Die Kostenvermeidungsdirektive. Jens Wahl

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Die Kostenvermeidungsdirektive - Jens Wahl

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duschte und rasierte sich auch Torsten Klarmann, um pünktlich sieben Uhr frühstücken zu können. Der Landausflug sollte neun Uhr beginnen. Die Zeit zwischen Frühstück und Ausflug wollten sie nutzen, um vom obersten Deck aus Fotos zu schießen und sich schon mal ein Bild von der Landschaft zu machen.

      Beide waren begeistert: Ein paar kleine Wölkchen behinderten die Sicht nicht, da sie sehr hoch am Himmel schwebten. Rechts vom Teide vergoldete die Sonne das ganz ruhige Meer. Und drehten sie sich um, erblickten sie die bunten, am Berghang klebenden Häuser von San Sebastian. „Das sieht aus wie eine gomeranische Favela - aber deutlich schöner als in Brasilien“, meinte Torsten Klarmann zu seiner Frau. „Ja, hier sieht das alles viel freundlicher aus“, konnte diese seine Meinung bestätigen. Mit dem Fernglas konnte sie eine eingerüstete Christusstatue auf dem Berg oberhalb des kleinen Hafens erkennen. „Ist die aber mickrig“, fiel ihr Vergleich zu der bekannten Statue in Rio aus.

      Da sich alle Teilnehmer „ihres“ Landausfluges um 8:45 Uhr an der Tanzfläche auf Deck 8 treffen sollten, mussten Klarmanns erst von Deck 4 die Treppen bis auf Deck 8 hinaufsteigen - an den Hafentagen konnte man zur Zeit des Beginns der Landausflüge nicht hoffen, einen der Lifte benutzen zu können. Als alle Teilnehmer zusammen waren, walzte sich die Menge durch das Treppenhaus wieder abwärts bis auf Deck 3 zur Schleuse. So ganz begriffen Klarmanns wohl nie, weshalb alle Ausflüge gleichzeitig beginnen mussten. Bei einer zeitlichen Versetzung von zehn oder fünfzehn Minuten wäre dann der Stau vor der Schleuse oder schon im Treppenhaus deutlich geringer. Und würden sich die Teilnehmer außerhalb des Schiffes treffen, könnte man einen Großteil dieser Menschenwalzen durch die Treppenhäuser vermeiden - AHOS wollte es aber nicht anders.

      Am Bus wurden sie von der gomeranischen Reiseleiterin Elena und dem Busfahrer Rico begrüßt. Da Elena deutsch sprach, fuhr diesmal kein Guide von AHOS mit. Torsten und Gudrun fanden auf der rechten Seite eine Sitzreihe für sich. Doch mit der Abfahrt musste noch gewartet werden, da die Ehefrau eines Ausflugsteilnehmers immer noch nicht „eingetrudelt“ war. Als sie dann endlich den Bus bestieg, stupste Torsten Klarmann seine Angetraute leicht in die Seite: „Das ist doch eines der beiden Pärchen, das schon gestern Abend zur Seenotrettungsübung zu spät gekommen war. Kennen denn diese Deppen keine Uhr?“ Der Bus fuhr erst kurz durch San Sebastian und dann ging es auf Kehren schnell aufwärts in die Berge. La Gomera war, wie alle Kanareninseln, vulkanischen Ursprungs und dies war sehr schnell an den Bergformen und dem seit Millionen von Jahren erstarrten Ergussgestein zu sehen. Rico machte, wo es möglich war, immer wieder einen Stopp, um den Ausflugsteilnehmern die Möglichkeit zu geben, sich die Beine zu vertreten und zu fotografieren. Die Reiseleiterin Elena nutzte jeden Stopp zu einer Zigarette.

      Über das Hermigua-Tal, das Klarmanns etwas an in einem Bildband gesehene Bilder von Hawaii erinnerte, ging es durch Agulo zum Mirador de Agulo. Dieser Aussichtspunkt lag oberhalb des Dorfes vor einem Tunnel mit fast klarem Blick zum Teide. Der höchste Berg Spaniens hatte nur eine kleine Bauchbinde aus Wolken. Die wenigsten drehten sich mal in die Gegenrichtung und legten den Kopf in den Nacken. Wer dies tat, konnte oberhalb auf dem Berg die gläserne Aussichtsplattform des Mirador de Abrante sehen - diese war aber nicht Ziel des heutigen Ausfluges.

      Über den Nationalpark Garajonay und den Nebelwald bei La Laguna ging es wieder talabwärts. Einen letzten Stopp machte Rico am Roque de Agando, dem „Zuckerhut Europas“. Dieser gefiel den beiden besser als der echte Zuckerhut in Rio. Wahrscheinlich war es das rechts steil abfallende Tal, das ihn deutlich höher und wuchtiger aussehen ließ als das Original. Am liebsten hätten sich Klarmanns hier auf die Wiese gesetzt und mehrere Stunden die Aus- und Ansicht sowie die nur durch wenige Autos unterbrochene Ruhe genossen. Die Welt konnte so schön sein! Während sie noch schauten, stiegen die anderen Teilnehmer nach ein paar schnell geknipsten Bildern schon wieder in den Bus. Schade, dass dieses Glück so schnell schon zu Ende war. Solch ein Glücksgefühl konnten sie bei etwas Gekauftem nie empfinden, egal, wie wertvoll es sein sollte.

      Im Bus stellte Torsten erst einmal die Lehne so weit wie möglich nach hinten - sein Rücken schmerzte wieder mal. Glücklicherweise war die Sitzreihe hinter ihnen leer, sodass keiner dadurch eingeengt wurde. Während die Implantate leicht nach vorn gebogen waren, hatte er versucht, sich beim Betrachten des Roque de Agando nach hinten zu beugen - gegen die Implantate. Das war eine Anstrengung, die sein Körper nicht ungestraft hinnahm. Aus diesem Grund hatte er auch mit seinem Arbeitgeber vereinbart, dass er sich bei Schmerzen auf die Nothilfeliege legen und den Rücken entspannen durfte - natürlich musste er vorher ausstempeln.

      Wieder auf der „Atlantico“ angekommen, war nicht mehr viel Zeit zum Mittagessen. Erst danach zogen sie sich um, duschten und begaben sich auf Deck 11, um noch etwas Sonne zu tanken und diese wunderbare Aussicht genießen zu können. Doch schnell bedeckte sich der Himmel und ein leichter Nebel zog auf - der normale Nachmittagsnebel auf La Gomera.

      Nach dem Kaffee wurde die Sicht wieder klarer und die immer weiter sinkende Sonne zauberte kräftige Schatten in die Steilküste links vom Teide. Zum Abendessen lief die „Atlantico“ schon aus und beide Inseln sollten schnell am Horizont verschwinden. Als es dunkel wurde, gingen Klarmanns in ihre Kabine und sahen sich die heute geschossenen Bilder und Videoclips mithilfe eines USB-Adapters am Fernsehgerät an. Gudrun war immer noch hoch begeistert: „Also diese Reise würde ich am liebsten noch mehrmals mit AHOS machen! Das Gomera hat mir äußerst gut gefallen, nur schade, dass es nicht auch bei den Einwochentouren mit den größeren Schiffen angelaufen wird. Und schade finde ich auch, dass wir hier nur so kurz waren. Ich glaube, dass es auf dieser Insel noch viele schöne Ecken zu sehen gibt.“ „Dann lass uns doch hier mal ein bis zwei Wochen Urlaub machen - ganz ohne Schiff“, schlug er vor. „Nein, auf diesen ‘Luxus’ möchte ich auch nicht mehr verzichten - ohne Überbuchung, eine relativ gute Sauberkeit, tolles Essen. Ich habe nicht vor, noch mit sechzig die Nacht am Strand zu verbringen, wie wir das 1994 auf Mallorca mussten, weil das Hotel überbucht war. Und vergiss nicht 1997, als uns das Hotel auf Gran Canaria zu viert in ein Zweibettzimmer stecken wollte, obwohl wir zwei Zweibettzimmer gebucht und bezahlt hatten - und deren Büfett war ja auch gerade so zum Überleben, verglichen mit dem, was uns AHOS bietet“, spöttelte sie. „Ich werde nur noch mit AHOS verreisen - wenn die nur mal ein paar neue Reiseziele anbieten würden; solche, die uns noch interessieren.“ „Das wäre?“, fragte er sie, obwohl er die Antwort schon jetzt kannte. „Na, die Pazifikküste von Alaska bis Chile, Neuseeland, die Südsee und Südafrika kann ich dir da gleich nennen.“ „Ich glaube nicht, dass die wenigstens einen Teil davon realisieren werden, solange wir noch reisefähig sind beziehungsweise das Geld noch dafür haben“, bezweifelte er die weitere Entwicklung. „Allerdings verstehe ich nicht so ganz, wie man ein Schiff ‘Pazifico’ taufen kann und es dann meist nur in Ost- und Nordsee kreuzt - der Name sollte doch Programm sein, genau wie bei der ‘Atlantico’!“, äußerte Gudrun nicht ganz so ernst gemeint.

      Abends gingen sie noch an die AHOS-Bar, um vor dem Zubettgehen einen Cocktail zu trinken. Dort unterhielten sie sich mit einem Paar, das heute an einem anderen Ausflug teilgenommen hatte, und ließen sich deren Erlebnisse schildern.

      Die beiden nächsten Tage waren sogenannte „Seetage“, also ohne Landausflüge. Während dieser beiden Tage trug die „Atlantico“ ihre Passagiere Richtung Süden zu den Kapverden. „Seetag“ bedeutete Frühstück, Mittag, Kaffee, Abendessen. Dazwischen das Sonnendeck zum Chillen oder „sich-selbst-grillen“, wenn man sich nicht eine der Informationsveranstaltungen zu den kommenden Landausflügen antat oder an einem Kurs teilnahm. Gudrun hätte eigentlich gern am Tanzkurs teilgenommen. Aber Torsten war ein totaler Tanzmuffel - nicht weil er nicht gern tanzen würde, sondern weil ihm der Rhythmus im Blut fehlte, wie er immer selbst sagte. Er befürchtete, Gudrun dabei mehr auf den Füßen herumzutrampeln. Seine Frau war nicht gerade schlank (das waren beide über dreißig Jahre lang gewesen, also kann man auch mal dreißig Jahre nicht ganz so schlank sein), hatte aber den Rhythmus und das Temperament einer Brasilianerin im Blut. Sag mal einer, dass vollschlanke Frauen nicht auch beweglich sein können! „Und beim Schimpfen hast du das Temperament einer Italienerin“, frotzelte

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