Trojanische Pferde. Peter Schmidt
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Als ich meinen Versuch zum drittenmal wiederholt hatte, entdeckte ich über mir das Kameraauge. Es war im Türrahmen eingelassen, da, wo sich einmal der Öffner für das Oberlicht befunden haben musste.
Ich hob ein vertrocknetes gelbes Blatt vom Boden auf, das die Straßenfeger beim letzten Großreinemachen übersehen hatten, feuchtete es mit Spucke an und klebte es auf das Objektiv …
Die Gegensprechanlage neben meinem Ohr knackte.
Einen Augenblick später ertönte der Summer. Ich drückte die Tür auf.
An der Decke über mir brannte eine armselige Glühbirne ohne Schirm, ungefähr so schummrig wie das Ding, das meinen Kühlschrank beleuchtete. Und dann noch mal eine über dem Treppenabsatz.
Keißen kam durch das hohe Treppenhaus herunter, eine Hand in der Tasche seines Sakkos. Als ich ihn sah, erinnerte ich mich wieder an seine Geschichte.
Sie war ein paar Mal mit den dazugehörigen Fotos durch die Lokalblätter und die Regenbogenpresse gegangen. Keißen war mal Schwimmchampion gewesen, bevor er es sich hatte leisten können, ein Imperium abbruchreifer Häuser zu erwerben, um damit möglichst viel Geld zu scheffeln. Er verlangte jedes Opfer von seinen Mitarbeitern und war gegen sie genauso hart wie gegen sich selbst.
Es kam mir merkwürdig vor, dass so einer sich auf seine alten Tage eine junge Thailänderin an Land gezogen haben sollte.
Er war jener Typ von Männern in vorgerücktem Alter, die alles für ihre Gesundheit und ein langes Leben tun. Ein hagerer hakennasiger Asket, der im Winter in vereisten Seen badete, um sich abzuhärten, und es ablehnte, bei Temperaturen unter Null wie gewöhnliche Senile einen Schal zu tragen. Seine Gesichtshaut sah aus, als habe der mongolische Wüstenwind daran schon mal zu Übungszwecken sein Mütchen gekühlt, und zwar mit gutem Erfolg.
“Hallo”, sagte er. “Ihr Scherz eben mit dem Blatt auf dem Objektiv hat mir gar nicht gefallen …”
“Ich würde Sie gern in einer Angelegenheit sprechen, die vor einiger Zeit die Polizei beschäftigt hat.”
Wir taxierten uns. Er hatte sympathische Augen aber einen etwas zu herben Zug um den Mund. Genau so streng, wie es sich für einen Mann in seinem Job gehörte.
“So? Na, da haben Sie Glück. Ich bin gerade dabei, für ein paar Wochen zu verreisen. Eine Kreuzfahrt durchs Eismeer.” Seine Stimme klang überraschend verbindlich. Ich nahm an, dass er fürs Eismeer schon seine Badehose eingepackt hatte, die Jahreszeit war günstig.
“Worum geht's denn?”, fragte er, als ich keine Anstalten machte, weiterzureden. “Doch wohl nicht immer noch um dieses arme thailändische Ding, das in meinem Swimmingpool ertrunken ist? Ich dachte, die Sache sei längst ausgestanden? Aber lassen Sie uns lieber ins Wohnzimmer gehen, da ist es gemütlicher.”
Das Haus war trotz des beginnenden Winters ungeheizt und düster und ungefähr so gemütlich wie die Lagerhalle eines Möbelspediteurs. Beim Eintritt entdeckte ich am Kaminsims im Bilderrahmen den Ausriss einer Zeitung, auf dem zwei junge Schwimmchampions in die Kamera lächelten. Die Schlagzeile lautete:
Kann Keißen junior an die legendären Siege seines Vaters anknüpfen?
Sie waren so drahtig und durchtrainiert, wie man’s nur eine gewisse Zeit lang im Leben sein kann, etwa zwischen achtzehn und achtundzwanzig. Das Wasser auf ihren braunen Bizeps perlte, als seien sie eingeölt. Keißen junior hielt seine Trophäe ins Bild. Er hatte einen Igelhaarschnitt, und seine glatte hohe Stirn über den etwas zu engstehenden düsteren Augen hätte keinen Seelenklempner glücklich gemacht, was die Prognose für sein ferneres Leben anbelangte. Der Name des anderen Schwimmers, der vertraulichen Haltung nach vielleicht ein Freund Keißen juniors, sagte mir nichts: Fritz Marten.
Ich setzte mich in einen der kalten, knarrenden Sessel am Fenster, von denen aus man in den Innenhof mit seinem Flachdachgebäude blicken konnte. Ich nahm an, dass sich darin der Swimmingpool befand.
“Macht's Ihnen was aus, wenn Sie uns in der Küche einen Drink mixen?”, fragte Keißen. “Ich habe keine sonderlich glückliche Hand dabei. Meine Gäste beschweren sich immer darüber, dass ich nie die richtige Mischung treffe.”
“Gern.” Ich mixte uns nebenan einen Cocktail nach dem Rezept von “Stausee-Spezial”, das ich auf der Karte der Hotelbar gelesen hatte. Er sah genauso trübe aus wie das Wasser im See, obwohl die Schwermetalle und Schadstoffe durch Tequila und Fernet Branca ersetzt worden waren.
Als ich in den Salon zurückkam, war der Zeitungsausschnitt vom Kaminsims verschwunden.
Ich erzählte Keißen meine Geschichte. Ich beschrieb ihm, wie mich die beiden Anwälte aufgesucht hatten. Ich schilderte ihm Sum Nongs “Entführung” und dass sie aus dem Hotel verschwunden war. Ich machte auch keinen Hehl daraus, dass sie mir gestanden hatte, sie sei Nams Zwillingsschwester. Keißen hörte mir schweigend zu. Seine Hände zitterten manchmal, aber nur ganz unmerklich.
“Ich habe seit meiner Jugend ein Diplom als Rettungsschwimmer”, sagte er. “Ich hätte das Mädchen sicher an Land gezogen, wenn ich damals zur Stelle gewesen wäre. Nam war eine gute Gesellschafterin. Sie sprach zwar nur wenig Deutsch, und von meinem Schulenglisch ist nicht mehr viel übriggeblieben in all den Jahren, aber mir genügte es schon, dass sie da war.”
“Sie leben allein?”
“Seit dem Tode meiner Frau.”
“Ein ziemlich großes Haus für einen alleinstehenden Mann.”
“Ich bin ein Mensch, der das Gefühl braucht, es gebe keine Wände um ihn herum. Es gibt sie zwar, überall in der Welt gibt es Wände, solche und solche. Daran kann man wohl nichts ändern. Aber in irgendeiner Wand befindet sich eine Tür, die weiterführt. Verstehen Sie, was ich damit sagen will?”
“Ehrlich gesagt, nein.”
“Ihre Antworten sind ziemlich unverblümt, Winger. Aber keine Sorge, ich mag das. Ich mag Menschen, die eine eigene Meinung haben.”
“Und was macht Sie so sicher, dass ich zu diesen klugen Knaben gehöre?”
“Manchmal reichen schon wenige Worte, um jemanden einzuschätzen.”
“Bei Ihnen könnte ich das guten Gewissens nicht behaupten …”
Er lachte. Wir taxierten uns wie zwei Boxer im Ring, die nach einer Schwachstelle suchten. Die Magengrube? Ein Schlag in die Nieren? Oder aufs Glaskinn?
“Wieso?”, fragte er.
“Am Geld kann’s nicht liegen, dass Sie so zurückgezogen leben, hab’ ich recht?”
“Na, was man so zurückgezogen nennt. Mir ist es allemal lieber, meinen Dachgarten in Schuss zu halten, als mich mit den Verrückten da draußen herumzuschlagen. Die eigentlichen Geisteskranken stecken nicht in den Irrenhäusern, sondern machen Politik und Geschäfte. Oder laufen frei herum und verkaufen den Leuten ihre fixen Ideen als ewige Wahrheiten. Sehen Sie sich doch an, was in der Welt passiert. Giftgasanschläge auf die U-Bahn in Tokio, Bombardierungen von Kurdendörfern im Irak, und der Krieg in Jugoslawien nimmt kein Ende …”
“Sum