Männerrock. Holger Hähle

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Männerrock - Holger Hähle

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und dabei voneinander zu lernen oder Behauptungen kritisch zu hinterfragen (4).

      Ist Ihnen schon aufgefallen, dass Sie ohne Worte nicht sehr weit denken können? Wann immer Sie lautlos denken, benutzen Sie gedanklich Ihre Muttersprache. Babys können auf ihre Gefühle nur sehr einfach mit Mimik und Lauten reagieren. Sie weinen, wenn sie Hunger haben. Sie können zu ihrem Hungergefühl noch keine Gedanken anstrengen. Ihr Gehirn und damit ihr Sprechvermögen muss erst reifen.

      Und damit kommen wir zu einem wichtigen Aspekt, der erklärt, warum Kultur so prägend ist. Als Kind war ich beeindruckt, wie schnell die Welpen aus dem Wurf vom Hund meines Freundes erwachsen wurden. Auch die Blaumeiseneier im Nistkasten wurden schnell ausgebrütet. Schon nach wenigen Wochen sah ich die fast flüggen Jungtiere bei ersten Flugübungen. Natürlich fragte ich mich, warum ich als Mensch noch so viele Jahre mehr bis zu meiner Volljährigkeit vor mir hatte? Wie konnte sich der Mensch trotz dieses Nachteils zur „Krone der Schöpfung“ entwickeln?

      Gerade in der Frühzeit des Menschen war es wichtig, schnell erwachsen zu werden. Eine gerade erst geborene Gazelle, die nicht schnell genug auf die Beine kommt, um der Herde zu folgen, wird leicht zur Beute für Raubtiere. Eine junge Gazelle muss auch schnell lernen, die richtigen Pflanzen zu fressen und Giftpflanzen zu meiden. Tatsächlich ist das Hirn einer Gazelle von Geburt an schon sehr weit entwickelt. Tiere, so könnte man vereinfachend sagen, werden praktisch mit einem erwachsenen Gehirn geboren. Viel lernen können sie nicht mehr.

      Menschlicher Nachwuchs hingegen, war ein Hindernis bei den Wanderungen der Sippe und musste besonders geschützt werden. Die Raubtiere werden sicher nicht nur bei den Kitzen der Gazellen versucht haben, Beute zu machen. Wer war aus Raubtiersicht wohl leichter zu erjagen?

      Diesem offensichtlichen Nachteil steht ein gewaltiger Vorteil gegenüber. Menschenkinder müssen lernen, erwachsen zu werden. Hier passt der Spruch, dass man nicht als Mann geboren, sondern zum Mann gemacht wird. Menschen haben die sogenannte Adoleszenz, also die Zeit, um zum Erwachsensein zu reifen, vor sich.

      Dieser Zeitraum ist prägend. Alle Lebenserfahrungen werden auf unsere noch weitgehend leere „Festplatte“ im Gehirn geschrieben. Unsere kulturelle Umgebung wird so gespeichert einschließlich ihrer Veränderungen. Weil wir mit der Geburt erst anfangen aus Erlebnissen und Erfahrungen zu lernen, können wir uns der Umwelt und ihren Veränderungen anpassen. Ein Gazellenkitz und seine Artgenossen, die dramatische und schnelle Umweltveränderungen erleben, werden sterben, wenn sie bei einem Klimawandel z. B. nicht lernen können, sich auf andere Nahrung umzustellen.

      Es sind die enormen Möglichkeiten eines anfangs unentwickelten Menschenhirns, sich in einer Weise zu entwickeln, die sich bei der Geburt noch nicht erahnen lässt, die den Menschen so sehr von anderen Lebensformen unterscheidet.

      Der Mensch kann durch Lernen auf seine Umwelt reagieren und er kann durch Lernen die Umwelt selbst verändern. Die geistigen Fähigkeiten, die sich durch neuronale Vernetzungen im Gehirn entwickeln, sind das Potential unserer kulturellen Perspektiven. Je mehr wir denken, umso mehr vernetzen sich unsere Neuronen. Dies hilft besonders Babys, Kleinkindern und Teenagern, wenn wir sie beschäftigen. Aber die Fähigkeit, unser Gehirn zu entwickeln, besteht ein Leben lang. In diesem Sinne funktioniert unser Hirn ähnlich wie ein Muskel, der erst leistungsfähig wird, wenn er trainiert wird. Denken macht schlau. Das ist eine aktuelle Erkenntnis der Neurowissenschaften (5).

      Mit den besonderen Ausformungen des Menschenhirns und der Sprachentwicklung haben sich die kognitiven Fähigkeiten, die Umwelt wahrzunehmen und Sinneseindrücke mit strategischem Denken zu verarbeiten, gegenüber anderen Säugetieren drastisch verbessert. Der Vollständigkeit halber möchte ich erwähnen, dass grundsätzlich alle Säugetiere einen Neocortex haben und dass sie diesen nutzen. Der Psychologe Wolfgang Köhler konnte bei seiner Arbeit mit Schimpansen bereits von 1913-1920 feststellen, dass die Tiere nicht nur nach dem Trial-and-Error-Prinzip, also durch zielloses Ausprobieren, lernten.

      Die Affen in seinen Versuchen unterbrachen ihre Versuche an Nahrung zu kommen, wenn diese erfolglos blieben, nur vorübergehend. Sie nutzten die Zeit zum Schlafen oder Nachdenken und probierten danach neue Strategien. In ähnlichen Situationen in späteren Versuchen griffen sie dann direkt auf die gelernte und erfolgreiche Strategie zurück (6).

      Und zu welchen Gefühlsleistungen ein Affenhirn in der Lage ist, hat Jane Goodall Anfang der 1960er Jahre mit ihren Langzeituntersuchungen an Menschenaffen und Schimpansen in deren natürlicher Umgebung eindrucksvoll dokumentiert. Selbstverständlich können Primaten auch trauern (7).

      Aber Menschen können das alles noch viel komplexer, womit auch die Folgerungen und Möglichkeiten für Reaktionen größer werden. Die Fähigkeit zu Reflektion, Abstraktion, Deutung und vorausschauenden Planungsprozessen sind erstmals im menschlichen Gehirn realisiert. Der Mensch kann Dinge denken, die es noch gar nicht gibt. Darüber hinaus ist sich der denkende Mensch seiner selbst bewusst. Die Auseinandersetzung mit sich zeigt er in rituellen Handlungen und Kulten. Es entsteht über Generationen Kultur durch die Weitergabe von Erfahrung, deren Weiterentwicklung und Tradierung.

      Leider werden wir es nie erfahren, aber der Urmensch war sicher zu einer Äußerung, wie wir sie vom Philosophen René Descartes kennen fähig, die da heißt „Ich denke, also bin ich“.

      Mit dem Gehirn als geistigem Prozessor für Handlungsmöglichkeiten und den Händen als Werkzeug zur Umsetzung gedachter Intentionen, schafft der Mensch Leistungen, die grundverschieden sind von den Leistungen aller anderen Lebewesen, einschließlich der Vormenschen wie Lucy. Der Mensch beginnt sich die Welt so zu denken und zu machen, wie er sie haben möchte. Kultur ist die Gestaltung der Umwelt, die so immer unabhängiger von der Natur wird. Es zählt nur noch der Wille und das Wissen um Möglichkeiten.

      Mit diesem modernen Menschen beginnt der Aufstieg an die Spitze der Nahrungskette. Die geistige und handwerkliche Dominanz machte die Menschen autark und gab ihnen Zeit für Muße. Töpferwaren und Kleidung wurde verziert und animistische Kulte kunstvoll praktiziert, wie wir es von atemberaubenden Wandmalereien kennen.

      In diesem geistigen Umfeld entwickelt sich unsere Kulturgeschichte. Kultur ist unser Gegenentwurf zur Natur. Sie wird den Menschen immer mehr von der Natur entfremden. Gerade in den Städten leben wir heute weitgehend ohne Natur. Wir arbeiten für Geld in Büros oder Fabriken. Damit kaufen wir Lebensmittel im Supermarkt, die wir somit weder in der Wildnis sammeln noch erjagen müssen. Wir reisen nie zu Fuß, häufig aber mit Autos, Schiffen und Flugzeugen. Wir treiben Sport in Fitnessstudios und Schwimmbädern. Wir konsumieren kulturelle Angebote im Fernsehen, Internet, Theater, Opernhaus etc. Der moderne Mensch hat mit seiner Kultur das Anthropozän geschaffen (8). Das ist das Zeitalter, in dem Menschen fast alle Prozesse auf unserer Erde beeinflussen oder gar kontrollieren und die „wilde“ Natur immer mehr zurückdrängen.

      Gruppenkonformes Verhalten

      Menschen mögen vereinzelt Einzelgänger sein, aber selbst dann leben sie nicht ganz und gar unabhängig von ihren Mitmenschen. Alleine auf sich gestellt ist der Mensch heute nicht überlebensfähig. Zu früheren Zeiten war das nicht anders. In der Steinzeit vom Clan ausgestoßen zu werden, kam einem Todesurteil gleich. Nur durch Kooperation in einer Gruppe ist für Menschen ein Überleben möglich.

      Damit Gruppen funktionieren, braucht es Regeln, die als Normen das Zusammenleben organisieren und ordnen. Normen setzen den Wertekanon der mehrheitlichen Gesellschaft oder den des herrschenden Teils der Gesellschaft um. Sie definieren die politischen, religiösen, ökonomischen und erzieherischen Standards, die festlegen, was gedacht und geglaubt werden soll.

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