Das große Geheimnis. Thomas Pfanner
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Sie sah ihn in einer Mischung aus Misstrauen und Herausforderung an, da er sich offensichtlich nicht allzu wohl fühlte.
»Also gut«, sagte er zögernd und griff in die Tastatur seines bevorzugten Computers, »begeben wir uns an einen Ort, den nie zuvor ein menschliches Auge erblickte.« Sein halbherziger Scherz war zu durchsichtig angelegt.
»So ein Spaß. Bist du etwa nervös wegen so einer Lappalie?«
»Nein, eher wegen dir und der Überdosis Parfüm, mit der du diese Bluse zusammenhältst. Ich kann mich nicht richtig konzentrieren.«
Sie machte ein Gesicht, als müsste sie einem Kind zum wiederholten Male die Benutzung von Messer und Gabel erklären: »Alter Schwede, das hatten wir doch geklärt, oder? Bier ja, Sex nein. Du weißt, ich meine das nicht persönlich, ich bin nur schon vor langer Zeit zu der Überzeugung gelangt, dass Männer nicht gleichzeitig Freunde und Partner sein können. Und du bist mir nun mal als Freund wertvoller.«
»Schönen Dank auch«, erwiderte er verkniffen. Er kannte sie nicht anders, ehrlich bis zur Brutalität. Einerseits froh über die gelungene Ablenkung traf es ihn doch, von ihr dauerhaft verschmäht zu werden. Seufzend widmete er sich der anstehenden Aufgabe.
»Also dann, Katja. Wir suchen also eine Maria Bauer, ziemlich sicher fünfzehn Jahre alt, seit drei Jahren Vollwaise, nunmehr verschwunden. Weitere Anhaltspunkte?«
»Oh sicher, haufenweise.«
Auf seinen erstaunten Blick hin klopfte sie ihm leicht auf den Hinterkopf: »Knollenkopf! Wenn das so wäre, müsste ich dich nicht hier und jetzt belästigen. Es gibt nur noch zwei Informationen. Zum einen die einzige Info, die ich bekam, der Name der Großmutter, und dass die Eltern tot sind, natürlich. Damit konnte ich die letzte Adresse ermitteln, was für sich schon ein Akt gewesen ist. So viele Bauers gibt es, und mein Auftraggeber konnte nur damit dienen, dass es sich um den Großraum Köln-Bonn handelt. Immerhin, anhand der Großmutter kam ich auf die Namen der Eltern, und eine Tour durch alle möglichen Standesämter führte mich dann auf einen engeren Kreis von fünf Eheleuten, die alle eine Maria hatten und nun tot sind. Drei Marias sind zu alt oder zu jung, zwei sind verschwunden. Ich habe Telefon-CDs durchforstet, die Nachbarschaft befragt, Zeitungen aus der fraglichen Zeit besorgt, diese angeblich allwissende Internet-Suchmaschine befragt, nichts. Verbleib der Kinder nicht geklärt.«
Sie machte eine Pause, um einen tiefen Schluck zu nehmen. Schmicki konzentrierte sich vorgeblich auf seinen PC, gleichzeitig arbeitete es in ihm.
»Zwei also. Wie willst du die Richtige herausfinden?«
Sie sah ihn ernst von der Seite an: »Tja, an dieser Stelle wird es schmutzig. Ich habe als Nächstes recherchiert, wann und wie die Eltern ums Leben gekommen sind. Ein Paar ist bei einem Flugzeugabsturz umgekommen. Aber das andere Ehepaar gibt mir schwere Rätsel auf.«
»Aha? Wieso?«
»Weil es da keine Informationen gibt. Gar keine Informationen.«
Er sah von seinem Rechner hoch: »Ist das so ungewöhnlich? Du hast vielleicht an der falschen Stelle gesucht.«
Ganz sachte schlug sie ihm mit der flachen Hand auf den Hinterkopf. »Schmickler! Dass ausgerechnet du das sagst. Du musst doch am allerbesten wissen, dass wir im Zeitalter der Informationsdiktatur leben. Heutzutage bleibt doch nichts geheim, gar nichts. Der Normalfall ist doch der, dass ich etwas suche und viel zu viele Informationen erhalte. Mithin besteht die Schwierigkeit darin, aus dem Wust der Daten das Richtige herauszufiltern. In diesem Fall aber herrscht das absolute Nichts. Das macht mir zu schaffen und deshalb bin ich hier.«
Er wich ihrem empörten Blick aus. »Schon gut, musst mich nicht gleich fressen. Was soll ich also tun? Irgendeine Information muss es doch geben.«
Sie schnaubte verächtlich: »Klar, sie haben geheiratet. Sogar im Kölner Dom. Vor sechzehn Jahren, womit das Kind ein ehelicher Spross wäre. Nur für den Fall, dass das jemanden interessiert. Danach sind sie verschwunden. Also, Schmicki: Fass!«
Er blies die Backen auf und machte sich an die Arbeit. Eine ganze Zeit beschäftigte er sich damit, behördliche Datenbanken zu knacken, während Katja Preuß ungeduldig herumlungerte. Zwischendurch schreckte sie hoch, wenn er wieder „aha“ oder „so was“ ausrief, auf ihr rasches Hinzutreten jedoch mit abwehrendem Wedeln reagierte. Viel Geduld hatte sie nicht mehr übrig, als er sich endlich dazu bereitfand, seine Ergebnisse zu offenbaren.
»So. Ich habe ein wenig geschnüffelt und folgendes festgestellt: Das Ehepaar Bauer ist gleich nach der Eheschließung ausgewandert.«
»Ausgewandert?« unterbrach sie ihn, »wohin denn?«
»Das hätte ich dir schon gesagt, wenn du mich nicht unterbrochen hättest. Nun, sie sind nach Israel ausgewandert, ziemlich ungewöhnlich für Deutsche. Sie blieben genau sieben Jahre, dann kamen sie zurück.«
»Aha. Dann kannst du mir sicher erzählen, warum es mir nicht gelungen ist, diese Familie zu finden. Beim Einwohnermeldeamt ist immer noch die alte Adresse verzeichnet, unter der sie sich nach der Vermählung angemeldet haben.«
Sie sah ihn auffordernd an. Schmickler wiegte den Kopf bedächtig, kaute auf der Unterlippe und schielte auf seinen Monitor. »Sie haben den Namen geändert.«
»Den Namen geändert? Wie? Wann? Warum? So was gibt es doch im deutschen Namensrecht gar nicht.«
»Gibt es doch. Das Namensrecht wurde modernisiert. Man kann seit einigen Jahren einen anderen Nachnamen annehmen, wenn er in der Familien-Historie schon mal vorgekommen ist.«
Sie schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn: »Schmicki, nun reiß dich mal zusammen. Deine Nervosität macht mich rasend. Das ist doch keine Sache, bei der man den Tatter kriegen muss. Jetzt noch mal ganz langsam: Wie ist das mit dem modernen Namensrecht?«
Er beschloss tatsächlich, sich zu konzentrieren. Katja sollte nicht auf dumme Gedanken kommen. Also musste er sie weiter einnebeln. »Du sitzt auch wirklich sehr dicht bei mir. In meinem Dasein als asketischer Mönch, der nur seine Maschinen kennt, bin ich ziemlich empfindlich gegen stark parfümierte Wuchtbrummen.«
Halb besänftigt knurrte sie gespielt drohend: »Wenn ich es mir überlege: Es stimmt. Du hast seit Jahren keine Freundin mehr gehabt. Bilde dir aber bloß nicht ein, dass ich dir auf dem Gnadenweg aus deiner Not helfe. Also los, noch mal von vorne.«
Erleichtert ging er zu den Erklärungen über.
»Nun, man kann heutzutage auf besonderen Antrag einen anderen Namen annehmen. Da gibt es verschiedene Gründe, die akzeptiert werden, in diesem Fall ist aber folgende Möglichkeit relevant. Man nimmt einen Namen an, der vor langer Zeit bereits einmal von einem Vorfahren in direkter Linie geführt wurde.«
»So?«
»Ja, sicher. Das Witzige daran ist, dass diese Möglichkeit geschaffen wurde, um den Reichen und Schönen in diesem Land entgegen zu kommen. Speziell der deutsche Adel fand es recht blöd, dass die Frauen bei Heirat den bürgerlichen Namen des Mannes annehmen mussten und so ihren klingenden Edelnamen verloren. Also schuf man die Möglichkeit einer Rückübertragung des Namens, mit dem kleinen Effekt, dass der bürgerliche Gatte plötzlich auch ein Von-und-zu wurde. Inflation sozusagen, denn nun bleibt der Name und wird munter weitergegeben.«
»Und was genau ist daran witzig? Diese Maria hat keinen Adelstitel.«
»Schon.