Trojanische Pferde. Peter Schmidt
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Trojanische Pferde - Peter Schmidt страница 6
“Der einfache Thailänder ernährt sich von Chili und Zitronengras, und sonntags kommt allenfalls mal ein Stück gebratener Vietnamese auf den Tisch. Aber Spaß beiseite. Wussten Sie, dass Thailand für Asien so was wie die Schweiz für Europa ist?”
“Sie können Sie nicht einfach mitnehmen, es sei denn …”
“Ja?”
“Dass Sie für unsere Auslagen aufkommen.”
“Und wie hoch ist ihr Preis?”
“Sie meinen die Auslösesumme für Sum Nongs Schulden?”
“Wenn Sie's so nennen wollen? Kommt wohl auf dasselbe heraus, oder?”
“Der Verein hat im Rahmen seines humanitären Programms achtzehntausend Mark investiert. Es gibt eine Verpflichtungserklärung Sum Nongs für diesen Betrag. Wenn Sie soviel Geld für sie aufbringen, können Sie sie mitnehmen.”
“Ich werde den Teufel tun”, sagte ich. “Ich werde nicht mal achtzehn Mark für Sum Nong bezahlen. Was Sie mir anbieten, ist getarnter Menschenhandel.”
Helga gehörte zu dem Typ von Frauen, an denen Unterstellungen oder Beschimpfungen abprallen wie Hartgummibälle von einer Stahlbetonwand.
“Sum Nong ist außer der ständigen Crew des Vereins leider momentan unser einziges Mädchen. Ich erwarte neue Gäste aus Thailand in etwa einer Woche. Darunter werden auch ein paar sein, deren Auslösesummen wir aus humanitären Gründen etwas niedriger halten konnten – sechstausend Mark. Wenn Sie so lange warten wollen?”
“Mir geht’s nicht um irgendein beliebiges Mädchen, sondern um Sum Nong.”
“Sum hat ihren Preis.”
“Und wenn Sie mir das Mädchen einfach kostenlos überlassen?”, fragte ich.
“Sums Auslösesumme ist achtzehntausend”, wiederholte sie genervt; dabei kämpften Ekel und Langeweile in ihrem verhärmten Putzfrauengesicht einen vergeblichen Kampf miteinander. Vielleicht würde der Ekel irgendwann siegen, aber im Moment sah es nicht danach aus.
“Sie haben sicher nichts dagegen, mir Ihr Angebot schriftlich zu unterbreiten, Helga?”
Soweit hätte ich nicht gehen sollen. Sie schien plötzlich zu kapieren, woher der Wind wehte und lehnte sich entgeistert im Fernsehsessel zurück. “Wie war das gerade? Habe ich Sie richtig verstanden?”
“Na, im Geschäftsleben ist es schließlich üblich, seine Angebote schriftlich zu unterbreiten. Erst recht, bei einer so hohen Auslösesumme, wegen der rechtlichen Formalitäten.”
“Rechtliche Formalitäten? Von welchen rechtlichen Formalitäten reden Sie eigentlich, verdammt noch mal?”
Helga hatte den Fernseher abgeschaltet, und war aufgestanden, aber ihre Hände – faltige, blaugeäderte Altfrauenhände – begannen genauso nervös umherzufuchteln wie die Scherenzangen des schwarzen Monsters eben auf dem Bildschirm. “Jetzt aber raus”, sagte sie mit überraschend fester Stimme. “Sonst lass ich Ihnen Beine machen …”
Ich tat, als hätten ihre Worte tiefverwurzelte Ängste vor alten Frauen in schwarzen Drachenkimonos in mir geweckt, die mich schon seit der Kindheit plagten. Also kehrte ich achselzuckend zur Theke zurück und nahm Sum Nongs Hand.
“Komm mit”, flüsterte ich. “Wir verlassen jetzt diese ungastliche Etablissement. Die Inhaberin hat zu viele blutrünstige Monsterfilme gesehen …”
Als ich mich mit ihr der Tür näherte, hörte ich Helga aufgeregt im Büro über die Sprechanlage Befehle erteilen. Ihre Worte klangen wie Dumdumgeschosse, und jedes der abgeplatteten Projektile sollte mich genau zwischen die Augen treffen, dem Klang ihrer Stimme nach zu urteilen.
Eines der Mädchen kam hinter der Garderobe hervor. Es war einen ganzen Kopf größer als Sum, resoluter, mit längeren Armen. Ihr Gesicht hatte diesen unschuldigen Ausdruck, der mir immer höchste Wachsamkeit signalisiert, und ihre nackten Füße steckten in weißen Turnschuhen, deren Schnürsenkel auf dem Boden schleiften, als sei sie gerade dabei gewesen, sich hinter der Garderobenwand umzuziehen.
Während ich die Türklinke drückte und feststellte, dass die Tür verschlossen war – vielleicht durch einen elektrischen Drücker, den man umschalten konnte –, nahm das Mädchen Sums Arm und begann heftig in ihrer Sprache auf sie einzureden. Sum machte sich gereizt los. Sie schrie etwas auf Thai und versetzte dem Mädchen einen Stoß. Ich ging um die Theke der Garderobe und suchte unter der Platte nach dem Türdrücker.
Das Mädchen fiel mir in den Arm, als ich den Doppelschalter gefunden hatte; aber ich stieß es weg und rief Sum zu: “Aufpassen jetzt …” Es gab ein summendes Geräusch, als ich den Knopf drückte.
Sum Nong blieb in der offenen Tür stehen, um auf mich zu warten.
4
Wir waren gerade ins Taxi auf der anderen Straßenseite gestiegen, da erschien Helga im Eingang. Sie hielt etwas in der Hand, das verteufelte Ähnlichkeit mit einem elektrischen Schlagstock aus schwarzem Hartgummi besaß.
Sie winkte uns damit zu, und ich winkte dezent zurück. Während wir abfuhren, sah ich aus den Augenwinkeln, dass oben am Ende der Feuerleiter die Eisentür aufging und ein langer Lulatsch seinen Kopf heraussteckte.
Er hatte kurzes weißes Haar, das über den Ohren etwas zu hoch ausrasiert war, und dicke goldene Ringe an den Fingern. Dem Gesicht nach zu urteilen hätte es Helgas Sohn sein können.
Ich wäre gar nicht abgeneigt gewesen, auszusteigen, und ihn zu fragen, ob er für das doppelläufige Jagdgewehr in seinen Händen einen Waffenschein besaß. Aber Sums ängstliche Blicke hielten mich davon ab. Ich wartete auf das Geräusch eines aufheulenden Motors hinter uns oder einen Schuss, der von der Straßenecke aus unsere Heckscheibe zertrümmert. Doch wir bogen langsam in die Hauptstraße ein. Oder was sich in diesem Viertel Hauptstraße nannte …
Die Fassaden waren wegen der paar Leuchtreklamen nur unwesentlich heller als in den Seitenstraßen, aber die Straßenlaternen sahen immer noch so aus, als seien sie auf halbe Kraft geschaltet.
Sum warf einen ängstlichen Blick in den Rückspiegel.
“Keine Angst, wenn jetzt nicht gleich einer von Helgas Ballermännern auf seinem Rennmotorrad um die Ecke biegt, sind wir überm Berg …”
“Das wäre wirklich phantastisch.”
“Warum hast du dich überhaupt von dem Laden anheuern lassen, wenn du so wild darauf bist, ihn möglichst schnell wieder loszuwerden?”
Sum zuckte die Achseln und schwieg.
Ihr Schweigen klang, als wolle sie mir damit zu verstehen geben: Es