Seerosenzauber. Heidi Oehlmann
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Ich kann meinem Großvater ansehen, dass er mir nicht glaubt, doch er sagt nichts. Er kennt mich eben gut genug und weiß, wie sinnlos es ist, mich in die Enge zu treiben.
»Wo ist Waldi?«, frage ich, um vom Thema abzulenken.
»Ich schätze, in seinem Körbchen.«
Ich nicke wissend.
»Warst du mit ihm draußen?«, erkundige ich mich.
»Ja.«
Ich weiß, dass die beiden nur vor der Tür waren. Wenn Waldi nicht gerade in der Küche ist, um zu fressen, schläft er am liebsten. Der Dackel ist mit seinen elf Jahren nicht mehr der Jüngste und das zeigt er auch. Früher konnte ich mit ihm stundenlang spazieren gehen. Inzwischen bin ich froh, ihn überhaupt nach draußen zu bekommen, damit er sein Geschäft verrichtet. Ab und zu lässt er sich zu einer winzigen Gassirunde überreden, aber nur, wenn die Bedingungen stimmen. Es darf nicht regnen oder zu kalt sein.
»Ich springe schnell unter die Dusche«, sage ich und haste die Treppe nach oben.
»Gut, ich mache uns Frühstück«, ruft mein Opa mir hinterher.
Normalerweise hat er den Tisch bereits gedeckt, wenn ich vom Joggen zurück bin. Das hat sich im Laufe der Zeit so ergeben. Früher hatte meine Oma das Frühstück für uns gemacht. Nach ihrem Tod habe ich es eine Weile übernommen. Doch irgendwann hat mein Opa sich der Sache angenommen. Er meint, ich hätte genug zu tun und er bräuchte auch ein paar Aufgaben. Also überließ ich es ihm. Im Grunde bin ich über jede Kleinigkeit froh, die er mir abnimmt. Inzwischen ist er mit seinen 79 Jahren nicht mehr der Jüngste. Leider macht sich das immer häufiger bemerkbar. In den letzten Jahren ist er ziemlich vergesslich geworden.
Ich habe schon mehrfach versucht, ihn zum Arzt zu schleppen, aber er weigert sich konsequent. In dem Punkt ist mein Opa August stur, wie ein Maulesel. Er meint, dass alles kommt, wie es kommen muss und die Menschen früher auch nicht wegen jeder Kleinigkeit zum Arzt gegangen sind.
Meine Argumentation interessiert ihn nicht. Obwohl es sinnlos ist, gebe ich nicht auf und versuche, ihn in regelmäßigen Abständen zu einem Arztbesuch zu überreden.
***
»Ich muss los«, sage ich erschrocken, als ich einen Blick auf meine Armbanduhr werfe. In einer halben Stunde muss ich auf der Arbeit sein. Da das Restaurant auf der anderen Seite der Stadt liegt, wird es knapp, rechtzeitig zu meiner Schicht anzukommen.
Beim Thema Pünktlichkeit versteht der Küchenchef keinen Spaß. Er ist generell ein humorloser Mensch. Seit ich ihn kenne, habe ich ihn noch nie lächeln sehen. Wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht, ob er dazu überhaupt in der Lage ist. Dafür ist Schreien eine Disziplin, die er perfekt beherrscht. Er brüllt jeden in seiner Küche an, selbst um jemandem etwas mitzuteilen. Als ich in dem Laden anfing, war der Umgang viel herzlicher. Der ehemalige Chef Bill wurde niemals laut, sogar wenn jemand den größten Mist gebaut hatte, blieb er ruhig. Mit ihm zu arbeiten hatte mir immer Spaß gemacht. Deshalb war ich glücklich, dass er mich nach der Lehre als Köchin eingestellt hatte.
Leider ist er vor einem Jahr in Rente gegangen. Ich hätte den Laden gerne übernommen. Nur fehlte mir das nötige Kleingeld, um ihm alles abzukaufen. Also musste er sich nach einem anderen Käufer umsehen. Es gab nicht allzu viele Interessenten. Am Ende war Bill froh, als Eduard auftauchte und das Restaurant übernahm. Mit ihm wechselte nicht nur der Name von Bills Gasthaus in Eduards. Auch die Küche änderte sich von einer bodenständigen in eine gehobene.
Obwohl Eduard so ein Griesgram ist, lieben die Gäste seine Kochkünste. Von seinem ersten Tag an war das Restaurant besser besucht als bei Bill.
Erst vermutete ich, die Leute würden aus Neugier kommen. Vielleicht taten sie es auch, aber da der Ansturm bis heute so geblieben ist, muss es an der Küche liegen.
Selbst der angrenzende Saal ist dauerhaft ausgebucht. Die Leute feiern dort Geburtstage, Hochzeiten und Jubiläen. So weit ich zurückdenke, kann ich mich nicht daran erinnern, dass es unter Bills Herrschaft jemals so gewesen war. Wenn es zwei Buchungen im Monat gab, war es schon viel.
Mittlerweile wird der Saal sogar wochentags gebucht. Das gab es früher nie.
Ich erhebe mich, verpasse meinem Opa einen Kuss auf die Wange und stürze aus dem Haus. Zum Glück läuft mein Wagen wieder, sodass ich nicht auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen bin.
In der letzten Woche stand mein kleines in die Jahre gekommenes Auto in der Werkstatt und ich verbrachte viel Zeit an Bushaltestellen. Mein Arbeitsweg hatte wesentlich länger gedauert. Gefühlt gibt es Hunderte von Haltestellen, die der Busfahrer von einem Ende der Stadt bis zum anderen Ende ansteuert. Auch das Einkaufen war anstrengend. Nicht nur, weil die Bushaltestelle ein Stück vom Supermarkt entfernt ist. Es ist auch gewöhnungsbedürftig, die Einkäufe mit sich rumschleppen zu müssen, statt sie einfach auf dem Supermarktparkplatz in den Kofferraum zu räumen und sie vor der Haustür wieder rauszuholen.
Der KFZ-Mechaniker hatte mir mitgeteilt, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis mein Auto erneut liegen bleibt. Er hatte mir zuvor schon von einer Reparatur abgeraten. Aber der Kauf eines neuen Autos kostet Geld. Es würde meine Ersparnisse schmälern. Natürlich werde ich irgendwann ein anderes Auto anschaffen müssen. Spätestens, wenn ich selbstständig bin, brauche ich ein zuverlässiges Fahrzeug.
Wenn ich ehrlich bin, versuche ich die Neuanschaffung so lange hinauszuzögern, wie es geht, da es sich bei dem schrottreifen Gefährt um mein erstes Auto handelt. Ich habe es damals von meinen Großeltern geschenkt bekommen. Meine Oma hatte es hauptsächlich ausgesucht. Das macht mir die Trennung besonders schwer. Es ist, als würde ich einen Teil von ihr mit dem Fahrzeug zusammen weggeben.
Ich starte den Motor und bin erleichtert, als mein Wagen gleich beim ersten Versuch anspringt.
***
»Schön, dass du auch schon kommst!«, schreit mich Eduard an, als ich in Küchenmontur die Küche betrete.
Ich sage nichts. Immerhin hat meine Schicht vor fünf Minuten begonnen.
Dafür, dass auf den Straßen heute so viel los war, bin ich relativ gut durchgekommen. Hätte ich mich nicht noch umziehen müssen, wäre ich rechtzeitig in der Küche gewesen.
Am liebsten möchte ich Eduard für seine Kleinlichkeit in die Schranken weisen. Aber ich verkneife es mir. Eduard hat nicht nur seine Prinzipien, gleichzeitig fällt es ihm schwer, Kritik einzustecken.
Vor einigen Monaten beschwerte sich ein Gast. Er meinte, sein Fisch wäre noch roh. Statt sich bei ihm zu entschuldigen, diskutierte Eduard so lange mit ihm, bis er entnervt das Restaurant verließ. Als Köchin weiß ich, dass der Gargrad so gewollt war, aber ich verstehe auch, wenn Menschen ihren Fisch richtig durchgegart haben wollen. Geschmäcker sind eben verschieden.
Die meisten Kellner versuchen, die Kritik von unserem Küchenchef fernzuhalten. Das funktioniert allerdings nur so lange, wie der Gast keine Nachbesserung fordert. Wenn ein voller Teller zurück in die Küche gebracht wird, bekommt Eduard das mit. Er kann noch so beschäftigt sein, das entgeht ihm nie. Es ist fast, als hätte er ein Radar dafür, der anschlägt, sobald etwas nicht stimmt.
Ich stehe vor ihm und schaue betreten zu Boden.
»Was ist? Brauchst du eine Extraeinladung? Oder schaffst du es an deinen Arbeitsplatz?« Er