Hinter Der Bühne. Wolf Wrobel
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Unsere Naivität war groß, der Enthusiasmus riesig und unser rechtliches Verständnis nicht annähernd marginal entwickelt. Von Geld konnten wir uns nicht leiten lassen, denn die finanziellen Aussichten waren nicht rosig, aber wir hätten davon leben können. Man musste sich eben ein wenig einschränken. Die Versprechung: „Wir wollen nicht dieselben Fehler wie Space Dream machen, (ein Musical, das in der Freien Volksbühne zuvor kläglich scheiterte) daher sind wir zu Anfang mit der Bezahlung etwas bescheidener, doch sobald es läuft, können wir für alle vertretbar mit der Gage raufgehen. Hoffentlich“.
Doch wegen der Gage hatte keiner dieses Engagement angenommen. Der Hunger nach etwas Neuem, der Wille etwas Einzigartiges zu schaffen, raus aus dem 8 Vorstellungen pro Woche Brei der großen Stella Produktionen – das war es, was uns antrieb.
Künstler sind ja so einfach zu durchschauen. Ködere sie einfach mit ihrer Lieblingsspeise Kreativität, dann musst Du ihnen auch nichts bezahlen.
Das ist fast, aber leider nicht ganz richtig. Wir üben einen Beruf aus, der uns mit Leidenschaft Spass macht und unser Leben ausfüllt. Ich gehe nicht um 18 Uhr nach Hause und kann abschalten. Ein Künstler arbeitet mit sich selbst. Und in mir arbeitet es weiter. Ich müsste mich um 18 Uhr selbst vor die Tür hängen, um vor mir Ruhe zu haben. Es macht Spass. So viel Spass, dass ich manchmal gefragt werde, was ich denn tagsüber, also hauptberuflich machen würde. Beim ersten Mal war ich regelrecht sprachlos. Es gibt tatsächlich Menschen, die sich unseren Beruf nicht als richtigen Beruf vorstellen können. „Lern was vernünftiges!“ stimmt. Auch ein Künstler muss seine Miete bezahlen. Manche können es, manche vergessen über ihre Begeisterung hinaus allerdings, dass sie es auch müssen.
Noch nie hatte ich ein so talentiertes Ensemble gesehen. Alle Darsteller wollten sich vollkommen auf dieses neue Projekt konzentrieren. Und es hatte alles so viel versprechend geklungen:
„Der Herr der Ringe“ als Musical. Ein gewagtes Unterfangen, das, gut geplant, grandios sein konnte. Und das Ganze sollte auch noch in einem Zelt stattfinden. Fantastisch! Etwas Neues auf die Beine zu stellen und eine neue Produktion mit zu kreieren ist weitaus attraktiver, als viel Geld zu verdienen.
Mit großem Idealismus, beträchtlicher Energie und letztendlich einer gehörigen Portion Naivität, haben wir uns alle „‘rangeschmissen“ und diesen Vertrag unterschrieben. Die meisten von uns sogar, ohne ihn richtig zu lesen und prüfen zu lassen! Und das sollte nicht ohne Folgen bleiben.
Der Produzent
Der Geschäftsführer einer unabhängigen Finanzconsulting Gesellschaft. Ein Investor und Finanzier von Pharma-Parks. Dies war sein erster Ausflug in die schönen Künste.
Es begann, wie eigentlich alles in Deutschland geschäftlich beginnt: Auf Mallorca.
Ein verschuldeter Schweizer Opernliebhaber bittet seinen Nachbarn, denn beide haben ein Haus auf Mallorca, um Hilfe. Er bräuchte ein wenig mehr Geld für ein sehr viel versprechendes Projekt in Deutschland mit einem österreichischen Autor. „Aha“, denkt sich der Nachbar, „Du hast ja schon Schulden bei mir, was kann das dann wohl sein?“ „Ein Musical soll das werden“ meint der Opernliebhaber. In diesem Moment kommt die Frau des Nachbarn herein. „Was, ein Musical? Ich liebe Musicals …“ Und so nimmt alles seinen Lauf.
So muss es nicht, aber so kann es gewesen sein. Der Nachbar übernimmt seiner Frau zu Liebe die Finanzierung ohne jegliche Ahnung vom Theater zu haben. Dafür bleibt ja der Opernliebhaber, der das eigentlich allein machen wollte. Aber so ist es auch nicht schlecht.
Der Komponist und Regisseur
Ein früherer Deutsch- und Musiklehrer aus Wien. Er hatte schon ein paar Musicals geschrieben, die aber mehr oder weniger in der Versenkung verschwanden. Eines wurde in einem Puff in Wien aufgeführt, noch ein Weihnachtsstück und eines, das aber erstmal zurückgestellt wurde, da der Namenspartner „Space Dream“ in Berlin gefloppt war.
Ja, er hatte mit „Herr der Ringe“ auch wirklich ein paar nette Melodien zustande gebracht, die allerdings in unseren Augen schließlich durch ein fatales Arrangement das letzte bisschen Besonderheit und jeglichen Drive einbüßten. Schmissige Shownummern – ja, es gab wirklich eine – wurden so zu belanglosen Fiddel-Songs.
Er hatte die Choreographin damals in Wien kennengelernt und für sein Projekt erwärmt. Er wollte sie als Choreographin und Regisseurin. Darum bat er sie jedenfalls und erläuterte ihr sehr bildhaft seine Vision. Das hat er wohl ziemlich gut gemacht, denn sie erwiederte, wenn er so genaue Vorstellungen habe, solle er doch selbst die Regie übernehmen. Sie meinte allerdings wohl mit ihrer Hilfe. Das hatte ihm anscheinend so gut getan, dass er sofort auch der Meinung war, allein die Regie übernehmen zu können.
Die einzelnen szenischen Proben waren von Beginn an sehr langsam, ungenau und nicht besonders vertrauenerweckend. Und eines war sehr deutlich. Er hatte keine blasse Ahnung von Regie, Schauspiel, oder Theater. Auch eine „Vision“ konnte das nicht wettmachen. Er sprach „Vision“ im Englischen immer wie „Wision“ aus. Auf Deutsch: „Uischn“. Das Englisch des österreichischen Deutsch- und Musiklehrers war eher vermeidenswert. Kundige zuckten zusammen. Jede Rolle wurde einem mit kindlichen Grimassen und enormen körperlichen Verrenkungen „vorgespielt“, wie man sie sich vorzustellen hat. Und natürlich auch, wie man sie spielen soll. Für unsere Englisch sprachigen Kollegen: „You have to makin' it like siss way!“
Aber wir dachten trotzdem, das wird hoffentlich noch. Er war wirklich interessiert. Allerdings eher an den Darstellerinnen, vor allem den Akrobatinnen, als an den Szenen. Einige stellten deswegen nach diversen Telefonanrufen vorsorglich ihre Mailbox an.
Immerhin bekamen wir einen Zettel mit den Eigenschaften der Rollen. Das Wissen über den „Herr der Ringe“ hatte er und mit ein wenig Neid muss ich ihm auch zugestehen, dass es eine ganz schöne Leistung ist, so ein Projekt auf die Beine zu stellen. Mit welchen Mitteln, sei dahin gestellt.
Er hatte eine sehr prägnante Eigenheit fremde Ideen, nach einer Zeit von ein paar Wochen bis einem Monat, voller Stolz und Überzeugung als die seinen zu präsentieren, die ihm gerade eingefallen waren: Beispielsweise das Stück in einem Zelt spielen zu lassen.
So eine Eigenheit verlässt einen wohl ein Lebtag lang nicht.
Der Enthusiasmus der Darsteller nahm inzwischen ständig ab, da jeder früher oder später feststellte, mit was für einem Dilettanten wir es zu tun hatten. Aber er war immerhin ein guter Blender. Und je länger es dauerte, um so größer wurde seine Leidenschaft für die Macht, die er sich mit Hilfe der Geschäftsleitung selbst gab. Ein Wiener Bekannter, der Licht Designer der Produktion, erhielt in der Probenzeit für ein paar Tage tagsüber sogar Zeltverbot. Widerspruch wird eben nicht geduldet. Ich denke, schließlich glaubte er wirklich Gott zu sein. Ob Gott wohl eine Brille trägt und nie zum Friseur geht?
Man hörte oft Äußerungen wie: „… Wenn sie nicht tut was ich sage, dann feuere ich sie eben …“
Es schien ihm Spaß zu machen. Und so hatte er auch keinen Sinn für Objektivität. Er glaubte allen Ernstes, es werde ein großer Erfolg werden. Wurde es leider nicht.
Aber eigentlich, so er selbst später, war er ja gar nicht daran schuld. Wir haben aufrichtiges Mitleid und erteilen keine Absolution, denn es war natürlich die Mafia! Ganz klar!
Ein