David Copperfield. Charles Dickens

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David Copperfield - Charles Dickens

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Juwelierbaumwolle zustopfend.

      Da Peggotty nichts über sie wußte und meine Mutter nichts über sie hatte fallen lassen, blieb sie ein ungelöstes Rätsel in der Wohnstube, und der Umstand, daß sie ein Baumwollenmagazin in der Tasche trug und sich die Watte auf besagte Weise in die Ohren stopfte, raubte ihr nichts von ihrem Ansehen.

      Nachdem der Doktor oben gewesen und wieder heruntergekommen war und offenbar vermutete, daß er mit der unbekannten Dame einige Stunden würde zusammenbleiben müssen, bemühte er sich, höflich und gesellig zu erscheinen. Er war der sanfteste seines Geschlechts, der mildeste aller kleinen Männer. Er drückte sich beim Ein- und Ausgehen seitwärts durch die Türen, um möglichst wenig Raum einzunehmen. Er ging so leise wie der Geist des Hamlet aber noch viel langsamer. Er trug den Kopf auf eine Seite geneigt, teils aus Bescheidenheit, teils aus Entgegenkommen. Es wäre zu wenig gesagt, daß er nicht einmal für einen Hund ein böses Wort gehabt hätte. Er hätte nicht einmal einem tollen Hund ein böses Wort sagen können. Höchstens ein sanftes oder ein halbes oder ein Bruchstück davon, – denn er sprach so langsam, wie er ging, – aber er würde nicht grob gegen ihn gewesen sein. Nicht einmal ein rasches, nicht um alles in der Welt.

      Mr. Chillip sah also meine Tante, den Kopf auf die Seite geneigt, sanft an, machte eine kleine Verbeugung und sagte, auf die Watte anspielend, indem er sein linkes Ohr berührte:

      »Lokale Reizung, Madame?«

      »Was?« fragte meine Tante und zog die Baumwolle wie einen Kork aus einem Ohr.

      Mr. Chillip erschrak so sehr über ihr barsches Wesen, wie er später meiner Mutter erzählte, daß es noch ein Glück war, daß er die Fassung nicht verlor. Er wiederholte sanft:

      »Lokale Reizung, Madame?«

      »Unsinn!« antwortete meine Tante und verstopfte sofort das Ohr wieder.

      Mr. Chillip konnte nun weiter nichts tun, als Platz nehmen und sie schüchtern ansehen, wie sie so dasaß und ins Feuer starrte, bis er wieder hinaufgerufen wurde.

      Nach viertelstündiger Abwesenheit kehrte er wieder zurück.

      »Nun?« fragte meine Tante und nahm die Watte aus dem ihm am nächsten liegenden Ohre.

      »Nun, Madame,« antwortete Mr. Chillip, »wir – wir machen langsam Fortschritte.«

      »Ba-a-ah,« sagte meine Tante, den verächtlichen Ausruf förmlich hervorstoßend, und verstopfte sich wieder wie vorhin.

      In der Tat – in der Tat, Mr. Chillip war geradezu bestürzt, – wie er später meiner Mutter gestand; – natürlich bloß vom ärztlichen Gesichtspunkt aus. Aber trotzdem starrte er Miß Betsey fast zwei Stunden lang an, bis er von neuem gerufen wurde. Nach längerer Abwesenheit kehrte er wiederum zurück.

      »Nun?« fragte meine Tante und nahm abermals die Watte aus dem gleichen Ohr.

      »Nun, Madame,« antwortete Mr. Chillip, »wir – wir machen langsam Fortschritte, Madame.«

      »Ja-a-a,« knurrte meine Tante Mr. Chillip derart an, daß er es fürwahr nicht länger mehr aushalten konnte. Es war fast darnach angetan, ihm allen Mut zu nehmen, äußerte er später.

      Darum ging er lieber hinaus und setzte sich draußen im Dunkeln auf die zugige Treppe, bis man wie der nach ihm schickte.

      Ham Peggotty, der in die Volksschule ging und wie ein Drache über seinem Katechismus zu sitzen pflegte und deshalb sicher als glaubwürdiger Zeuge gelten kann, erzählte am nächsten Tag, er hätte eine Stunde später zur Stubentür hereingeguckt und wäre sogleich von Miß Betsey, die in großer Erregung auf- und abgegangen, erspäht und gepackt worden, ehe er die Flucht habe ergreifen können. Er berichtete ferner, daß man zuweilen das Geräusch von Fußtritten und Stimmen in den obern Zimmern gehört hätte, das wahrscheinlich die Watte nicht ganz abhielt, wie er aus dem Umstande schloß, daß ihn die Dame wie ein Opfer festhielt und an ihm ihre überströmende Aufregung ausließ, wenn die Geräusche am lautesten waren. Sie hätte ihn am Kragen gepackt gehalten und in der Stube auf- und »abgeführt« (als ob er zuviel Laudanum genossen), hätte ihn geschüttelt, ihm die Wäsche zerzaust und die Ohren verstopft, als ob es ihre eignen gewesen wären, und ihn auf andere Weise mißhandelt. Sein Bericht wurde zum Teil von Peggotty bestätigt, die ihn um halb ein Uhr, kurz nach seiner Befreiung, noch ganz rot gesehen hatte.

      Der sanfte Mr. Chillip konnte niemand böse sein und wenn überhaupt je, so am allerwenigsten in solcher Stunde. Er drückte sich deshalb in das Wohnzimmer, sobald er abkommen konnte und sagte zu meiner Tante in seinen mildesten Tönen:

      »Madame, es freut mich, Sie beglückwünschen zu können.«

      »Wozu?« fragte Miß Betsey mit Schärfe.

      Mr. Chillip, wiederum verwirrt durch die außerordentliche Schroffheit meiner Tante, machte ihr eine kleine Verbeugung und lächelte sie an, um sie zu besänftigen.

      »O dieser Mensch, was er nur macht,« rief meine Tante ungeduldig, »kann er denn nicht sprechen!«

      »Beruhigen Sie sich, meine teuere Madame,« sagte Mr. Chillip mit seinen weichsten Lauten. »Es ist nicht länger Ursache zur Besorgnis mehr vorhanden, Madame. Beruhigen Sie sich.«

      Man hat es später für ein Wunder angesehen, daß meine Tante ihn nicht schüttelte, um das, was er zu sagen hatte, aus ihm herauszuschütteln. Was sie schüttelte, war nur der Kopf, den aber so drohend, daß es den Doktor erzittern machte.

      »Nun, Madame,« begann Mr. Chillip von neuem, sobald er wieder Mut gefaßt, »es freut mich, Sie beglückwünschen zu können. Alles ist nun vorbei, Madame, und glücklich vorbei.«

      Während der fünf Minuten, die Mr. Chillip zu dieser Rede brauchte, sah ihn meine Tante lauernd und scharf an.

      »Wie befindet sie sich?« fragte meine Tante und verschränkte ihre Arme, an deren einem immer noch der Hut hing.

      »Nun, Madame, sie wird bald wieder ganz wohl sein, hoffe ich,« antwortete Mr. Chillip, »so wohl, wie wir es von einer jungen Mutter unter so getrübten häuslichen Verhältnissen nur erwarten können. Wenn Sie sie sogleich sehen wollen, steht dem nichts im Wege, Madame. Vielleicht tut es ihr sogar gut.«

      »Und sie? Wie geht es ihr?«

      Mr. Chillip neigte seinen Kopf noch ein bißchen mehr auf die Seite und sah meine Tante an wie ein liebenswürdiger Vogel.

      »Das Baby?« sagte meine Tante, »wie geht es ihr?«

      »Madame,« erwiderte Mr. Chillip. »Ich nahm an, Sie wüßten es schon. Es ist ein Knabe.«

      Meine Tante sprach kein Wort, nahm ihren Hut an den Bändern wie eine Schleuder, führte einen Streich damit gegen Mr. Chillips Kopf, stülpte ihn aufs Haupt, schritt hinaus und kam niemals wieder.

      Sie verschwand, wie eine unzufriedene Fee oder wie eins jener übernatürlichen Wesen, die ich nach dem Volksglauben berechtigt war, sehen zu können; ging hin und ward nicht mehr gesehen.

      Ich lag in meiner Wiege und meine Mutter im Bett. Betsey Trotwood-Copperfield aber blieb für immer im Lande der Träume und Schatten, in jener grauenvollen Region, die ich jüngst durchwandert. Und das Licht unseres Zimmers schien hinaus auf das irdische Ziel aller Wanderer aus dieser Region: auf den Hügel über der Asche und dem Staube dessen, der einst hienieden geweilt, und ohne den ich nie geworden

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