Das große Geheimnis. Thomas Pfanner
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Das große Geheimnis - Thomas Pfanner страница 5
»Ich fürchte, da wird nichts draus.«
Bereits Sekunden zuvor hatte das Mädchen die Augen aufgerissen und die Gegenwehr eingestellt, was der Junge als Sieg interpretierte. Nun musste er urplötzlich erkennen, dass es sich anders verhielt. Noch während die dunkle Stimme die Worte sehr sanft sprach, packte eine Hand nach seinen Haaren und zog ihn brutal von dem Mädchen fort. Dann fand sich Sägebracht herumgewirbelt und an die Wand gestellt in der gleichen Position wieder, in der er eben noch das Mädchen gefangen gehalten hatte.
»Herr Burg, ich habe das nicht gewollt, ich …«
»Ich weiß, Maria, hab keine Angst. Geh jetzt.«
Der Junge erholte sich überraschend schnell von dem Schock. »Klar hat sie es gewollt, die kleine Schlampe. Sie wollte erst mich und dann alle meine Kumpels.«
Burg sah zu Maria und herrschte sie an: »Los, verschwinde. Sofort.«
Während sie weglief, stieß Burg den Jungen an paar Mal nicht übermäßig brutal an die Wand. »Du bekommst doch von deiner Mutter reichlich Taschengeld, nicht wahr?«
»Das geht Sie gar nichts an, Sie Mistkerl!«, giftete der Junge zurück. Burg ignorierte die Beschimpfung und raunte ihm zu: »Dann kaufe dir eine Gummipuppe und übe erst mal. Sonst knickt er womöglich ab, wenn du weiterhin so stürmisch bist.«
Der Junge schnappte nach Luft, glotzte erst verdutzt, bevor die blutrote Wut über sein Gesicht schwappte: »Das haben Sie nicht umsonst gesagt, Sie! Passen Sie bloß auf, dass kein Unglück passiert, wenn Sie das nächste Mal durch den dunklen Park laufen. Sie Mistkerl, lassen Sie mich los. Au, loslassen!«
Burg verstärkte den Druck seiner Hände und hob den Jungen spielerisch in die Höhe, drückte ihn, die Füße zehn Zentimeter über dem Boden, an die Wand. Die Röte im Gesicht des Gepeinigten verstärkte sich, jedoch nicht mehr aufgrund seiner Wut. Burg gab seiner Stimme den Ausdruck leichter Amüsiertheit, die mit dem drohenden Glühen seiner Augen eine Angst einflößende Wirkung entfaltete: »Ach, du willst es auf die harte Tour? Nach schön, aber sei gewarnt. Solltest du mir wirklich gegenübertreten wollen, so bringe Freunde mit. Viele Freunde! Übermacht ist kein Problem für mich, eher für die Übermacht. Je mehr ihr seid, desto unbarmherziger werde ich euch blutig schlagen. Dein Risiko, danach wirst du noch hässlicher aussehen. Dann wird sogar die Gummipuppe bei deinem Anblick platzen. Und nun kehre unter den Stein zurück, unter dem du einst hervor gekrochen bist, du Wurm.«
Er ließ Sägebrecht abrupt los, der sich daraufhin, ohne zu zögern, im Laufschritt entfernte. Dabei drehte er sich dauernd um, um sicher zu gehen, nicht verfolgt zu werden. Burg atmete kräftig durch und wandte sich ab. Aus den Augenwinkeln bemerkte er Maria. Sie kauerte hinter einer Reihe von Thuja-Bäumchen, nicht weit entfernt und hatte offenbar von dort die Szene verfolgt. Er tat so, als ob er sie nicht gesehen hätte, und ging zum Schulgebäude.
6
»Hallo, Schmicki. Alles fit im Schritt?«
»Nicht, dass dich das wirklich interessieren würde«, brummte der Angesprochene und schloss hinter ihr die Tür. Er hatte sich daran gewöhnt, dass sie ihn öfters einmal besuchte, vordergründig, um Weizenbier einer winzigen Privatbrauerei mit ihm zu trinken, an das weit und breit nur er herankam. In Wahrheit verging kein Besuch, ohne dass sie ihn nicht um einen Gefallen gebeten hätte. Er nahm es hin, seit den Anfängen vor ein paar Jahren empfand er mehr und mehr eine innige Freundschaft zu ihr. Er mochte angenehme, ungekünstelte Menschen um sich herum, in seinem Beruf fand sich diese Spezies gemeinhin überhaupt nicht.
Also saßen sie auf seinem großen Sofa, dem einzigen normalen Möbelstück seiner Wohnung, tranken Weizenbier und redeten über Gott und die Welt. Sie betrachtete beiläufig seine hochtechnisierte Ausstattung im Stile der Kommandobrücke eines Kriegsschiffs. Im Gegenzug musterte er ungeniert die langen runden Schenkel, die aus ihrem Minirock wuchsen. Dann kam sie zur Sache: »Sag mal, Alter, hast du nicht Lust, deine Höllenmaschine anzuschmeißen und mir ein wenig zur Hand zu gehen?«
Er betrachtete sie über den Rand seines Glases hinweg an und meinte, nur halb im Scherz: »Handelt es wieder um ein Problem der böseren Kategorie? Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich vor zwei Jahren ganz plötzlich umziehen musste, unmittelbar nach einem winzigen Gefallen, den ich dir getan hatte.«
Leichthin erwiderte sie: »Ich glaube kaum, dass dein Umzug sehr viel mit dem Gefallen zu tun hatte. Eher mit dem Umstand, ausnahmsweise an einen besseren Hacker geraten zu sein. Davon mal ab: Diesmal ist es nur ein winziger Auftrag, ganz ungefährlich und für ein Ass wie dich ein Klacks.«
Missmutig starrte er sie an: »Es beginnt immer damit, dass einer denkt, es wäre ein Klacks. Du musst schon etwas genauer werden.«
»Mann, Schmicki, heute zickst du aber rum. Lange keinen Sex mehr gehabt, wie?«
Er grummelte säuerlich: »Du ahnst ja gar nicht, wie lange. Rede nicht um den heißen Brei, die Karten auf den Tisch.«
»Na schön. Ich soll ein Mädchen suchen, das seit drei Jahren verschwunden ist. Komische Sache, wenn man bedenkt, dass sie zwölf war, als sie die Platte putzte, jetzt müsste sie fünfzehn sein.«
Schmicki setzte sich auf und sah sie auf einmal sehr wachsam an: »Wo ist das Problem? Dies ist Deutschland, hier verschwinden Kinder nicht so einfach. Und was genau soll ich dabei machen?«
Katja Preuß beugte sich vor, ignorierte seinen Blick in ihren V-Ausschnitt und meinte mit der für sie typischen Mischung aus Konzentration und Sarkasmus: »Legenden, mein Schönster, alles Legenden. Jeden Tag verschwinden Mädchen dieses Alters in diesem unserem Lande und nur ganz selten tauchen sie wieder auf, dann allerdings mausetot. Nein, die Sache ist ganz profan, eigentlich. Es geht wohl um die übliche Sache: Ein Kind wird Waise, der Staat oder irgendwelche Verwandtschaft nimmt sich der Sache an und das Ding ist gegessen. Anderer Name, andere Stadt, unauffindbar weg! Und da dachte ich an dich und deinen tollen PC. Vielleicht könntest du etwas finden?«
Bedächtig schenkte er sich Bier nach und warf ihr einen kritischen Blick zu: »Katja, ich fürchte, du erzählst mal wieder nur die Hälfte, und zwar die harmlosere Hälfte. Bis hierhin handelt es sich doch um Routinearbeit. Eine Tonne Akten durchgewälzt und du hast das Kind gefunden. Hacker wie ich finden gut versteckte Geheimnisse, aber nicht den blauen Golf auf einem Riesenparkplatz, auf dem nur solche Kisten stehen. Also: wo ist der Haken?«
»Der Name ist der Haken. Er ist so verdammt häufig, dass mein Problem nicht darin besteht, dieses Mädchen zu finden. Es besteht darin, dass ich Dutzende gefunden habe und nebenbei nicht sicher bin, ob ich schon alle mit diesem Namen zusammen habe.«
»Aha. Und wie lautet dieser Name? Schmitz? Dann kann ich dir auch nicht helfen. Halb Köln heißt Schmitz. Oder Meyer? Gibt es auch tausendfach. Ich bin Hacker, kein Gott, der mit dem goldenen Finger auf das Ziel zeigen kann.«
»Nicht direkt, nein. Aber eine goldene Tastatur hast du vielleicht schon. Außerdem kann ich dich beruhigen, so schlimm wird es nicht. Der Name ist Bauer, Maria Bauer. Was ist?«
In dem Versuch, sein Glas auszutrinken, hielt Schmickler abrupt inne, die Augen quollen hervor und er machte ein gurgelndes Geräusch. Sogleich hatte er sich wieder im Griff, setzte das Glas hart ab, hustete und schlug sich vor die Brust. Sie betrachtete ihn ziemlich erstaunt und wartete ab, bis er sich erholt hatte.
»Mein lieber Scholli, du hast dich ja noch nie an Bier verschluckt, und dann gleich so heftig. Wirst du langsam alt, oder liegt es an mir?«