Männerrock. Holger Hähle

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Männerrock - Holger Hähle

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      Dieses Buch will zum Ungehorsam aufrufen gegen alle Rollenzuweisungen, die nicht mit uns als Individuum konform gehen. Ich habe dieses Buch geschrieben, weil ich verärgert darüber bin, dass mir Vorgaben gemacht werden, wie ich mich zu bekleiden habe. Besonders am Arbeitsplatz empfinde ich den Dresscode wie ein Korsett, das meine Identität verbiegt. Schon als Kind habe ich mich im Anzug zur Erstkommunion total verkleidet gefühlt. Das hat sich bis heute nicht geändert. Im Anzug spiele ich eine Rolle, die mit meiner Person oder meinem Geschlecht nichts zu tun hat. Mode als kulturelles Phänomen, das Geschlechterrollen konstruiert, die mit meiner allgemeinen Befindlichkeit und meinem biologischen Geschlecht nichts zu tun haben, lehne ich, wie jede andere Fremdbestimmung, ab.

      Die Pflicht, sich durch spezifische Kleidung geschlechtlich zu markieren, ist gesellschaftlich schon längst nicht mehr erforderlich. Sie ist ein Anachronismus in einer freiheitlichen, demokratischen Gesellschaft, die die Persönlichkeitsrechte in ihrer Verfassung ausdrücklich schützt. Individuelle Vielfalt einschließlich geschlechtlicher Vielfalt ist ein Reichtum, der die Welt bunter und schöner macht.

      01 Kultur als Voraussetzung für Mode – Woher haben wir Kultur?

      Unsere gemeinsame Urmutter Lucy, wie die Forscher die etwa drei Millionen Jahre alten Überreste des weiblichen Vorfahren von Australopithecus afarensis nannten, hatte menschliche DNA und konnte bereits aufrecht gehen, aber Kultur hatte sie noch nicht. Sie gehörte zu den Vormenschen, deren Lebensweise sich nicht von anderen Primaten, wie z. B. den Gorillas, unterschied. Ihr Leben beschränkte sich darauf, Nahrung zu erjagen oder Früchte zu sammeln, sich gegen Feinde zu verteidigen oder vor ihnen zu flüchten, sich zu paaren und den Nachwuchs aufzuziehen. Die kulturelle Evolution begann mit den Vormenschen, denn sie konnten wie auch Schimpansen Stöcke oder Steine als Werkzeug benutzen, aber es fehlte vorausschauendes Denken, um in einem Stein ein Messer zu sehen, wenn der Stein entsprechend bearbeitet würde. Wahrscheinlich konnten sie aber Steine zertrümmern und die dabei zufällig entstehenden Splitter als Klingen benutzen.

      Die Kultur kam erst mit den Urmenschen der Gattung Homo, zu deren letzter Spezies wir als Homo sapiens gehören. Es ist allgemeiner Konsens, dass die menschliche Kultur mit der Fähigkeit begann, Feuer zu machen. Die ältesten Funde von Lagerfeuern unseres Vorfahren Homo erectus sind etwa eine Million Jahre alt (1). Auch die Herstellung von Werkzeugen und Waffen wie Faustkeilen und Speeren kennzeichnen den Beginn von Kultur.

      Und bekleidet haben sich die frühen Menschen damals auch schon, z. B. mit Gürteln aus den Ranken von Kletterpflanzen, an denen sie wahrscheinlich geflochtene Behältnisse für Angelhaken oder Pfeilspitzen befestigten (2). Mit Fell- oder Lederstücken, die um das Gürtelband gezogen wurden, entstand ein einfacher Lendenschurz.

      Für Kleidung als kulturelles Produkt wurden im Laufe der kulturellen Evolution Naturfasern wie Wolle aus Pflanzen oder von Tieren gewonnen, durch Spinnen und Weben zu Tüchern verarbeitet und mit kreativen Ideen handwerklich zu einem Kleidungsstück verarbeitet. Die ältesten Darstellungen von Webtechniken finden sich als Wandmalereien in altägyptischen Gräbern.

      Kultur umfasst alle gestalterischen Leistungen des Menschen. Das schließt die Umarbeitung von Materialien für technische und künstlerische Anwendungen als auch Geistesgebilde ein. Kunst, Handwerk, Moral und Ethik sind Kulturformen, die den Menschen schon immer begleiteten. Mit der Kultur beginnt die Historie, die Geschichte der Menschheit. Die Zeit davor mit Lucy ist die Prähistorie.

      Kulturelles Verhalten braucht zwei Voraussetzungen: Zum einen sind Hände mit einem Daumen notwendig, der in Opposition zu den anderen Fingern bewegt werden kann und so Greifbewegungen ausführen kann. Das ist eine Grundbedingung, um Gegenstände zu halten und zu bearbeiten.

      Dabei hilft auch der aufrechte Gang, denn die Arme werden nicht als Vorderläufe zum Gehen gebraucht. Sie stehen also für andere Tätigkeiten als der Fortbewegung zur Verfügung. So konnten unsere Vorfahren bei der Pirsch die Arme und Hände für eine Waffe benutzen.

      Aber auch bei der Verteidigung gegenüber Raubtieren, deren Beute Vormenschen und Urmenschen waren, war das überlebenswichtig. Eine der bedeutendsten kulturellen Leistungen der Frühzeit bestand darin, dass sich Menschen mit Waffen und strategischen Überlegungen vom Gejagten zum Jäger entwickeln konnten.

      Ja, und für das Erdenken von Strategien ist ein geeignetes Gehirn notwendig. Das Hirn der Menschen ist deutlich größer als das der Vormenschen. Das beweisen die größeren Schädel. Die Größe ist ungewöhnlich. Im Tierreich werden kleine Hirne bevorzugt, weil sie weniger Energie verbrauchen. Wer viel Energie benötigt, muss auch viel Beute machen oder noch viel mehr pflanzliche Nahrung konsumieren. Unser Menschenhirn macht nur etwa 3 % des Körpergewichts aus, verbraucht aber selbst im Ruhezustand noch 25 % der Körperenergie (3). Wer intensiv für wichtige Prüfungen lernt, der weiß, wie ausgelaugt und müde man sich nach stundenlangem Pauken durch den hohen Energieumsatz fühlen kann.

      Durch Schädelfunde wissen wir, dass das Hirn des Urmenschen viel größer war als das der Vormenschen. Wie es funktionierte, können wir trotz fehlender fossiler Funde rekonstruieren, wenn wir von unserem Gehirn als Referenz für unsere Gattung ausgehen. Im Hirn der Gattung Homo ist für dessen besondere Leistungen, die uns zum Menschen macht, die Entwicklung des Neocortex und seine Vernetzung mit anderen Hirnteilen verantwortlich.

      Der Neocortex ist der motorische Teil des Großhirns, der Sinneswahrnehmungen zusammenfügt und begreifbar macht. Er gehört zu dem großen grauweißen „darmähnlichen Gewusel“, das die darunter liegenden Hirnteile verdeckt. Dieser Gehirnteil ist in seiner Größe, Komplexität und Leistungsfähigkeit charakteristisch für Säugetiere. Beim Menschen ist er besonders umfangreich ausgebaut und mit dem limbischen System vernetzt.

      Der Limbus ist das emotionale Zentrum. Es besteht aus ursprünglichen Teilen der Großhirnrinde und darunter befindlichen subkortikalen Arealen. Durch seine Vernetzung mit dem Neocortex sind uns feindifferenzierte Gefühle und fantasievolle Imaginationen möglich. Erst die Hormone des limbischen Systems, wie die Endorphine, geben unseren Empfindungen den Sinneseindruck eines Gefühls.

      Ein so ausgestattetes Gehirn kann eine Lautsprache entwickeln, die für die komplexe Verarbeitung von Eindrücken extrem wichtig ist. Ich möchte das an einem Beispiel erklären.

      Ein Affe, der ein Raubtier sieht, wie es sich der Horde nähert, wird einen Warnlaut ausstoßen, den andere Tiere der Horde wiederholen, um die Warnung weiter zu verbreiten und um zu bestätigen, dass die Warnung angekommen ist.

      Jetzt stellen wir uns vor, da sitzt statt der Affen eine Horde Menschen auf den Bäumen. Dann könnte der erste Mensch, der das Raubtier sieht, rufen: „Vorsicht Leute, von der Lichtung her kommt ein Leopard.“ Ein anderer Mensch könnte darauf reagieren mit: „Hey Leute, vorsicht! Peter sagt, dass da ein Leopard auf der Lichtung ist und näher kommt.“ Und wieder andere Menschen könnten antworten: „Okay, wir haben verstanden. Ein Leopard kommt von der Lichtung.“

      Erst mit Sprache können aus Lauten Wörter gebildet werden, mit denen sich Bedeutungen feindifferenziert wiedergeben lassen. Wenn die Wörter dann auch noch im Rahmen grammatischer Möglichkeiten vielfältig zu Sätzen kombiniert werden, entstehen weitere Bedeutungen und Sinnzusammenhänge. So lässt sich eine Wahrnehmung unterschiedlich wiedergeben, je nachdem, welche Aspekte hervorgehoben oder vernachlässigt werden sollen. Gleichzeitig können die Informationen variiert oder ergänzt werden. So hatten die Menschen am abendlichen

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