Das große Geheimnis. Thomas Pfanner
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Katja lehnte sich zurück und dachte nach. Dann wandte sie sich wieder an Schmickler: »Agricola, ja? Wirkt auf mich wie ein Rätsel für Insider. Ein wirklicher Identitätswechsel wird jedenfalls anders gemacht.«
»Wie man es nimmt. Das Ehepaar hieß jedenfalls weiterhin Bauer. Nur die Tochter wurde umbenannt.«
»Was? Was soll das denn? Wieso waren sie dann nicht polizeilich gemeldet?«
Jetzt wurde es spannend. Schmickler suchte sich seine Worte sorgfältig aus.
»Lass es mich so ausdrücken. Es hat ihnen jemand geholfen.«
»Ja. Und? Immer hilft jemand jemand anderem. So funktioniert die Gesellschaft. Über die Helfer findet man dann am Ende solche Leute.«
»Oh Katja, für eine ehemalige Polizistin, die zu ihrer Glanzzeit jeden Fall lösen konnte, redest du hier aber ein bisschen sehr unbedarft. Ich rede hier von Helfern, an die man nicht so ohne weiteres herankommt.«
»Ah ja? Terroristen? KGB?«, erwiderte sie schnippisch. Sie mochte es gar nicht, an glanzvolle Zeiten erinnert zu werden. Seit der Begebenheit mit dem Bischof galt das nichts mehr. Vor zwei Jahren hatte sie einen durchgedrehten Rächer dazu ermuntert, seinem Opfer, eben jenem Bischof, ins Bein zu schießen. Damit hatte sie ihm das Leben das Leben gerettet, nur leider hatte der Würdenträger keinerlei Dankbarkeit gezeigt. Seitdem schlug sie sich als Detektivin durchs Leben.
»Nahe dran, unser eigener bundesdeutscher Nachrichtendienst. Die haben höchstselbst frische Papiere ausgestellt.«
Nun staunte Katja doch und vergaß sogar, Schmickler wegen seiner offenen Worte eins auszuwischen.
»Alter Schwede! Dann sind die Leute doch bedeutend. Umsonst macht sich unser Staat nicht die Mühe, jemanden zu schützen. Was haben die denn ausgefressen? Handelt es sich bei denen etwas um Spione?«
»Ich glaube nicht. Jedenfalls habe ich nichts dergleichen finden können. Und ganz sicher trifft dieser Verdacht nicht auf das Kind zu. Die Eltern sind schließlich tot, und für Tote interessiert sich niemand.«
Katja lehnte sich grübelnd zurück.
»Da muss ich dir recht geben, leider. Andererseits halte ich es für ein ziemlich sicheres Alarmzeichen, wenn niemand über diese Leute etwas weiß. Gäbe es kein Geheimnis, würde man etwas finden können. Irgendetwas, normale Menschen hinterlassen doch Spuren, sie kaufen und verkaufen, gehen mit Behörden und Banken um, sterben eventuell. Hey, das ist es. Gibt es Gräber?«
Schmickler wiegte unbehaglich den Kopf und starrte auf den Monitor, während er leise antwortete: »Cha sgeul-rùin e 's fios aig triùir air. Altes irisches Sprichwort. Bedeutet so viel wie: Wenn es drei wissen, ist es kein Geheimnis mehr. Nach dieser Maßgabe müssen ein paar Leute in diesem Fall vorgegangen sein. Der zuständige Mann beim Geheimdienst ist nämlich zufällig nicht mehr auffindbar. Aber wenn man tief genug gräbt, findet sich immer ein kleiner Zipfel der Wahrheit. Den glaube ich gefunden zu haben. Da gibt es nämlich einen kleinen Dorffriedhof in einem kleinen Dorf, Roisdorf bei Bonn, hinter einem kleinen Altenheim.«
»Bei den sieben Zwergen hinter den sieben Bergen«, unterbrach Katja unwirsch, »komm mal zum Punkt, Schönster.«
»Nun, dort sind die Eltern begraben. Der Trick ist, dass du das Grab des Ehepaares nicht so leicht finden wirst.«
»Du hast doch gerade gesagt, dass dieser Friedhof zwergenhafte Ausmaße hat. Wo also ist das Problem? Ist da alles überwachsen, oder was?«
»Nein, im Gegenteil. Da ist alles wunderbar gepflegt, wirklich gut. Der Haken besteht in den Namen der Beerdigten.«
Wieder einmal nervte sie seine umständliche Art, vom Hölzchen aufs Stöckchen zu kommen.
»Oh Schmicki, nun mach mal. Das ist ja nicht auszuhalten.«
Sie hasste es, wenn Männer um den Brei herum redeten, vor allem deshalb, weil in diesen Fällen immer ein dickes Ende bevorstand. Sie verspürte keine Lust auf schlechte Neuigkeiten, die mit reichlich Gedruckse nur noch schlechter werden konnten.
»Schon gut, es ist nur so, dass jeder auf diesem Friedhof Bauer heißt. Wirklich jeder, etwa 120 Leute. Das wird richtig schwierig.«
»Na, das nenne ich mal eine Neuigkeit. Mhm.«
Sie dachte eine Weile nach, kritisch von Schmickler beobachtet. Schließlich gab sie sich einen Ruck: »Schön, das muss ich mir persönlich ansehen. Hast du sonst noch was für mich? Ist eigentlich bekannt, wann genau und woran die Eltern gestorben sind?«
»Bedingt. Auf dem Grabstein wird das Datum draufstehen, weitere Informationen habe ich nicht finden können. Nur diese Notiz im Zentralcomputer unserer Vaterlandsbewahrer, in der als letzter Verbleib dieser Friedhof erwähnt wird.«
»Wundervoll. Todesursache also nicht bekannt?«
»Nein, allerdings komme ich nicht an alle Daten heran. Gerade bei den Geheimen wird noch sehr viel in Papier abgelegt und nicht im PC. Da ist dann auch für mich Schluss.«
Unschlüssig betrachtete sie ihre blassrot lackierten Fingernägel und durchdachte die Optionen. »Und das Mädchen? Hast du darüber etwas herausgefunden?«
»Freut mich, dass du noch darauf zu sprechen kommst. Wie ich anfangs erwähnte, bin ich darauf gestoßen, wie das Mädchen heute heißt. Damit konnte ich sie weiterverfolgen. Sie ist nicht adoptiert worden, sondern lebt als Waise in einem Internat.«
Katja reckte sich und massierte sachte ihre Schläfen, während Schmickler die daraus erwachsende Gelegenheit nutzte, um das Relief ihrer Brüste auf dem Pullover zu betrachten. Sie bemerkte es, knurrte kurz und ließ die Arme wieder fallen: »Na schön, dann gibt mir mal die Adressen, die du hast, Friedhof, Internat, etc. Ich werde da mal hingehen.«
»Das trifft sich wirklich gut, weißt du? Die haben nämlich gerade morgen Schulfest. Da kann jeder hingehen, ohne Verdacht zu erregen.« Ein listiges Grinsen erschien auf seinem Gesicht. »Du kannst denen ja erzählen, du hättest eine große Tochter, für die du ein Internat suchtest, weil du mit der Erziehung nicht mehr … aua!«
Mit ungnädiger Miene klapste sie ihn heftig auf den Hinterkopf. »Tolle Idee, typisch für einen Computer-Sklaven. Ich bin gerade dreiunddreißig, aus Überzeugung ledig und habe auch nicht die Hüften einer Mutter.«
Es erleichterte Schmickler ungemein, dass sie wieder zu ihren normalen Neckereien zurückgefunden hatte, daher riskierte er gerne noch einen Klaps: »Na ja, dass mit den Hüften würde ich nicht unterschreiben … au! Ist doch nicht so schlimm, Männer stehen auf Wuchtbrummen … aua! Ich meine, ein riesiger, halbrunder knackiger Hintern … au, au, schon gut, schon gut.«
Verbissenen Gesichts schlug sie ihm bei jedem Satz heftiger mit der flachen Hand auf den Hinterkopf, bis er endlich aufgab. Seine Worte ärgerten sie nicht wirklich, sie mochte ihre an sich schlanke, aber doch gerundete Figur. Nur sagen lassen wollte sie sich nichts. Ein Liebhaber hatte ihre Beine einmal als ionische Säulen bezeichnet, woraufhin sie ihn sofort hinausgeworfen hatte. Erst später war ihr klar geworden, dass er sie gar nicht hatte beleidigen wollen.
»Hast du eventuell noch ein