Die Eissphinx. Jules Verne

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Die Eissphinx - Jules Verne

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      Der erste unbesonnene Streich August Barnard's und Arthur Pym's war der Ausflug auf einer kleinen Schaluppe, dem »Ariel«, einem halb gedeckten Boote, das der Familie des ersteren gehörte. Eines Abends bei ziemlich kaltem Octoberwetter schifften sich beide, etwas angetrunken, heimlich ein, hißten das Fock- und das Großsegel und fuhren bei frischem Südwestwinde aufs Geradewohl aufs Meer hinaus.

      Nachdem der »Ariel«, vom Ebbestrom unterstützt, schon außer Sicht des Landes gekommen war, erhob sich ein heftiger Sturm. Die beiden Tollkühnen waren noch immer ein wenig berauscht. Keiner stand am Steuer, kein Segel war gereest. Bei den wüthenden Windstößen wurden die Segel des Bootes weggerissen. Bald darauf tauchte ein großes Schiff auf, das den »Ariel« überfuhr, wie dieser eine treibende Flaumfeder überfahren hätte.

      Bezüglich dieses Zusammenstoßes erzählt Arthur Pym die genauesten Einzelheiten der Rettung seines Genossen und seiner selbst, die übrigens nur unter großen Schwierigkeiten bewerkstelligt wurde. Kurz, Dank dem zweiten Officier vom »Pinguin« aus Neu-London, der auf dem Platze der Katastrophe eintraf, wurden die beiden Kameraden, dem Tode nahe, gerettet und nach Nantucket zurückbefördert.

      Der Behauptung, daß dieses Abenteuer wirklich den Stempel der Wahrheit trägt, ja, daß es sich wirklich so zugetragen habe, widerspreche ich nicht. Es bildete eine geschickte Vorbereitung auf die folgenden Capitel. Ebenso könnte der Bericht in diesen und bis zu dem Tage, wo Arthur Pym den Polarkreis überschreitet, ohne Zwang für wahr gehalten werden. Hier spielt sich eine Reihe von Thatsachen ab, die mit der Wahrscheinlichkeit noch recht wohl übereinstimmen. Doch... jenseit des Polarkreises, jenseit des südlichen Packeises, da liegen die Dinge anders, und wenn der Verfasser hier nicht eine Frucht reiner Erdichtung geliefert hat, dann will ich gleich... doch fahren wir fort.

      Jenes erste Abenteuer hatte die beiden jungen Leute nun keineswegs abgekühlt. Arthur Pym begeisterte sich mehr und mehr für die Seegeschichten, die ihm August Barnard erzählte, obgleich er herausfühlte, daß hier manche Uebertreibung unterlaufen mochte.

      Acht Monate nach dem Vorkommniß mit dem »Ariel« – im Juni 1827 – wurde die Brigg »Grampus« durch die Firma Lloyd und Vredenburg für den Walfischfang in den südlichen Meeren ausgerüstet. Es war das nur ein alter, nothdürftig ausgebesserter Kasten, dessen Führung Herr Barnard, Augusts Vater, übernahm. Sein Sohn, der ihn begleiten sollte, redete Arthur Pym eindringlich zu, ihnen auf dieser Fahrt zu folgen. Dieser wünschte ja gar nichts anderes, seine Familie aber, vorzüglich seine Mutter, wären nie zu bestimmen gewesen, ihre Erlaubniß dazu zu ertheilen.

      Das war aber kein hindernder Grund für einen unternehmenden jungen Burschen mit so wenig Neigung, sich dem väterlichen Willen zu fügen. August setzte ihm gar zu drängend zu. So beschloß er, sich auf dem »Grampus« heimlich einzuschiffen, denn Herr Barnard würde eine Mißachtung der elterlichen Entscheidung nie gebilligt haben. Unter dem Vorwande der Einladung eines Freundes, ein paar Tage in New-Bedford zu verweilen, nahm er von seinen Eltern Abschied und machte sich auf den Weg. Achtundvierzig Stunden vor der Abfahrt der Brigg sich an Bord einschleichend, versteckte er sich hier in einem Winkel, den August ihm ohne Wissen seines Vaters und der ganzen Mannschaft einigermaßen hergerichtet hatte.

      Die Cabine August Barnard's stand mittelst einer Fallthür in Verbindung mit dem Laderaume des »Grampus«, den Fässer, Ballen und tausenderlei Frachtstücke anfüllten. Durch diese Fallthür war auch Arthur Pym nach seinem Verstecke gelangt, einer großen leeren Kiste, deren eine Wand sich seitlich verschieben ließ. Diese Kiste enthielt eine Matratze, Decken, einen Wasserkrug und an Nahrungsmitteln Schiffszwieback, Würstchen, eine gebratene Hammelkeule, einige Flaschen Liqueur und selbst etwas Schreibmaterial. Mit Laterne und einigem Vorrath an Kerzen und Streichhölzchen versorgt, blieb Arthur Pym drei Tage und drei Nächte in seinem Versteck. August konnte ihn erst einmal aufsuchen, als der »Grampus« in See gegangen war.

      Bald begann nun Arthur Pym das Rollen und Stampfen der Brigg zu fühlen. Da ihm der Aufenthalt in dem engen Kasten unbehaglich wurde, verließ er ihn und tastete sich in der Finsterniß an einem ausgespannten Stricke durch den Laderaum hin und her. Nachdem er so die Glieder etwas in Bewegung gebracht hatte, kehrte er nach seinem Kasten zurück, aß ein wenig und schlief sorglos ein.

      Mehrere Tage vergingen, ohne daß August Barnard bei ihm erschien. Entweder hatte er in den Raum überhaupt nicht hinabsteigen können oder das nicht gewagt, aus Furcht, die Anwesenheit Arthur Pym's zu verrathen, wo er die Zeit, seinem Vater alles zu beichten, noch nicht gekommen glaubte.

      Arthur Pym fing in der feuchtwarmen, verdorbenen Luft allmählich an zu leiden. Es wurde ihm immer schwerer im Kopfe und seine Sinne verwirrten sich. Vergebens sachte er, sich durch die Frachtstücke drängend, nach einer Stelle, wo er hätte etwas freier athmen können. Von einer Sinnestäuschung befangen, glaubte er sich einmal unter den Tatzen eines Tropenlöwen zu sehen, und im höchsten Entsetzen hätte er sich fast durch sein Schreien verrathen, da verlor er aber zum Glück das Bewußtsein.

      In der That träumte er nicht gänzlich. Ein Löwe war es zwar nicht, dessen Krallen Arthur Pym auf seiner Brust fühlte, wohl aber ein kleiner, weißhaariger Hund, Tigre, sein eigener junger Neufundländer, den August Barnard, von niemand bemerkt, an Bord einzuschmuggeln gewußt hatte. Jetzt leckte das treue Thier nach Wiederauffindung seines Herrn dessen Gesicht und Hände und gab seiner Freude den unverhehltesten Ausdruck.

      Der Gefangene hatte nun wenigstens einen Gesellschafter. Leider hatte dieser während seiner Bewußtlosigkeit den ganzen Wasserkrug geleert, und als Arthur Pym dann seinen Durst löschen wollte, enthielt der Krug keinen Tropfen mehr. Da auch die Laterne erloschen war – seine Bewußtlosigkeit hatte mehrere Tage angehalten – und er weder Streichhölzchen noch Kerzen finden konnte, beschloß er, sich mit August Barnard in Verbindung zu setzen. Sein Versteck verlassend, leitete ihn der Strick, trotz seiner äußersten Schwäche infolge Luftmangels und Hungers, fast bis nach der Fallthür. Auf dem Wege dahin fiel aber eine große, durch das Rollen des Schiffs aus dem Gleichgewicht gebrachte Kiste herunter und versperrte ihm den Durchgang. Mit größter Anstrengung gelang es ihm zwar, dieses Hinderniß zu beseitigen, doch leider ganz vergebens, denn bis zur Fallthür unter der Cabine August Barnard's gelangt, vermochte er diese nicht aufzuschlagen. Mittelst seines Messers, das er durch einen Sprung ins Holz steckte, überzeugte er sich, daß eine schwere Eisenmasse auf der Fallthür lag so als habe man ihn zum Tode verdammen wollen. Er mußte seine Absicht also aufgeben und, sich nur mit Mühe hinschleppend, seinen Kasten wieder aufsuchen, wo er erschöpft zusammenbrach, während Tigre ihn mit seinen Liebkosungen bedeckte.

      Herr und Hund starben schon beinahe vor Durst, und als Arthur Pym einmal die Hand ausstreckte, fühlte er, daß Tigre mit emporgestreckten Pfoten und etwas gesträubtem Fell auf dem Rücken lag Beim Betasten des Hundes bemerkte er aber auch einen um dessen Körper geschlungenen Faden mit einem Stück Papier, das unter der linken Schulter des Thieres befestigt war.

      Arthur Pym befand sich im höchsten Grade der Erschöpfung. Sein geistiges Leben war schon fast abgestorben. Nach mehreren fruchtlosen Versuchen, sich Licht zu verschaffen, gelang es ihm wenigstens, das Papier mit dem Phosphor eines Zündhölzchens zu bestreichen, und da erschienen – in Edgar Poe's Bericht finden sich hierüber die packendsten Einzelheiten – folgende erschreckende Worte... die letzten sieben Wörter eines Satzes, den ein fahler Schein eine Viertelsecunde lang beleuchtete:

      ... Blut... bleibe versteckt... es gilt Dein Leben...

      Nun denke man sich die Lage Arthur Pym's im Grunde des Schiffsraumes, ohne Licht, ohne Wasser, zwischen den Holzwänden seines Kastens, nur brennenden Likör in der Hand, seinen Durst zu betäuben. Und dazu die ernste Mahnung, versteckt zu bleiben, eingeleitet mit dem Worte »Blut«, diesem hochbedeutsamen Worte, dem Könige der Wörter, das so überreich an Geheimnissen, an Leiden und Schrecken ist. Tobte denn ein Kampf an Bord des »Grampus«?... War die Goulette von Seeräubern überfallen worden?... Handelte es sich um eine Meuterei

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