Seerosenzauber. Heidi Oehlmann
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Bevor der Betrieb richtig losgeht, müssen sämtliche Vorbereitungen getroffen werden. Das sind die Momente, in denen ich mir vorkomme, als wäre ich eine Küchenhilfe statt einer ausgebildeten Köchin. Wie jeden Tag liegt auf meinem Arbeitsplatz jede Menge Gemüse, das geschnippelt werden muss.
Neben mir steht mein Kollege John und ist dabei, Fisch zu filetieren.
Er schaut zu mir und nickt mir mitleidig zu, bevor er sich wieder seiner Arbeit widmet.
Wir trauen uns beide nicht, während der Arbeitszeit zu reden. Eduard sieht es überhaupt nicht gern, wenn in seiner Küche Privatgespräche stattfinden. Ein »Wie geht es dir?« ist ihm schon zu viel. Wenn seine Köche miteinander sprechen, dann darf es nur um berufliche Dinge gehen, dabei sollte möglichst laut geredet werden, damit der Küchenchef auch alles mitbekommt.
Private Gespräche müssen wir uns für die Pausen aufheben.
Das Arbeitsklima ist rau, wenn Eduard da ist. Und er ist so gut wie immer in der Küche. Er kommt vor uns und geht erst nach uns. Manchmal habe ich den Verdacht, er schläft hier. Vielleicht hat er in irgendeinem Regal einen Schlafsack versteckt, den er hervor holt, sobald wir weg sind. Anders kann ich mir nicht erklären, dass er fast täglich eine neue Kreation auffährt. Während des Kundenzulaufs kommt er kaum zum Experimentieren. Das geschieht immer nach Ladenschluss. Die Köche müssen am nächsten Tag vor Dienstbeginn seine neuesten Experimente bewerten. Manches ist wirklich sehr lecker, aber die meisten seiner Schöpfungen sind eher gewöhnungsbedürftig.
Durch meine Verspätung bin ich wohl um ein Urteil herumgekommen. Die anderen werden die Verkostung bereits hinter sich gebracht haben.
Normalerweise bin ich eine Viertelstunde vor Dienstantritt hier. Heute bin ich das erste Mal zu spät gekommen. Ich weiß nicht, warum ich die Zeit beim Frühstück aus den Augen verloren hatte. Vielleicht liegt es an dem Sturz, der mir von diesem arroganten Fremden beschert wurde.
»Maja!«, lässt mich eine laute Männerstimme an meinem Ohr zusammenzucken. Obwohl ich mir angewöhnt habe, in der Küche Ohrenstöpsel zu tragen, ist die Stimme des Küchenchefs immer noch deutlich genug, um mich zu erschrecken. Wenn ich mir nichts in die Ohren stecken würde, wäre ich längst taub. Den Tipp hat mir John gegeben. Er benutzt die Dinger seit dem zweiten Tag.
Ich drehe mich ruckartig um und sehe Eduard mit einem Teller vor mir stehen.
Am liebsten möchte ich ihn schütteln und ihn genauso ins Ohr schreien, wie er es bei mir gemacht hat. Nur wird es ihm nichts ausmachen. Er wird im Laufe der Zeit durch seine eigene Stimme taub geworden sein. Auf Dauer kann diese Schreierei niemand aushalten.
Ich setze ein gequältes Lächeln auf und starre auf den Teller. Darauf liegt …
Nun ja, was ist das eigentlich?
Zwischen zwei hellgrünen biskuitartigen Schichten befindet sich eine weiße Creme.
Eduard nickt mir aufmunternd zu. »Probier!«, fordert er mich lautstark auf.
Zaghaft greife ich nach dem quadratischen Etwas und schnüffele daran. Es fällt mir schwer, die Gerüche zuzuordnen.
Vorsichtig beiße ich ein Stück ab und kaue darauf herum. Das Grüne fühlt sich im Mund tatsächlich an wie Biskuit. Die weiße Masse ist zäh, wie Schmelzkäse ohne Schmelz und so schmeckt es auch.
Eduard schaut mich erwartungsvoll an.
Ich zwinge mich zu einem Lächeln und beiße noch ein Stück ohne die Creme ab. »Brokkoli?«, stelle ich fragend fest.
Eduard nickt mir aufmunternd zu.
»Ein Brokkoli-Biskuit mit Käse-Creme?«, rate ich.
Eduard klatscht freudig in die Hände. »Und?«, fragt er.
Ich überlege, wie ich ihm die Wahrheit möglichst schonend beibringen kann, ich darf nicht allzu viel Kritik ausüben.
»Na ja, das Biskuit ist angenehm im Mund. Der Geschmack ist …« Durch meinen Kopf rattern verschiedene Adjektive.
Abartig. Ekelhaft. Widerlich. Unnütz. Ungenießbar. Eigenartig. Merkwürdig.
Alle Adjektive klingen zu kritisch. Ich muss sie abmildern, ohne die Bedeutung aus den Augen zu verlieren.
Ungewohnt. Außergewöhnlich. Ungewöhnlich.
Eduard schaut mich immer noch fragend an.
Aus den Augenwinkel kann ich Johns mitleidigen Blick sehen.
Ich drehe meinen Kopf ein Stück weiter in seine Richtung. Meine Augen flehen ihn um Hilfe an.
Doch John deutet nur ein Kopfschütteln an.
»Exotisch«, rutscht es aus meinem Mund, bevor ich genauer darüber nachdenken kann. »Ein bisschen wie Brokkolikuchen. Und die Füllung schmeckt nach Schmelzkäse. Sie könnte noch etwas weicher sein«, wage ich zu sagen.
Eduard schaut mich nachdenklich an. »Exotisch? Brokkolikuchen? Weicher?«, murmelt er vor sich hin, allerdings so laut, dass es in der ganzen Küche zu hören ist.
Er dreht sich von mir weg und geht kopfschüttelnd zurück zu seinem Platz.
John grinst mich an. »Gut gemacht«, formt er mit seinem Mund, ohne auch nur einen Ton zu verlieren.
Ich zucke mit den Achseln und widme mich den Auberginen, die vor mir liegen und in Scheiben geschnitten werden wollen.
***
»Ernsthaft, Maja?«, fragt Maike leise lachend, nachdem John mein Testurteil zum Besten gegeben hat. »Exotisch?«
Wir stehen zu viert im Hinterhof und genießen unsere Verschnaufpause nach dem Mittagsansturm. Leider können nur zwei aus der Küche und zwei der Servicemitarbeiter gleichzeitig Pause machen. Ein Teil der Crew muss immer bereitstehen, weil vereinzelt Gäste kommen und Vorbereitungen getroffen werden müssen.
Meist verbringe ich meine Pausen mit John. Mit ihm verstehe ich mich von allen aus der Küche am besten. Heute sind Maike und Charlotte aus dem Service dabei.
»Was habt ihr denn gesagt?«, frage ich neugierig.
Charlotte ist anzusehen, wie unangenehm es ihr ist. Jeder weiß, was sie gesagt hat. Sie traut sich nie, ehrlich zu sein und sagt immer, es wäre gut.
Maike grinst. »Ungewöhnlich«, antwortet sie. Das ist ihre Standardantwort, wenn es ihr nicht schmeckt und sie ein Testurteil abgeben muss.
»War ja klar«, antworte ich grinsend und drehe mich zu John. »Was hast du gesagt?«
Sein Grinsen wird breiter. »Ich habe es als Brokkolisandwich mit zäher Käsefüllung bezeichnet.«
Ich pruste los. »Oh Gott, das hat ihm sicher nicht gefallen.
»Nicht wirklich, aber exotisch finde ich auch gut.«
Ich lächle. »Mir fiel kein anderes Adjektiv ein, was die Abscheulichkeit ausdrückt,