Hinter Der Bühne. Wolf Wrobel
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Mehr und mehr wurde er zu Gollum.
Die Choreographin
Eine tolle Frau aus New York und als Gillian Lynne‘s Assistentin und frühere Ballettmeisterin und Choreographin am Theater des Westens für das Staging aller „Phantom der Oper“-Produktionen in den USA zuständig. Sie erhoffte sich sicherlich den Durchbruch mit dieser Produktion.
Die Choreographien, unorganisch und altertümlich – über Geschmack kann man streiten – waren gesetzt und relativ genau. Die Assistenten gaben sich die größte Mühe alles auf einen Nenner zu bringen. Details würden dann schließlich im Zelt gearbeitet.
Sie hatte in den ersten Wochen noch versucht bei den szenischen Arbeiten des Regisseurs einzugreifen, gab dann aber leider wohl aus persönlichen Differenzen klein bei und ließ ihn gewähren. Man kann sagen: Konfliktscheu. Obwohl es später ziemlich „gekracht“ haben muss, denn er verbot ihr für ein paar Tage die Teilnahme an den Proben. So hatte man dann nicht einmal mehr jemanden, der etwas von Theater verstand und Szenen ändern konnte. Sie hatte verständlicherweise aber wahrscheinlich auch nicht mehr den Willen, wirklich Verantwortung zu übernehmen. Sie verließ uns nach der Premiere und war bestimmt froh, endlich fort zu sein.
Die Probenzeit
Der erste Probentag Tag war der 31. August 1998. Wir wurden mit einem T-Shirt auf unserem Stuhl – damals durfte sich jeder noch einen aussuchen – einer Mappe mit Info-Material und einem Notizblock mit dem Logo bedacht. Das Logo war zweifellos sehr schön und hatte wahrscheinlich auch eine Stange Geld gekostet. Es wurde angeblich von einem der Top-Airbrushkünstler Englands entworfen. Bei so vielen Superlativen stumpft man irgendwann ab.
Ein T-Shirt von einer Produktion ist eine schöne Sache. Schön war auch, dass auf der Rückseite ein Aufdruck mit der Tickethotline zu sehen war. Damals war der Premierentermin laut Vertrag noch für den 5. November vorgesehen. „Bitte tragt es bei dem Fototermin morgen.“ Ich hätte mir bereits etwas denken können, dass es damals schon mit einer besonders „persönlichen“ Behandlung anfing. „Jeder muss morgen sein T-Shirt tragen …, dass es keiner vergisst!“
Begrüßung mit gegenseitigem Kennenlernen in der Freien Volksbühne und damit war der Tag fast wieder gelaufen. Aber schon gab es die erste Überraschung: Die musikalische Leitung lag nicht mehr in den Händen von Cameron Macintoshs Assistentin, sondern in bisher unbekannten neuen.
Ein wenig gesungen haben wir dann auch. Eine Stimmenaufteilung wurde gemacht; wobei der neue Musikalische Leiter plötzlich feststellte, dass es bei den Herren eigentlich nur Tenöre gab. So bat er einige Herren sich zu opfern und die Baritonstimmen zu übernehmen, die für einen Tenor ziemlich tief waren. Bei den Damen war das nicht viel anders.
Die erste Woche verbrachten wir damit, die musikalischen Nummern zu proben. Danach fing jeder Tag mit einem Tanz- und Vokal-Aufwärmen an; in den ersten Wochen übten wir sogar besondere Gangarten der verschiedenen Wesen. Wie gehen Orks, Zwerge, Elben und Hobbits? Die Hobbits waren auf jeden Fall am bequemsten. Ein wenig den Hintern herausgeschoben, die Brust raus und leicht getrippelt, das war‘s. So ähnlich wie ein Entengang. Solche Einzelheiten machten uns Glauben, dass alles gut vorbereitet war. Sie wurden nur nicht fortgeführt.
Das Bizarre war, dass in den ersten Wochen jeder zum täglichen Aufwärmen kommen musste, egal ob man direkt darauf eine Probe hatte, oder erst später am Tag. Es wurde nach hitzigen Auseinandersetzungen mit einer eigentlich recht plausiblen Erklärung begründet: „Wir wollen ein Gemeinschaftsgefühl und damit ein Ensemble schaffen“.
Witzig daran ist, dass also anfangs mit allen Mitteln versucht wurde ein „Gemeinschaftsgefühl“ durchzusetzen. Auch mit Verwarnungen, für die der Stage Manager verantwortlich zeichnete. Später allerdings wurde es entweder völlig über Bord geworfen, oder im genauen Gegensatz dazu gehandelt.
Zusammenfassend kann man sagen, dass sich alle Innovativität nach der ersten Woche erschöpfte. Das wurde schlagartig klar, als es an die ersten szenischen Proben ging.
„Everything will be different in the tent!“ und das ist die „Italian Version“, oder die „German Version“, hieß es von der Choreographin alle Nase lang und so wurde auch gearbeitet. Keiner wusste, was das genau hieß. Erst wurde alles im Ballettsaal ausprobiert und dafür gesetzt (the English Version), dann wurde es für die Bühne der freien Volksbühne geändert (the Italian Version) und schließlich musste es noch einmal geändert werden, da ja das Zelt völlig anders sein wird, aber wie genau weiß eigentlich auch keiner (the German Version). Ohne richtige Requisiten, Kostüme, … probten wir insgesamt bis Mitte November. Eine imaginäre Arbeit ohne gleichen!
Imaginär war dann auch das September-Gehalt, das einfach nicht eintraf. Große Diskussion, Gerüchte. Wir hatten ja auch ein paar gebrannte Kinder von „Space Dream“ dabei und die stellten sich, was wir anderen Frischlinge anfangs nicht verstanden, bei jeder Ungereimtheit und derartigen Ereignissen quer. So wurde uns sogar nach einiger Zeit und Diskussion gestattet, ungeahndet, weil das Geld immer noch nicht da war, einen Tag mit den Proben auszusetzen. Was wir auch taten. Die Choreographin, der Regisseur und der musikalische Leiter verfassten damals sogar einen Brief an den Produzenten uns doch bitte zu bezahlen, damit wir weiter arbeiten könnten. Sie wurden auch nicht bezahlt. Beim Regisseur bin ich mir allerdings nicht so sicher.
Das Gehalt kam doch noch. Jedoch verspätet. Extrem verspätet! Am 8. Oktober. Und schließlich auch der Grund weshalb: Erst wurde versichert, das Geld sei schon auf dem Weg: „… Hier sind die Belege …“ Am nächsten Tag sagte man uns dann endlich die Wahrheit: „… Das Geld konnte doch nicht überwiesen werden, da die Konten eingefroren sind … (Hust!)“ Schön, nicht?
Aber warum waren plötzlich Konten eingefroren? Hier der Grund:
Das Zelt sollte in Berlin in der Oranienburger Straße auf einer freien Fläche neben dem Tacheles aufgebaut werden. Und man sollte meinen, dass bei 1 1/2 jähriger Planung, dem Probenbeginn im September und der Premiere im November alles Bürokratische bereits abgehandelt sei. Doch weit gefehlt. Aus der Zeitung erfuhren wir, dass die Bauge-nehmigung für das Zelt nicht erteilt wurde. 3 Wochen nach Probenbeginn.
„… Ach, es ist wirklich blöd, naja, die mündliche Zusage hatten wir doch schon … aber wegen des Regierungswechsels … und da haben wir eigentlich den Senat hinter uns …, der uns übrigens eine extra Frist gegeben hat und auch für uns besonders schnell reagieren will …“.
Nun leben Banken ja auch nicht hinter dem Mond, vor allem nicht in politisch-finanziellen Dingen. Und so hatte diese Bank davon gehört, dass ihre Investition keine Baugenehmigung hat. Und daraufhin wurden erstmal ein paar Konten bis zur Klärung der Umstände eingefroren.
Das Zelt von der Oranienburger Strasse
Im Zelt
Ja, das Zelt wurde noch gebaut. Die Baugenehmigung gab es dann doch. Und zwar mit den Auflagen einer Begrenzung der Zuschauerzahl von 1800 auf 1500, einer Lautstärkenbegrenzung und einem definitiven Ende um 22.00 Uhr. Das musste wegen der Anwohner