieler Telefonate und noch mehr Geduld. Aber wir waren alle guter Dinge und voll Vertrauen.

      An das Warten hätten wir uns besser jetzt schon gewöhnen sollen.

      Seltsamerweise hatte ich kein gutes Gefühl, als ich erfuhr, dass ich den Job habe. Eher so ein eigenartiges Ziehen im Bauch, das sich nur schwer erklären lässt.

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