Hinter Der Bühne. Wolf Wrobel
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Weil einmal der Computer für den Ticketverkauf abgestürzt war, musste die erste Vorstellung später anfangen. Und das kam nicht nur einmal vor. Wie kriegt man dann das Einhalten des knapp kalkulierten 22.00 Uhr Schluss-Termins hin? Man beginnt die zweite Show einfach früher. Und das heißt, die Pause zwischen den Shows wird auf ein Minimum reduziert. Im Klartext für die Darsteller: Weil man sich nach einer Show Ab- und für die folgende wieder aufschminken muss, hat man dann eventuell gerade noch Zeit für eine Zigarette. Schon muss man wieder auf die Bühne. Eine minimale Pause wird zu einer nicht existenten.
Die weiteren Verzögerungen waren darauf zurückzuführen, dass die italienische Firma, die das Zelt konstruiert und gebaut hatte, nicht oder nicht ganz bezahlt wurde. Und die haben sich natürlich gesagt:
Kein Geld, kein Zelt!
Das reimt sich! Nicht, dass alles was sich reimt, gut ist.
Aber, wie gesagt, es kam ja doch noch und unser erster Probentag im Zelt war Samstag, der 14. November. In vorherigen Absprachen wurde versprochen, dass die Heizung ab dem 12. November installiert sei, es Verpflegung und Garderoben gäbe.
Am 5. November hätte eigentlich Premiere sein sollen und der 14. November war schon eine Katastrophe:
Im offenen Zelt ohne Heizung, ohne fließendes Wasser, geheizte Toiletten. Es gab einen Toilettenwagen, der draußen für alle offen stand, dessen Tür übrigens auch. Von „Catering“, oder Kantine ganz zu schweigen. Man konnte den eigenen Atem sehen, was über die Temperatur und diverse Körperfunktionen enormen Aufschluss gibt. Auf einer eiskalten Baustelle ohne Helm zu arbeiten, den allerdings jeder Techniker trägt, während über allen Köpfen versucht wird, schwere Stahlgerüste für Scheinwerfer unter dem Zeltdach zu verankern ist ein Erlebnis, das man sich wirklich entgehen lassen sollte, wenn man nicht dazu gezwungen wird.
Eine Probe konnte nicht wirklich stattfinden, und so wurden wir bald wieder nach Hause geschickt. Aber immerhin war der Schein gewahrt. Zwei Tage darauf bot sich dasselbe Bild mit derselben Reaktion. Der erste richtige Probentag war schließlich Dienstag, der 17. November. Nicht, dass sich viel an den Bedingungen geändert hatte. Nein, die waren ungefähr dieselben, aber wir mussten proben, da uns die Zeit davonlief. Und das wurde von der Geschäftsführung auch effektvoll als Druckmittel eingesetzt. Ob die Bedingungen legal oder illegal waren, war ihnen nicht wichtig. Beschwichtigung und „Versprechen der Besserung“ als Hinhaltetaktik.
In medias res:
Es gab einen Tisch auf der Bühne, der eigentlich nur ein einziges Mal benutzt wurde. Stimmt nicht; na gut, doch zweimal. Das zweite Mal war im Finale, dessen Daseinsberechtigung wohl niemand außer dem Regisseur verstand und selbst da war sich keiner wirklich sicher.
Dieser Tisch war eigentlich eine Hebebühne, die sehr langsam und mit viel Getöse ca. 2 Meter hochfahren konnte und sonst mit dem Boden abschloss, so dass nur noch ein kleiner Spalt zu sehen war, der allerdings ausreichte, um unauf-merksame Tänzer zum Stolpern zu bringen.
So probten wir dann. Auch mit dem Tisch. Vor allem eine Nummer: Das Finale. Den „Ring der Macht“, der das Aus-hängeschild der Produktion darstellen sollte. Verhandlungen wegen einer CD-Aufnahme mit Michael Bolton … Krach … und schließlich sollte Angelo Branduardi der Sänger sein, von dem man aber dann nichts mehr hörte – von der CD-Aufnahme allerdings lange auch nicht.
Gegen Ende der Produktion liefen aber plötzlich Mitschnitte aus der Show im Foyer. Niemand wusste zuerst davon, da zur Pause und nach der Show alle beim Umziehen waren. Es war wieder einmal unangekündigt. Welche Überraschung. Noch ein wenig später erfuhren wir dann, dass davon auch eine CD gepresst wurde. Aber natürlich „nur zu Promotionszwecken“.
Zurück zum „Ring der Macht“: In diesem recht erfrischenden Staging sollten drei Zauberer aus verschiedenen Richtun-gen „höchst dramatisch“ auf den Tisch hinzu schreiten und mit ihm die zwei Meter in die Höhe fahren. Es ergab eine sehr eigene Klangkulisse, zusätzlich zur Musik. So ein beunruhigendes Brummen und Zischen. Aber es wurde ja auch mit „spektakulären Spezialeffekten“ geworben.
Wir probten natürlich auch eine zweite Version des Finales, da am 21. November, also 4 Tage später, ein Promotion-Auftritt beim „Gesicht ’98“ einer Model-Casting Veranstaltung, in unserem Zelt anstand. Die eigentliche Änderung bestand darin, dass statt der drei Zauberer, Rosie Hüttinger, die Hauptdarstellerin, während sie sang, auf diesem Tisch gen Fantasy-Himmel gefahren werden sollte, was zugegebenermaßen sogar ein wenig spektakulär wirkte.
Nun wurde uns allerdings am Samstag, dem 21. November gesagt, wir dürften den Tisch nicht benutzen, da er bei der TÜV-Abnahme am Vortag leider vergessen worden sei. Der aufmerksame Leser sollte hier schon stutzen. Es wurde also auf einem Gerät geprobt, das noch nicht vom TÜV abgenommen war. Das wäre ja eigentlich nicht so schlimm gewesen, wenn wir am nächsten Tag, einem Sonntag, nicht schon wieder lustig auf dem Tisch weiter geprobt hätten. Meine Frage an das Stage Management und die Company Managerin ob inzwischen der Tisch abgenommen sei, wurde relativ hektisch mit einem „natürlich“ quittiert. Das sei alles erledigt, keine Sorge!
Hmmm … keine Sorge?
Der TÜV ist eine deutsche Organisation. Wie kommt es dann, dass an einem Samstagabend bei einer Veranstaltung nicht darauf gespielt werden durfte, allerdings am Morgen darauf gegen 10 Uhr, an einem Sonntag, im deutschen Berlin, der Tisch plötzlich abgenommen war? Die Wege des TÜV sind wohl unergründlich. Sehr fleißige Leute arbeiten da. Überstunden, wo es nur geht.
Aber es gab auch positive Ereignisse während der Proben. Nicht viele, aber das Highlight war ein unglaublich großer, mit viel Liebe ausgestatteter „Care-Korb“ komplett mit Tee- und Kaffeekannen, Schokolade, Vitamintabletten und Bonbons, Obst, Keksen und allem, was das müde, durchfrorene Herz eines „Zelt-Sklaven“ brauchte. Und natürlich kam es nicht von der Produktion, sondern von der Freundin eines unserer Hauptdarsteller. Marion rettete uns an diesem Tag das Leben.
Ensemble-Uneinigkeiten
Ein Ensemble von 30 Künstlern kann sehr viel Einfluss haben. Im positiven Sinne. Aber nur unter einer Voraussetzung: Es muss zusammenhalten. Wir haben das natürlich nicht getan. Oder nur sehr begrenzt.
Es kamen nicht alle zu Ensembletreffen, um wichtige Entscheidungen zu fällen und es gab ein verbreitetes, scheinbares Desinteresse an solchen Entscheidungen. Man will sich damit nicht herumschlagen, es ist nervig, kostet Zeit, die man viel besser im Café verbringen kann und es kommt ja sowieso nichts dabei heraus. Jedoch mehrten sich die Stimmen, die den Regisseur und die Produktionsleitung immer weniger ertragen konnten.
Selbstverständlich gab es Leute, die Angst davor hatten, zusammen und geschlossen positiven Druck auszuüben. Genauso gab es einzelne, die ihre eigenen Interessen verfolgten, anstatt die der anderen wahrzunehmen. Macht ist ein sehr gefährliches Instrument. Und viele, die lernen es zu spielen, legen es schließlich sehr ungern aus der Hand.
An alle Darsteller:
Zu Euerem Schutz und dem Eures Arbeitgebers. Haltet zusammen, wählt vertrauenswürdige, diplomatisch begabte Ensemblesprecher. Und vor allem: Besorgt Euch einen rechtlichen Berater! Am besten einen Rechtsanwalt. Ja, ich weiß, das klingt hart, aber wenn man seine Rechte kennt, auch seine Pflichten und die besonderen Bedingungen und Umstände, die nur ein Rechtsanwalt kennen kann, lebt man um einiges sicherer und, vor allem anderen, bewusster und sorgenfreier.
Künstler wollen mit so