Vom Winde verweht. Margaret Mitchell

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Vom Winde verweht - Margaret Mitchell

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zog ihn vor, stellte Fragen an ihn und gab selbst Antworten darauf, so daß er gescheit wirkte, ohne selbst ein Sterbenswörtchen zu erfinden. Die anderen ärgerten sich und wußten nicht, was sie dazu sagen sollten. Sie mußten sich ernstlich anstrengen, um höflich zu bleiben und die wachsende Wut hinunterzuschlucken. Überall glomm es unter der Asche, und wäre Ashley nicht gewesen, Scarlett hätte einen richtigen Triumph gefeiert.

      Als der letzte Bissen aufgegessen war, hoffte Scarlett, India werde nun aufstehen und den Damen vorschlagen, sich ins Haus zurückzuziehen. Es war zwei Uhr, und die Sonne schien warm, aber India war nach den dreitägigen Vorbereitungen so müde, daß sie froh war, sitzen zu dürfen und dabei einem tauben alten Herrn aus Fayetteville ihre Bemerkungen ins 0hr schreien zu können.

      Eine träge Schläfrigkeit legte sich über die Gesellschaft. Die Farbigen gingen herum und deckten die langen Tische, an denen man gespeist hatte, ab. Gelächter und Gespräch wurden stiller, alle warteten darauf, daß die Gastgeberin das Zeichen zum Ende der Festlichkeit geben möge. Palmenfächer wedelten auf und ab, und einige alte Herren waren vor Hitze und Sattheit eingenickt. In dieser Pause zwischen der Geselligkeit des Morgens und dem abendlichen Ball machten sie alle den Eindruck von gemessenen, friedlichen Leuten. Nur die jungen Männer hatten immer noch etwas von der ruhelosen Kraft, die bis vor kurzem die ganze Gesellschaft belebt hatte. Unter der Schlaffheit des Mittags lauerten Leidenschaften, die jeden Augenblick tödlich aufflammen und ebenso schnell ausbrennen konnten. Die Unterhaltung wollte eben völlig einschlafen, als plötzlich alles durch Geralds zornig erhobene Stimme aus dem Halbschlummer geschreckt wurde. Er stand in einiger Entfernung von den Speisetischen und war auf demHöhepunkt eines Streites mit John Wilkes angelangt.

      »Heiliger Strohsack, Mann! Für friedliche Einigung mit den Yankees beten? Nachdem wir die Schufte aus Fort Sumter hinausgefeuert haben? Friedlich? Die Südstaaten sollten mit den Waffen in der Hand zeigen, daß sie sich nicht beleidigen lassen und daß sie sich nicht mit gütiger Erlaubnis der Union von ihr trennen, sondern aus eigener Kraft befreien!«

      »Mein Gott«, dachte Scarlett, »nun können wir alle bis Mitternacht hier sitzen bleiben.«

      Im Handumdrehen hatte sich alle Schläfrigkeit verflüchtigt. Die Männer sprangen von Bänken und Stühlen auf, die Stimmen begannen einander zu überschreien. Den ganzen Morgen hatte auf Mr. Wilkes' Bitte, die Damen nicht zu langweilen, niemand von Politik und Kriegsgefahr gesprochen. Aber nun hatte Gerald das Eis gebrochen, und alle anwesenden Männer vergaßen die Ermahnung.

      »Natürlich wollen wir kämpfen ...« »Diese verfluchten Yankees, diese Spitzbuben ...« »Wir verhauen sie in einem einzigen Monat...« »Einer von uns prügelt zwanzig von ihnen windelweich ...« »Friedlich? ... Sie lassen uns ja nicht in Frieden!« »Wie Mr. Lincoln unsere Unterhändler beleidigt hat ... Wochenlang hat er sie warten lassen und versprochen, Fort Sumter zu räumen!« »Sie wollen den Krieg, nun, er soll ihnen bald zum Halse heraushängen!« Lauter als alle anderen donnerte Gerald. Scarlett hörte ihn brüllen: »Die Rechte der Südstaaten, Teufel noch mal!« Er ereiferte sich gewaltig und kam endlich auf seine Kosten, seine Tochter aber durchaus nicht. All dies Gerede war ihr gründlich verhaßt, weil sich die Männer nun stundenlang damit beschäftigen und sie vorläufig keine Gelegenheit mehr finden würde, Ashley unter vier Augen zu sprechen. Natürlich gab es keinen Krieg, das wußten die Männer alle. Sie redeten nur gern und hörten sich so gern reden.

      Charles Hamilton war nicht mit den andern aufgesprungen und fand sich plötzlich mit Scarlett allein. Da lehnte er sich enger an sie und flüsterte mit der Kühnheit neugeborener Leidenschaft: »Miß 0'Hara ... Ich ... ich hatte schon beschlossen, daß ich nach Südcarolina zur Truppe gehen wollte, falls es Krieg gäbe. Mr. Wade Hampton stellt eine Reitertruppe auf, und da wollte ich natürlich dabeisein. Er ist ein großartiger Kerl und war der beste Freund meines Vaters.«

      Scarlett sah ihn verwundert an und dachte: »Wie können Männer nur so dumm sein, zu glauben, daß ein Mädchen sich für so etwas interessiert.« Er meinte, sie finde vor lauter Begeisterung keine Worte, und fuhr immer kühner fort:

      »Wenn ich nun gehe, sind ... sind Sie dann traurig ... Miß 0'Hara?«

      »Dann weine ich jede Nacht mein Kissen naß.« Es sollte schnippisch klingen, er aber nahm es ernst und errötete vor Freude. Sie hatte die Hand in den Falten ihres Kleides verborgen, er tastete sich heran und drückte sie fest, von seiner eigenen Kühnheit und ihrer Zuneigung überwältigt.

      »Wollen Sie dann für mich beten?«

      »Der Schafskopf!« dachte Scarlett bitter und schaute sich verstohlen um, ob nicht jemand sie von dieser Unterhaltung erlöse.

      »Wollen Sie es tun?«

      »Ja ... gewiß, mindestens drei Rosenkränze jeden Abend!«

      Rasch blickte Charles umher, hielt den Atem an und straffte die Muskeln. Sie waren so gut wie allein. Eine solche Gelegenheit bot sich vielleicht nie wieder. Und wenn Gott sie ihm noch einmal bescheren sollte, vielleicht versagte ihm dann die Kraf t.

      »Miß 0'Hara ... ich muß Ihnen etwas sagen. Ich ... ich liebe Sie!«

      »Hmmm?« machte Scarlett und versuchte durch die Menge der Streitenden zuAshley hindurchzublicken.

      »Ja!« flüsterte Charles, außer sich vor Entzücken, daß sie weder gelacht hatte noch in 0hnmacht gefallen war. »Ich liebe Sie! Sie sind das ... das ...«, zum erstenmal in seinem Leben löste sich ihm die Zunge, »das schönste Mädchen, das ich je gekannt habe, das süßeste und gütigste, so lieb wie Sie war noch niemand zu mir. Ich liebe Sie von ganzem Herzen. Ich kann ja nicht annehmen, daß Sie jemand wie mich lieben können, aber wenn Sie mir ein ganz klein wenig Mut machen, will ich alles tun, damit Sie mich lieben. Ich will...«

      Charles hielt inne, er konnte sich nichts ausdenken, das stark genug wäre, Scarlett die Tiefe seines Gefühls zu beweisen, und so sagte er dann einfach: »Ich möchte Sie heiraten.«

      Mit einem Ruck war Scarlett wieder auf der Erde, als das Wort »heiraten« an ihr 0hr schlug. Gerade hatte sie an Heiraten und an Ashle y gedacht und blickte Charles mit schlecht verhehlter Gereiztheit an. Was mußte auch dieses Kalb ihr gerade jetzt seine Gefühle aufdrängen, da ihr vor lauter eigenen Gedanken und Gefühlen fast der Kopf platzte? Sie blickte ihm in die braunen Augen und sah nicht die Schönheit der ersten scheuen Knabenliebe, die darin lag, nicht die Verzückung eines Traumes, der Wirklichkeit werden will, nicht die wilde, selige Zärtlichkeit, die ihn wie eine Flamme durchfuhr. Scarlett war es gewöhnt, daß Männer ihr einen Heiratsantrag machten, sehr viel anziehendere Männer als Charles Hamilton, die Lebensart genug besaßen, ihr nicht gerade bei einem Gartenessen, wenn sie wichtigere Dinge im Kopf hatte, damit zu kommen. Sie sah nur den zwanzigjährigen Jungen, der rot wie eine Rübe geworden war und sich sehr tölpelhaft ausnahm. Sie hätte ihm das gern gesagt, aber ganz von selbst kamen ihr die Worte, die Ellen sie für solche Fälle gelehrt hatte. Sie schlug gewohnheitsmäßig die Augen nieder, und leise ging es über ihre Lippen:

      »Mr. Hamilton, ich bin mir der Ehre wohl bewußt, die Sie mir dadurch erweisen, daß Sie um meine Hand anhalten, aber es kommt alles so plötzlich, daß ich nicht weiß, was ich darauf antworten soll.«

      Auf diese Weise vermied man es geschickt, die Eitelkeit eines Mannes zu kränken, und behielt ihn doch am Bändel. Charles biß darauf an, als wäre solcher Köder etwas Neues und ihm als erstem zugeworfen.

      »Ich kann ewig warten! Ich möchte Sie nur haben, wenn Sie Ihrer selbst ganz sicher sind. Bitte, Miß 0'Hara, sagen Sie mir, daß ich hoffen darf!«

      Scarletts

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