David Copperfield. Charles Dickens
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»Das ist Davy,« antwortete Mr. Murdstone.
»Was für ein Davy?« fragte der Herr Jones.
»Copperfield,« sagte Mr. Murdstone.
»Was? Der himmlischen Mrs. Copperfield Beigabe? Der reizenden kleinen Witwe?«
»Quinion,« sagte Mr. Murdstone, »nimm dich in acht, man ist schlau.«
»Wer denn?« fragte der Gentleman lachend.
Ich blickte rasch auf, denn ich hätte es auch gern gewußt.
»Bloß Brooks von Sheffield,« sagte Mr. Murdstone.
Ich fühlte mich ordentlich erleichtert, daß es bloß Brooks von Sheffield sei, denn anfangs hatte ich wirklich geglaubt, man meine mich.
Mr. Brooks von Sheffield mußte wohl jemand sehr Komisches sein, denn die beiden Gentlemen lachten herzlich, als sein Name fiel, und Mr. Murdstone war auch sehr belustigt. Nach längerem Lachen sagte der Herr, der Quinion hieß: »Und wie ist Mr. Brooks' von Sheffield Meinung in betreff des geplanten Geschäftes.«
»Hm, ich weiß nicht, ob Brooks vorderhand viel davon versteht,« entgegnete Mr. Murdstone, »aber ich glaube, im allgemeinen ist er ihm nicht besonders günstig.«
Darüber wurde noch viel mehr gelacht, und Mr. Quinion sagte, er wolle nach Sherry klingeln, um auf Brooks Gesundheit zu trinken. Das tat er dann, und als der Wein kam, gab er mir ein wenig davon und ein Biskuit, und bevor ich trank, stand er auf und sagte: »Verwirrung komme über Brooks von Sheffield.«
Der Toast wurde mit großem Beifall und so herzlichem Gelächter aufgenommen, daß ich selbst mitlachen mußte, worüber sie dann noch mehr lachten. Kurz, es war sehr lustig.
Wir gingen hierauf an den Klippen des Strandes spazieren und setzten uns ins Gras und schauten durch ein Fernrohr –; ich konnte nichts sehen, als sie es mir vor das Auge hielten, behauptete aber, ich könnte es, – und dann gingen wir zurück in das Hotel, um zeitig zu Mittag zu essen.
Während unseres Spazierganges rauchten die beiden Herren unaufhörlich, was sie – nach dem Geruch ihrer zottigen Röcke zu schließen – wohl seit dem ersten Tage an gemacht haben mußten, seit sie sie vom Schneider bekommen hatten. Ich darf nicht vergessen, daß wir auch an Bord der Jacht gingen, wo sie alle drei in die Kajüte hinunterstiegen und sich eifrig mit verschiedenen Papieren beschäftigten. Ich sah sie angestrengt arbeiten, wenn ich durch das offene Lukenfenster hinunterblickte.
Die ganze Zeit über ließen sie mich in Gesellschaft eines sehr netten Mannes mit einem großen Kopf voll roter Haare und einem sehr kleinen lackierten Hut. Er hatte ein buntgestreiftes Hemd an, mit dem Worte »Feldlerche« in großen Buchstaben quer über die Brust. Ich dachte, es sei sein Name und er schreibe ihn auf die Brust, weil er auf dem Schiffe wohnte und kein Haustor hatte, worauf er ihn hätte anschlagen können. Als ich ihn aber Mr. Feldlerche nannte, sagte er, das Schiff hieße so.
Den ganzen Tag über bemerkte ich, daß Mr. Murdstone ernster und verschlossener war als die beiden andern Herren. Diese waren sehr lustig und ungezwungen, scherzten miteinander, aber selten mit ihm. Er kam mir gescheiter und kühler vor als sie, und sie mochten ziemlich meiner Meinung sein. Ich bemerkte nämlich, daß Mr. Quinion ein oder zweimal, wenn er sprach, Mr. Murdstone von der Seite ansah, wie um sich zu überzeugen, ob ihm nicht irgend etwas mißfiele, und daß er einmal, als Mr. Paßnidge, der andere Herr, besonders ausgelassen war, diesem auf den Fuß trat und ihm heimlich mit den Augen zuwinkte, auf Mr. Murdstone zu achten, der stumm und verdrossen dasaß. Ich erinnere mich auch nicht, daß Mr. Murdstone den ganzen Tag über einmal gelacht hätte, außer über den Sheffield-Witz, den er ja übrigens selber gemacht hatte.
Wir gingen abends zeitig nach Hause. Es war ein sehr schöner Abend, und meine Mutter und Mr. Murdstone gingen wieder an der Rosenhecke auf und ab, während ich hineingeschickt wurde, um meinen Tee zu trinken.
Als er weggegangen war, fragte mich meine Mutter aus über die Tageserlebnisse. Ich erzählte, was sie über sie geäußert hatten, und sie lachte und sagte, es seien unverschämte Burschen, die Unsinn schwatzten, aber ich merkte ganz gut, daß es ihr gefiel. So genau, wie ich es jetzt weiß. Ich benutzte die Gelegenheit, sie zu fragen, ob sie einen gewissen Brooks aus Sheffield kenne, sie erwiderte, nein, aber es müsse ein Messer-und Gabelfabrikant sein.
Kann ich von ihrem Gesicht, so sehr es sich später veränderte, so verblüht ich es weiß, – sagen, es sei nicht mehr, wenn es hier in diesem Augenblick so deutlich mir vor Augen tritt, wie jedes beliebige Gesicht, das auf belebter Straße an mir vorbeigeht? Kann ich von ihrer unschuldsvollen, mädchenhaften Schönheit sagen, sie sei verwelkt und dahin, wenn ihr Atem jetzt meine Wange berührt, wie er es an jenem Abend tat? Kann ich sagen, sie habe sich jemals verändert, wenn meine Erinnerungen sie nur mit diesen Zügen ins Leben zurückrufen?
Ich schildere sie genau so, wie sie war, als ich nach dieser Unterhaltung zu Bett gegangen und sie zu mir kam, um mir gute Nacht zu sagen. Sie kniete neben meinem Bett nieder, legte ihr Kinn auf ihre Hände und fragte lachend:
»Was sagten sie, Davy? Sag es noch einmal. Ich kann's nicht glauben.«
»Der himmlischen – – – –« fing ich an.
Sie legte mir die Hand auf den Mund.
»Himmlisch gewiß nicht,« sagte sie lachend. »Himmlisch kann es nicht gewesen sein, Davy. Jetzt weiß ichs, daß es nicht wahr ist.«
»Doch! Der himmlischen Mrs. Copperfield,« wiederholte ich standhaft, »und der reizenden – –«
»Nein, nein, reizend gewiß nicht. Nicht reizend,« unterbrach mich meine Mutter und legte mir wieder die Finger auf die Lippen.
»Ja, es war so. Der reizenden kleinen Witwe.«
»Was für närrische, unverschämte Menschen!« rief meine Mutter lachend und bedeckte ihr Gesicht, »was für alberne Burschen, nicht wahr, mein lieber Davy?«
»Jawohl, Mama.«
»Sag Peggotty nichts. Sie könnte böse drüber wer den. Ich bin auch sehr böse drüber, aber es ist besser, Peggotty erfährt nichts davon.«
Ich versprach es natürlich, und wir küßten uns noch viele Male, und bald lag ich in festem Schlaf.
Nach der langen, inzwischen vergangenen Zeit kommt es mir jetzt so vor, als ob mir bereits am Tage darauf Peggotty den sonderbaren Vorschlag machte, von dem ich sogleich erzählen will, – aber wahrscheinlich lagen zwei Monate dazwischen.
Wir saßen wieder eines Abends, als meine Mutter auf Besuch war, in Gesellschaft des Strumpfes, des Ellenmaßes, des Wachsstückchens, des Kastens mit der St. Paulskirche und des Krokodilbuchs beisammen, Peggotty und ich, als sie (nachdem sie mich mehrmals angeblickt und den Mund aufgerissen, als wollte sie sprechen, – ich hielt es für bloßes Gähnen, sonst hätte es mich beunruhigt, –) endlich mit einschmeichelnder Stimme sagte: »Master Davy, wie wäre es, wenn du mit mir auf vierzehn Tage meinen Bruder in Yarmouth besuchtest? Wär das nicht fein?«
»Ist dein Bruder ein angenehmer Mann?« fragte ich vorsichtig.
»O was für ein angenehmer Mann!« rief Peggotty und streckte die Hände in die Höhe. »Und dann ist das Meer da und die Boote und die Schiffe und der Strand und Ham zum Spielen.«
Ham