Männerrock. Holger Hähle

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Männerrock - Holger Hähle

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Arzt einen weißen Kittel und einem Mechaniker den Blaumann vor. Je nach Epoche ordnen sie Krawatten den Männern und hohe Absatzschuhe den Frauen zu. Die Regeln können funktional, hierarchisch oder repräsentativ sein. Die Identifikation mit den Normen ist gewünscht. Ihre Befolgung oder Nichtbefolgung wird von der Gesellschaft verfolgt.

      Mit der richtigen, konformen Kleidung weist sich der Träger als Mitglied seiner Gemeinschaft aus. Wer dem Dresscode folgt, stimmt seiner Rolle zu. Menschen ordnen sich in ihre Gruppe genauso ein wie auch Wölfe und Elefanten in ihre Rudel und Herden. Das Individuum profitiert von der Gruppe, aber es muss für die Gruppe arbeiten und gegebenfalls individuelle Bedürfnisse zurückstellen. Das Kernmerkmal von Gruppen ist die Kooperation ihrer Mitglieder zum gemeinsamen Vorteil. Dadurch hat sich solidarisches Verhalten gegenüber der Gruppe und ihren Mitgliedern evolutionär durchgesetzt. Es ist in uns angelegt und wird vererbt, wie auch bei Tiergemeinschaften. Die Gemeinschaft ist stärker und erfolgreicher als jedes ihrer Individuen und in der Regel auch stärker als die Summe der Gruppenmitglieder.

      Mode als individueller Ausdruck einer Persönlichkeit gibt es nur theoretisch, wenn eine Person sich unabhängig von gesellschaftlichen Vorgaben kleidet. Praktisch gesehen besteht ein individueller Stil darin, eine Auswahl von Bekleidung aus dem Angebot zu treffen, das Hersteller gendergerecht bereitstellen. Deren Angebote sind schon mal gewagt, aber immer noch gesellschaftsfähig.

      Überhaupt entstand Individualität erst mit der Erfindung von Kaminen und Schornsteinen, so dass man sich in ein Zimmer zurückziehen konnte. Davor, am offenen Feuer, war Privatsphäre fast unmöglich. Das ganze Leben war öffentlich.

      Gesellschaftliche Kategorien und ihre Symbole

      Menschliche Gesellschaften haben gegenüber tierischen Gesellschaften ihre eigene Sprache oder ihren eigenen Dialekt, ihre Wertvorstellungen und Ethik sowie ihre geistigen und materiellen Schöpfungen wie Kunst und Kleidung. Wenn die von einer Gesellschaft geteilten und gelebten Werte und Artefakte von Generation zu Generation weitergegeben werden entsteht Kultur. Eine gemeinsame Kultur hat gemeinsame Merkmale, die als Symbole die Menschen einer Gruppe verbindet. Gesellschaften, ihre größten Einheiten sind heutzutage in der Regel Nationen, haben charakteristische Merkmale. Modisch gehört der Kimono zum japanischen und der Sari zum indischen Kulturkreis (1).

      Die Vielfalt einer Gesellschaft hängt von der Anzahl der Kategorien ab, die aufgestellt werden ihre Mitglieder einzuteilen. Jede Kategorie hat eigene Symbole, damit die Menschen dieser Untergruppe als deren Mitglieder erkennbar sind. Und es gibt spezifische Richtlinien zur Sozialisation.

      Männlichen Babys werden blaue Strampler angezogen, weibliche Babys bekommen Strampler in Rosa oder mit rosa Verzierungen. Die Farben sind geschlechtlich zugeordnet und fungieren als Symbole, die dazu auffordern das männliche Baby nach den Standards für männliche Kleinkinder und das weibliche Baby nach den Standards für weibliche Kleinkinder zu behandeln. Deswegen schenken Onkel und Tanten traditionell dem Jungen z. B. einen Plüschtiger, und das Mädchen bekommt oft eine Stoffpuppe (2).

      Kategorien legen ganz spezifische Sozialisationen fest. Sie stecken den Rahmen ab, innerhalb dessen die Entwicklung einer Identität erfolgen darf. So definieren Kategorien die Subgruppen einer Gesellschaft. Das sind die Schubladen, in die die Menschen gesteckt werden. Das geschieht nach den Prinzipien, die sich von den Ideen und Werten philosophischer, ideologischer oder religiöser Grundsätze ableiten und Maximen der Gesellschaft sind.

      In einer Kultur als gesellschaftlicher Einheit können Subkulturen entstehen. Sie repräsentieren Bedürfnisse, die nicht oder nur unzureichend von der Mehrheitsgesellschaft berücksichtigt werden. Sie sind deswegen Gegenbewegungen zum Mainstream mit eigenen Ansichten und Normen. Meist haben sie einen bestimmten kulturellen Kristallisationspunkt. Bei den Beatniks der 1960er Jahre war es Literatur. Bei den Punks ist es Musik. Bei den Skateboardern und Surfern ist es Sport (3).

      Wegen der Oppositionshaltung von Subkulturen werden sie oft vom Establishment stigmatisiert und ausgegrenzt. Aus Enttäuschung und Frust über die gesellschaftliche Ignoranz ihrer Anliegen ziehen Subkulturen den Graben zwischen sich und der Gesellschaft noch tiefer. Nach dem Motto „jetzt erst recht“ werden in einer Art Trotzreaktion die Symbole der Ausgrenzung extra verstärkt.

      Mit unserer Kleidung zeigen wir, wie wir zur Gesellschaft stehen, welchen Rang und Status wir darin einnehmen und welchem Geschlecht wir zuzuordnen sind. Weil Kategorien unser Prestige und unsere Privilegien festlegen, regelte die spätmittelalterliche Ständeordnung des 12.-14. Jahrhunderts bei den damals bei den Männern beliebten kurzen Röcken, wie weit und A-Linien-förmig, d. h. glockenförmig diese sein durften. Vermögende Kaufleute maßten sich trotz ihrer bürgerlichen Herkunft an, A-Linien Röcke mit vielen Falten zu tragen, was prinzipiell dem Adel vorbehalten war. Also wurde schriftlich per Verordnung für jede Standesgruppe genau festgelegt, wie viele Gehren in den Rock genäht werden durften. Gehren waren keilförmige Stoffstücke, die als lange gleichschenkelige Dreiecke - ähnlich heutigen Godets oder Zwickeln - in Einschnitte rechtwinkelig zum Saum genäht wurden. Je mehr Gehren verwendet wurden, umso mehr Falten warf der Rock. Das war beim Reiten sehr praktisch, aber natürlich ging es primär um die optische Wirkung, denn Männer wollten damals noch prächtig wirken, weil das ihre Wichtigkeit, also ihr Prestige unterstrich (4).

      Jeden Morgen, wenn wir uns konform anziehen, signalisieren wir damit unsere Zustimmung zu unserer gesellschaftlich zugewiesenen Rolle. Durch die tägliche Wiederholung schleift sich unser Rollenbewußtsein ein. Wir lernen zu sein, was wir sein sollen. Wir sind, was wir sind, dadurch, dass wir tun, was wir sollen. Das Repetieren konditioniert uns. Irgendwann können wir uns gar nicht mehr anders verhalten.

      Als früher europäische Landarbeiterinnen, anders als beispielsweise in China, selbst für die Feldarbeit unbequeme lange Röcke statt Hosen anziehen mussten, hat ihnen das jeden Tag bewusst gemacht, dass sie „nur“ Frauen einer unteren Klasse waren, die in einem Patriarchat lebten, wo andere die Hosen und die Macht hatten. In dem sie nicht rebellierten, sondern jeden Tag aufs Neue brav den Rock als Symbol der Unterordnung anzogen, zeigten sie die Zustimmung zu ihrem Rang in der Gesellschaft. Der Rock war ein Symbol. Ihn anzuziehen war eine Geste der Unterwerfung.

      Kleidungsstücke fungieren als Symbole, die für unsere Einstellungen sprechen. Kleidung ist nonverbale Kommunikation. What you see is what you get. So zeigt ein schwarzer Anzug als Uniform der Angestellten in einem Bewerbungsgespräch, dass der Bewerber bereit ist, sich in einem Unternehmen in das Kollektiv der Mitarbeiter ein- und unterzuordnen. Wir leben die Kultur, in der wir leben, indem wir ihre Symbole wahrnehmen und durch Kleidung und Verhalten kopieren bzw. interpretieren (5/6).

      Kleidung ist Kommunikation. Wer die Bekleidungsregeln verletzt, kann bestraft werden. Es gibt Fälle, wo die falsche Kleidung bei einem Gerichtstermin vom Richter als Missachtung des Gerichts geahndet wurde. Die Betroffenen mögen widersprochen haben, weil sie doch gar nichts Abfälliges gesagt hätten. „Richtig“, mag darauf der Richter erwidert haben: „Mit Worten haben sie nichts Abfälliges gesagt, aber durch die Symbole ihres Auftretens. Die sprechen für sich (7).“

      Menschen fühlen sich durchaus genötigt, Normen zu befolgen. Die optische Zustimmung durch Kleidung ist dann nur vorgeschoben. Manche äußere Erscheinung ist eine Mogelpackung. Auch Trickbetrüger und Bauernfänger nutzen gerne die Symbolik eines formalen und seriös wirkenden Outfits für unseriöse Absichten. Diese Diskrepanz zwischen innerem Sein und äußerem Schein bringt die Hauptrolle des Transvestiten Frank-N-Furter in der Travestie-Komödie „The Rocky Horror Picture Show“ wunderbar auf den Punkt, wenn er über sich sagt: „Don’t judge a book by its cover“.

      Statistisch gesehen stimmt aber das innere Bild mit dem äußeren

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