Männerrock. Holger Hähle

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Männerrock - Holger Hähle

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den ersten Eindruck bei einer Begegnung bestimmt. Das heißt, unser Gegenüber hat bereits einen Eindruck von uns, noch bevor er uns näher kennenlernt. Dieser Macht der Kleider sollten wir uns immer bewusst sein. Wir wirken immer, ob wir es wollen oder nicht, durch unsere Kleidung auf andere (8). Kleider machen Leute. Bei einem Urteil über andere werden unsere Überlegungen immer beeinflusst durch eine automatische Bewertung unseres Unterbewusstseins. Je flüchtiger ein Kontakt ist, desto höher ist der Anteil unseres Unterbewusstseins an einer Bewertung.

      Das automatische Taxieren nach optischen Eindrücken ist uns angeboren. Es konnte in der Frühzeit der Menschheit gefährlich sein, mit einer Entscheidung, ob sich da Freund oder Feind näherte, zu warten, bis sich weitere Eindrücke ergaben. Also hat man sich, auch auf die Gefahr hin, unzureichend informiert zu sein, ganz präventiv vorzeitig festgelegt. In solchen Situationen war der Mensch mit einem Vorurteil statistisch auf der sicheren Seite.

      Sozialisation prägt normatives Verhalten

      Kinder lernen das Regelwerk, in dem sie Erwachsene imitieren. Sie spielen mit Autos oder Puppen. Sie kopieren Verhaltensweisen, wenn sie Vater-Mutter-Kind spielen. Die Erwachsenen dienen als Vorbilder. Beim Federballspiel stellten sich in meiner Jugend die Jungs vor, sie seien Boris Becker und die Mädchen taten, als seien sie Steffi Graf. Durch Imitation übten wir unsere zukünftige Rolle.

      Mit begleitenden erzieherischen Maßnahmen lernen Heranwachsende, sich gruppenkonform zu verhalten. Richtiges Verhalten wird belohnt. Falsches Verhalten wird sanktioniert. Wenn ich als Kind auf dem Dachboden in die alten Kleider meiner Oma schlüpfte und dazu die Pumps meiner Mutter anzog, dann durfte ich so nicht auf die Straße gehen, denn ich verhielt mich für einen Jungen, auch wenn das Ganze nur ein Spaß war, nicht normgerecht. Die Mädchen hingegen durften sich dazu auch noch die Fingernägel lackieren. Als ich es einmal tat, setzte es Hiebe.

      So wird normatives Verhalten antrainiert, um sich gemäß den gesellschaftlichen Normen zu sozialisieren. Wir lernen unsere Rollen, so wie ein Schauspieler eine Theater- oder Filmrolle lernt. Der große Unterschied liegt darin, dass wir unsere Rolle ein Leben lang spielen sollen. Wir lernen unsere Rolle so gut, weil unser Gehirn im Gegensatz zu dem im ersten Kapitel beschriebenen Gazellenkitz noch weitgehend unbeschrieben ist. Wir können uns leicht an jede vorgegebene Kultur anpassen. Dass die Anpassungen sich neuronal manifestieren, macht die gelernte Rolle so prägend. Bei Kindern funktioniert das besonders gut. Sie wissen noch nichts und müssen sehr viel lernen. Sie nehmen alles unkritisch auf, was Erwachsene ihnen bei-bringen. Durch die permanente Wiederholung verbunden mit Lob und Tadel schleifen sich die gelernten Verhaltensmuster ein und bilden eine, der Kultur, in der sie leben, entsprechende Identität (9).

      Die Sozialisation ist ein lebenslanger, interaktiver Prozess, der alle kulturellen Aspekte verarbeitet. Sie kennzeichnet die permanente Wechselwirkung zwischen dem Individuum und der Gesellschaft. Die Sozialisation bestimmt unsere Identität, unser Selbstwertgefühl und unsere Fähigkeiten (10). Wenn individuelle Interessen nicht gefördert werden, weil sie gesellschaftlich nur für einen anderen Stand oder ein anderes Geschlecht als wichtig angesehen werden, dann können die mit einem Interesse verbundenen Potentiale auch nicht entwickelt werden.

      Mädchen sind noch heute in einigen Gesellschaften nicht des Lesens und Schreibens mächtig, nicht weil sie dümmer sind als Jungs, sondern weil die Jungs vorzugsweise Schulen besuchen und die Mädchen stattdessen früh verheiratet werden.

      Wie viele große Denkerinnen mögen der Welt entgangen sein, weil die gesellschaftlichen Kategorien in den meist patriarchalen Gesellschaften Mädchen keine Chance gaben, ihr Potential zu entwickeln? Wie viele große DenkerIinnen mögen unentdeckt geblieben sein, weil Arbeiterkinder, gemäß den Standesregeln, der soziale Aufstieg unmöglich war?

      Wir sind, was wir sind, durch die Gesellschaft und ihre Kultur. Wir nutzen ihre Artefakte und werden durch sie bewertet. Unsere Identität und unser Verhalten werden dadurch bestimmt, wie wir gesehen und eingestuft werden.

      Weil das Votum unserer Umwelt so wichtig ist, neigen wir dazu, die Mode zu mögen, die auch unsere Freunde und Bekannten gut finden. Unser Urteil ist nie objektiv. Wir bewerten immer unter dem Einfluss unserer Sozialisation.

      Als meine Mutter Ende der 1950er Jahre Hosen anziehen wollte, war ihre Mutter strikt dagegen. Sie sagte, Frauen sähen in Hosen wie gerupfte Hühner aus. Nur unanständige Frauen würden Hosen anziehen. Hosen, sagte sie, passen einfach nur Männern. Für Frauen hat Gott den Rock gemacht.

      Wenn jemand mit einem Dresscode bricht, dann wird das schnell als unästhetisch empfunden. Die Leute meinen dann, objektiv ihren Geschmack zu äußern. Tatsächlich beurteilen wir durch die Brille unserer Prägungen, die fest in uns verankert sind. Deswegen stehen wir allem Neuen eher skeptisch gegenüber. Menschen empfinden häufiger konservativ als progressiv.

      Neue Mode ist nonkonform

      Wenn die Brüche mit einer Konvention aber zunehmen, kann sich ein neuer Trend entwickeln. In der Folge entsteht dann aus anfänglicher Ablehnung durchaus Zustimmung. Und so war auch meine Oma einige Jahre später der Meinung, dass die Caprihosen, mit denen meine Mutter vom Urlaub in Italien zurückkam, toll waren. Unsere scheinbar objektive und individuelle Meinung folgt insgeheim der kulturellen Norm, ändert sich die, dann ändert sich auch unsere Einstellung. Dass die Meinung in beiden Fällen beeinflusst war, bleibt uns unbewusst. Wir denken weiterhin, eigentlich immer schon so gedacht zu haben, wie wir gerade denken.

      Gesellschaftliche Regeln wie auch Bekleidungsvorschriften können sich im Laufe der Zeit verändern oder gar umkehren. Das Kopftuch für Frauen ist in vielen islamischen Ländern gesetzliche Pflicht. In einigen europäischen Ländern ist das Tragen eines Kopftuches hingegen verboten. Zuwiderhandlungen werden mit einem Bußgeld geahndet. In Deutschland haben Frauen vor allem auf dem Land bis in die 1960er Jahre ein Kopftuch getragen. Auf dem Bauernhof meines Onkels habe ich meine Tante bei der Arbeit im Stall oder beim sonntäglichen Kirchgang immer mit Kopftuch erlebt. Ich konnte gar nicht sagen, ob sie darunter kurze oder lange Haare hatte. Anständige Frauen, so sagte sie mir als kleinem Jungen, tragen Kopftücher, um in den Himmel zu kommen.

      Die Halbwertszeit von Regeln hängt von den jeweiligen kulturellen Strukturen ab. Moden haben einen Lebenszyklus. Wenn Normen religiös begründet werden, dann ist es ein Tabu, sich anders zu verhalten oder anzuziehen. Eine diesbezügliche Regel kann sich erst ändern, wenn sich das Verständnis bzw. die Interpretation religiöser Texte ändert. Es kann sehr schwer werden, von Regeln abzuweichen, wenn die Meinung vertreten wird, dass eine Regel gottgewollt ist.

      Grundsätzlich ist jede Änderung und jede Innovation wegen der strukturellen Hindernisse schwierig durchzusetzen. Normen fordern ihre Umsetzung. Sie sind gesellschaftlicher Konsens. Das tägliche Leben von Rollen konditioniert uns auf die Rolle. Es fällt uns schwer, ein anderes Verhalten zu zeigen, als das, was wir gewohnt sind und das uns geprägt hat.

      Ein Mann mag die Idee haben, im Sommer statt einer Hose, die schnell verschwitzt an den Beinen klebt, einen dünnen weiten Rock zu tragen. Das heißt aber noch lange nicht, dass er es auch tut.

      Oft stehen wir Veränderungen selbst im Wege, wenn wir uns im vorauseilenden Gehorsam selbst sanktionieren. Wir haben Angst vor den Reaktionen der anderen, wenn wir uns abweichend zeigen. Was sagen die Freunde und Kollegen? Wir fürchten Kritik und Widerspruch. Viele Menschen verhalten sich regelkonform, gerade weil sie nicht sozial geächtet werden wollen. Die Angst vor negativen Sanktionen ist verbreitet und bei vielen Menschen so stark, dass sie von einem abweichenden Verhalten absehen, nach dem Motto: „Das gibt eh nur Ärger.“

      Ich habe vor Jahren in Ägypten ein Beduinendorf besucht. Alle Teilnehmer der Exkursion bekamen

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