David Copperfield. Charles Dickens

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David Copperfield - Charles Dickens

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Gleich nach der Scheidung nahm sie ihren Mädchennamen wieder an, kaufte sich ein Häuschen in einem Weiler weit draußen an der Seeküste und lebte dort mit einer einzigen Dienerin in unerbittlicher Zurückgezogenheit.

      Mein Vater mußte einst ihr Liebling gewesen sein, aber seine Heirat hatte sie tödlich beleidigt, da meine Mutter nach ihrer Ansicht nur eine »Wachspuppe« war. Sie hatte meine Mutter wohl nie gesehen, wußte aber, daß sie sehr jung war – noch nicht zwanzig.

      Mein Vater und Miß Betsey sahen einander nie wieder. Er war doppelt so alt als meine Mutter, als er sie heiratete, und von zarter Gesundheit. Ein Jahr darauf starb er; wie ich schon gesagt habe, sechs Monate, ehe ich zur Welt kam.

      So lagen die Dinge an jenem, wie ich wohl sagen darf, ereignisvollen und wichtigen Freitag. Ich weiß natürlich über sie nichts aus eigner Anschauung und stütze meine Erinnerungen auch nicht auf eigne Sinneswahrnehmung.

      Meine Mutter saß am Feuer, körperlich schwach und geistig sehr niedergedrückt, schaute, die Augen voll Tränen, in das Feuer und sann trübe nach über das Schicksal des vor der Geburt verwaisten Kindes, dessen Ankunft binnen kurzem erwartet wurde, und über ihre eigene Zukunft.

      Es war ein heller, windiger Herbstnachmittag, und sie saß betrübt und niedergeschlagen da und von bangen Zweifeln erfüllt, ob sie wohl glücklich die zu erwartende schwere Stunde überstehen werde, als sie, ihre Augen trocknend, aufblickte und durch das gegenüberliegende Fenster eine fremde Dame in den Garten hereinkommen sah.

      Beim zweiten Blick hatte meine Mutter schon die sichere Ahnung, daß es Miß Betsey wäre. Die untergehende Sonne schien über den Gartenzaun auf die fremde Dame, und diese schritt auf die Türe zu mit einer so unbeugsamen Strenge in Gesicht und Haltung, daß es niemand anders sein konnte.

      Als sie das Haus erreichte, lieferte sie noch einen andern Beweis ihrer Identität. Mein Vater hatte oft erwähnt, daß sie sich selten wie ein gewöhnlicher Christenmensch benehme; und nun trat sie wirklich, anstatt die Glocke zu ziehen, an das nächste Fenster und drückte ihre Nase mit solcher Energie gegen das Glas, daß diese im Augenblick ganz platt und weiß wurde, wie meine Mutter oft erzählte.

      Sie bekam darüber einen solchen Schrecken, daß ich es meiner Überzeugung nach nur Miß Betsey zu danken habe, wenn ich an einem Freitag zur Welt kam.

      Meine Mutter war in ihrer Aufregung aufgestanden und hinter den Stuhl in eine Ecke getreten. Miß Betsey sah sich durch die Scheiben langsam und forschend im Zimmer um, wobei sie am andern Ende der Stube anfing, und wendete automatenhaft wie ein Türkenkopf auf einer Schwarzwälderwanduhr das Gesicht, bis ihre Blicke auf meiner Mutter haften blieben. Dann zog sie die Brauen zusammen und winkte wie jemand, der zu befehlen gewohnt ist, daß man ihr die Türe aufmachen solle. Meine Mutter gehorchte.

      »Mrs. David Copperfield vermutlich,« sagte Miß Betsey mit einer Emphase, die sich wahrscheinlich auf die Trauerkleider meiner Mutter und auf ihren Zustand bezog.

      »Ja,« antwortete meine Mutter schüchtern.

      »Haben Sie schon von Miß Trotwood gehört?« fragte die Dame.

      Meine Mutter entgegnete, sie habe das Vergnügen gehabt, hatte aber dabei das unangenehme Gefühl, nicht darnach auszusehen, als ob es ein überwältigendes Vergnügen gewesen wäre.

      »Jetzt steht sie vor Ihnen,« sagte Miß Betsey. Meine Mutter verbeugte sich und bat die Dame, einzutreten.

      Sie gingen in das Wohnzimmer, aus dem meine Mutter gekommen, denn das Besuchzimmer auf der andern Seite des Ganges war nicht geheizt und nicht geheizt gewesen seit meines Vaters Leichenbegängnis. Als sie beide Platz genommen hatten, Miß Betsey aber nichts sprach, fing meine Mutter, nach einem vergeblichen Bemühen sich zu fassen, zu weinen an.

      »O still, still, still!« sagte Miß Betsey hastig. »Nur das nicht. Laß das, laß das!«

      Meine Mutter aber konnte sich nicht helfen, und ihre Tränen flossen, bis sie sich ausgeweint hatte.

      »Nimm deine Haube ab, Kind,« sagte Miß Betsey, »damit ich dich sehen kann.«

      Meine Mutter war viel zu sehr eingeschüchtert, um dieses seltsame Verlangen abzuschlagen, selbst, wenn sie gewollt hätte. Daher entsprach sie dem Wunsche und tat es mit so zitternden Händen, daß ihr Haar, das sehr reich und schön war, sich löste und auf ihre Schultern herabfiel.

      »Gott bewahre!« rief Miß Betsey, »du bist ja noch ein wahres Wickelkind.«

      Allerdings sah meine Mutter selbst für ihre Jahre noch sehr jugendlich aus. Sie ließ den Kopf hängen, als ob es ihre Schuld wäre, und sagte schluchzend, daß sie auch fürchte, sie sei ein wahres Kind von einer Witwe und werde auch ein Kind von einer Mutter sein, wenn sie am Leben bliebe.

      In der kurzen Pause, die darauf folgte, kam es ihr fast vor, als ob Miß Betsey ihr Haar berührte und zwar nicht mit unsanfter Hand; aber wie sie schüchtern hoffend aufblickte, hatte sich die Dame mit aufgeschürztem Kleid bereits hingesetzt, die Hände über ein Knie gefaltet, die Füße auf das Kamingitter gestützt, und starrte grimmig ins Feuer.

      »Um Gotteswillen?« fragte Miß Betsey plötzlich. »Warum eigentlich Krähenhorst?«

      »Sie meinen das Haus, Madame?«

      »Warum Krähenhorst?« fragte Miß Betsey. »Hühnerhof wäre passender gewesen, wenn ihr beide einen Begriff vom praktischen Leben gehabt hättet.«

      »Mr. Copperfield hat ihm den Namen gegeben,« erwiderte meine Mutter. »Als er das Haus kaufte, meinte er, es müßte hübsch sein, wenn Krähen darin nisten würden.«

      Der Abendwind fegte in diesem Augenblick so gewaltig durch die alten hohen Ulmen im Garten, daß sowohl meine Mutter wie Miß Betsey unwillkürlich hinaussahen. Als sich die Bäume zueinander neigten wie Riesen, die sich Geheimnisse zuflüsterten, und gleich darauf in heftige Bewegung gerieten und mit ihren zackigen Armen wild in der Luft herumfuhren, als ob diese Geheimnisse zu gräßlich für ihre Seelenruhe wären, wurden ein paar alte, vom Sturm zerzauste Krähennester auf den höchsten Zweigen wie Wracks auf stürmischer See hin und hergeworfen.

      »Wo sind die Vögel?« verhörte Miß Betsey.

      »Was?« Meine Mutter hatte an etwas anderes gedacht.

      »Die Krähen, – wo sie hingekommen sind?«

      »Es waren überhaupt nie welche da, seit wir hier gelebt haben,« sagte meine Mutter. »Wir dachten, – Mr. Copperfield dachte, es sei ein großer Krähenhorst, aber die Nester waren alt und von den Vögeln längst verlassen.«

      »Echt David Copperfield,« rief Miß Betsey. »David Copperfield, wie er leibt und lebt! Nennt das Haus Krähenhorst, wo gar keine Krähe da ist, und nimmt die Vögel auf guten Glauben, weil er die Nester sieht.«

      »Mr. Copperfield ist tot,« gab meine Mutter zur Antwort, »und wenn Sie sich unterstehen, unfreundlich über ihn zu sprechen, –«

      Ich glaube, meine arme, liebe Mutter hatte einen Augenblick die Absicht, sich an der Tante tätlich zu vergreifen. Diese hätte sie wohl leicht mit einer Hand bezwungen, selbst wenn meine Mutter in einer bessern Verfassung für einen solchen Kampf gewesen wäre als an diesem Abend. Aber es blieb bei einem schüchternen Aufstehen. Dann setzte sich meine Mutter wieder schwach nieder und fiel in Ohnmacht.

      Als sie wieder zu sich kam, sah sie Miß Betsey am Fenster stehen. Es

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