David Copperfield. Charles Dickens
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»Ich zittere am ganzen Leibe,« stammelte meine Mutter. »Ich weiß nicht, was es ist, ich sterbe sicherlich.«
»Nein, nein, nein,« sagte Miß Betsey; »trink eine Tasse Tee!«
»Ach Gott, ach Gott, meinen Sie, daß mir das gut tun wird?« rief meine Mutter in hilflosem Tone.
»Selbstverständlich!« sagte Miß Betsey. »Es ist alles bloß Einbildung. Wie heißt denn das Mädchen?«
»Ich weiß doch nicht, ob es ein Mädchen sein wird, Madame,« sagte meine Mutter unschuldsvoll.
»Gott segne dieses Kind!« rief Miß Betsey aus, unbewußt den Sinnspruch auf dem Nadelkissen in der Schublade des obern Stocks anführend, aber nicht mit Anwendung auf mich, sondern auf meine Mutter. »Das meine ich doch nicht. Ich meine doch das Dienstmädchen.«
»Peggotty,« sagte meine Mutter.
»Peggotty!« wiederholte Miß Betsey entrüstet. »Willst du damit sagen, Kind, daß ein menschliches Geschöpf in eine christliche Kirche gegangen ist und sich hat Peggotty taufen lassen?«
»Es ist ihr Familienname,« sagte meine Mutter schüchtern. »Mr. Copperfield nannte sie so, weil ihr Taufname derselbe ist wie meiner.«
»Heda, Peggotty!« rief Miß Betsey und öffnete die Zimmertür. »Tee! Deine Herrschaft ist ein bißchen unwohl, aber rasch!«
Nachdem sie diesen Befehl so gebieterisch ausgesprochen, als wäre sie von jeher Herrin dieses Hauses, und aus dem Zimmer hinausgespäht hatte, um nach der erstaunten Peggotty zu sehen, die bei dem Klang einer fremden Stimme mit einem Licht den Gang entlang kam, schloß sie die Tür wieder und setzte sich nieder wie zuvor, die Füße am Kamingitter, das Kleid aufgeschürzt und die Hände über ein Knie gefaltet.
»Du meintest, es werde ein Mädchen werden,« sagte Miß Betsey. »Ich zweifle keinen Augenblick daran. Ich habe ein Vorgefühl, daß es ein Mädchen wird. Nun, Kind! Von dem Moment der Geburt dieses Mädchens an – –«
»Vielleicht ists ein Knabe,« erlaubte sich meine Mutter, sie zu unterbrechen.
»Ich sagte dir bereits, ich habe das Vorgefühl, daß es ein Mädchen ist,« entgegnete Miß Betsey. »Widersprich mir nicht immer. Also von dem Augenblick der Geburt dieses Mädchens an werde ich seine Freundin sein, Kind. Ich will seine Patin sein, und sie hat Betsey Trotwood-Copperfield zu heißen. Mit dieser Betsey Trotwood-Copperfield soll es im Leben glatt gehen. Mit ihren Gefühlen darf nicht gespielt werden. Armes Kleines. Sie muß gut erzogen und in acht genommen werden, daß sie ihr Vertrauen nicht auf törichte Weise jemand schenkt, der es nicht verdient. Das laß meine Sorge sein.«
Bei jedem dieser Sätze zuckte Miß Betsey mit dem Kopf, als ob das erlittene Unrecht vergangener Zeiten in ihr wieder lebendig würde und sie einen deutlicheren Hinweis darauf nur mit Überwindung unterdrückte. So vermutete wenigstens meine Mutter, als sie sie beim schwachen Schimmer des Feuers beobachtete, aber zu sehr von ihrem Wesen erschreckt war und innerlich viel zu unruhig und zu verwirrt, um überhaupt irgend etwas klar beobachten zu können.
»Und war David gut gegen dich, Kind?« fragte Miß Betsey, nachdem sie eine Weile geschwiegen und die Bewegung ihres Kopfs allmählich aufgehört hatte. »Habt ihr euch gut vertragen?«
»Wir waren sehr glücklich,« sagte meine Mutter. »Mr. Copperfield war viel zu gut zu mir.«
»Er hat dich also verzogen?«
»Allein und verlassen zu sein und ohne Stütze in dieser rauhen Welt dazustehen,« schluchzte meine Mutter, »dazu hat er mich wohl nicht erzogen.«
»Gut. Weine nicht,« sagte Miß Betsey. »Ihr paßtet eben nicht zusammen, Kind, – zwei Menschen können überhaupt nicht zusammenpassen – deshalb fragte ich. Du warst eine Waise, nicht wahr?«
»Ja.«
»Und Gouvernante?«
»Ich war Bonne in einer Familie, die Mr. Copperfield häufig besuchte. Mr. Copperfield war sehr freundlich und aufmerksam gegen mich und machte mir zuletzt einen Heiratsantrag. Und ich sagte ja. Und so wurden wir Mann und Frau,« sagte meine Mutter einfach.
»Ha! Armes Kind!« murmelte Miß Betsey und sah immer noch grimmig ins Feuer. »Verstehst du etwas?«
»Ich bitte um Verzeihung, Madame?« stammelte meine Mutter.
»Von der Wirtschaft zum Beispiel,« sagte Miß Betsey.
»Ich fürchte, nicht viel. Nicht so viel, wie ich möchte. Aber Mr. Copperfield unterrichtete mich, –«
»Weil er selber so viel davon verstand,« warf Miß Betsey hin.
»– und ich glaube, ich hätte bald Fortschritte gemacht, denn ich war eifrig im Lernen und er ein sehr geduldiger Lehrer, wenn nicht das große Unglück – –,« meine Mutter verlor wieder die Fassung und konnte nicht weitersprechen.
»Schon gut, schon gut,« sagte Miß Betsey.
»Ich führte mein Wirtschaftsbuch regelmäßig und schloß es mit Mr. Copperfield pünktlich jeden Abend ab,« rief meine Mutter mit einem neuen Ausbruch des Schmerzes.
»Schon gut, schon gut,« rief Miß Betsey. »Hör endlich auf zu weinen.«
»Und es war nie ein Wort des Streites dabei oder der Uneinigkeit, außer wenn Mr. Copperfield tadelte, daß meine Dreier und Fünfer einander zu ähnlich sähen, oder daß ich meinen Siebnern und Neunern krause Schwänze gäbe,« begann meine Mutter von neuem und wieder von einer Tränenflut unterbrochen.
»Du wirst dich krank machen,« sagte Miß Betsey, »Du weißt doch, daß das weder für dich noch für mein Patenkind gut ist. Komm, du mußt das bleiben lassen.«
Dieses Argument trug einigermaßen dazu bei, meine Mutter zum Schweigen zu bringen, obgleich ihr zunehmendes Übelbefinden die Hauptursache sein mochte. Eine längere Stille trat ein, die nur unterbrochen wurde von einem gelegentlichen »Ha!« Miß Betseys, die immer noch mit den Füßen auf dem Kamin dasaß.
»David hat sich mit seinem Geld eine Leibrente gekauft,« sagte sie endlich, »und wie hat er für dich gesorgt?«
»Mr. Copperfield,« sagte meine Mutter mit Anstrengung, »war so vorsichtig und gut, mir die Anwartschaft auf einen Teil davon zu sichern.«
»Wieviel?« fragte Miß Betsey.
»Hundertundfünf Pfund jährlich.«
»Er hätte es noch schlimmer machen können,« sagte meine Tante.
Das Wort paßte gut für den Augenblick. Meiner Mutter ging es soviel schlimmer, daß Peggotty, die eben mit dem Teebrett und Lichtern hereinkam und auf den ersten Blick sah, wie krank sie war, – Miß Betsey hätte es schon eher sehen können, wenn es hell genug gewesen wäre, – sie so rasch wie möglich in die obere Stube hinaufbrachte und sofort Ham Peggotty, ihren Neffen, der seit einigen Tagen ohne Wissen meiner Mutter als Bote für unvorhergesehene Fälle im Hause verborgen gehalten wurde, nach der Hebamme und dem Doktor schickte.
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