Appalachian Trail. Eckhard Seipelt
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Sie fährt uns über kleine Wege noch einige Kilometer weiter als ursprünglich vereinbart, damit wir möglichst tief im Wald Schutz vor dem immer noch recht heftigen Unwetter finden. Als wir schließlich mit einem flauen Gefühl im Magen ihr Fahrzeug verlassen, werden wir zum Abschied sehr lange gedrückt. Debbie wünscht uns aufrichtig „good luck“ und bittet uns, dass wir uns bei nächster Gelegenheit kurz bei ihr melden, damit sie erfährt, ob alles gut gegangen ist.
Mit sehr viel Respekt und einem demütigen Gefühl gegenüber der Natur begeben wir uns weiter in den Wald hinein, bis wir eine geeignete Stelle finden, an der wir vor herabstürzenden Ästen sicher sein dürften. Hier im Wald hat es gar nicht so große Verwüstungen gegeben wie an der Straße. Die Natur ist offensichtlich nur dort leicht verwundbar, wo sie bereits von Menschenhand geschwächt worden ist. Es ist mittlerweile stockdunkel. Unsere Taschenlampen spenden nur spärliches Licht. In der Ferne blitzt und donnert es immer noch beängstigend. Es regnet ohne Unterlass. Es ist fast unmöglich, die Zelte in der Dunkelheit bei Regen und immer noch starkem Wind aufzubauen. Nur dank Pascals Geschicklichkeit haben wir nach vielen langen Minuten ein Zeltdach über dem Kopf. Da wir nicht allzu lange in der Dunkelheit nach einem geeigneten Zeltplatz suchen wollten, was wohl ohnehin aussichtslos gewesen wäre, liegen wir nun auf unebenem, mit Steinen übersätem Untergrund.
Trotzdem sind wir überglücklich und dankbar als wir endlich ins schützende Zelt kriechen können. Später werden wir erfahren, dass der Sturm mehrere Todesopfer in unmittelbarer Nähe gefordert hat. Als wir gerade im Zelt liegen, wird der Sturm wieder etwas stärker. Heftiger Regen prasselt unentwegt auf unser Zeltdach. Wir lauschen dem faszinierenden Spektakel gespannt, schlafen aber einige Zeit später erschöpft ein. Das war direkt am ersten Abend ein atemberaubender, unvergesslicher Auftakt.
Kapitel 4 : Der erste Tag auf dem Appalachian Trail
30.6.2012
Mitten in der Nacht wache ich auf, es herrscht absolute Ruhe.Ich bin zutiefst beeindruckt von diesem unbeschreiblichen Frieden. Vor wenigen Stunden sind wir mit heulendem Wind, knarrenden Baumwipfeln und bei prasselndem Regen eingeschlafen, Und nun umgibt mich eine Ruhe wie sie im Himmel nicht schöner sein könnte.
Das Nachtlager ist sehr unbequem, da wir, wie bereits geschildert, gezwungen waren, die Zelte auf dicken Wurzeln und faustgroßen Steinen aufzuschlagen. Dennoch schlafe ich nach kurzer Zeit wieder zufrieden ein.
Später werde ich von einem atemberaubenden Vogelgezwitscher geweckt. Es muss schätzungsweise vier Uhr morgens sein. Es kommt mir fast so vor wie im tropischen Regenwald. So intensiv hatte ich es nicht erwartet, da doch die Vegetation im Großen und Ganzen der mitteleuropäischen entspricht. Was für ein Unterschied, wenn noch nicht gar so viele Arten dezimiert worden sind wie bei uns. Es berührt mich so stark, dass ich meine Tränen nicht unterdrücken kann. Ich atme tief durch. Ich nehme meine Atemzüge sehr bewusst war. Ich habe erst mit ca. 50 Jahren erkannt, dass es vollkommen in Ordnung ist, starke Emotionen zuzulassen. Wie vehement wurden doch die Emotionen von Männern früherer Generationen unterdrückt. Menschen, die in den schrecklichen Kriegen des letzten Jahrhunderts so viel Unfassbares erleben mussten, durften kein Zeichen von „Schwäche“ zeigen..Wie viele ungeweinte Tränen wurden und werden immer noch mit ins Grab genommen.
Ich sauge den Frieden in mich auf. Warum kann es nicht überall auf der Welt so sein? Wie viele Menschen haben so etwas nie erleben dürfen?
Wir stehen früh auf. Als ich mich vom Zelt entferne, begegnet mir in unmittelbarer Nähe ein White Tailed Deer, ein Weißwedelhirsch. Es ist ein weibliches Tier, etwas größer als unsere Rehe in Deutschland. Bei meinem Anblick bleibt das Tier vollkommen gelassen. Scheinbar hat es noch keine schlechten Erfahrungen mit Menschen gemacht, schließlich befinden wir uns hier in einem Tierschutzgebiet.
Etwas später bauen wir unsere Zelte ab. Pascal und ich gehen vor, Mareike und Mathias wollen uns kurz darauf folgen. Nach wenigen Kilometern kommen wir an einen breiten Bach. Wir nutzen die willkommene Gelegenheit, um uns in dem erfrischenden Nass zu waschen. Der Alltag in Deutsch- land ist bereits ganz weit weg.
Pascal entdeckt in unmittelbarer Nähe auf einem Baumstamm eine große Eule. Wir nähern uns vorsichtig. Nachdem wir scheinbar die Toleranzgrenze überschritten haben, fliegt die Eule in aller Ruhe ein paar Bäume weiter. Wir folgen, und dieses Mal lässt sie uns ein wenig näher an sich herankommen. Nachdem sie abermals weitergeflogen ist, landet sie erneut, diesmal auf einem Baum in dem eine weitere Eule sitzt. In einem Nachbarbaum entdecken wir noch ein weiteres Exemplar. Wir beobachten die faszinierenden Vögel und sind hocherfreut darüber, dass wir so schnell Kontakt zu der einheimischen Tierwelt bekommen.
Wir wandern etwa eine Stunde auf einem breiten Wanderweg. Plötzlich endet der Weg abrupt. Wir stehen abermals vor einem breiten Bach. Nach seiner Überquerung müssen wir erkennen, dass auf der anderen Seite kein Weg weiterführt, und dass das Dickicht undurchdringlich wird. Also müssen wir zurück durch die eiskalten Wassermassen. Wieder auf der anderen Seite angekommen ent-scheiden wir uns, bergauf über einen steinigen Hügel zu gehen. Das könnte so etwas wie ein Wanderweg sein, obwohl wir keinerlei Markierung entdecken können. Langsam geht die Sonne auf, es wird zunehmend heißer. Wir schwitzen gewaltig. Unsere Körper sind noch nicht an das Gepäck auf dem Rücken gewöhnt. Es ist eine enorme Schinderei, jeder Schritt fällt jetzt bereits schwer. Nach einer halben Stunde Anstieg stehen wir vor einem kleinen Wasserfall. Viele bunte Schmetter- linge flattern um uns herum. Die Schwalbenschwänze hier sind fast doppelt so groß wie jene, die wir bei seltenen Gelegenheiten in Deutschland beobachten können. Der Anblick ist überwältigend, aber wir müssen feststellen, dass wir uns bereits zum ersten Mal verlaufen haben. Das fängt ja wirklich hervorragend an!
Eigentlich ist der Appalachian Trail vorbildlich gekennzeichnet. Man muss nur den weißen Längs-balken folgen. Sie sind in kurzen Abständen hintereinander angebracht. Wenn man einige hundert Meter gegangen ist, ohne die nächste Markierung zu entdecken, sollte man umkehren. Das wissen wir, aber scheinbar haben wir uns von den grandiosen ersten Eindrücken und dem einladenden, breiten Wanderweg zur Unaufmerksamkeit verleiten lassen.
Es bleibt uns nichts anderes übrig, als den gleichen Weg zurückzugehen. 1 ½ Stunden Anstrengung waren vollkommen umsonst, einmal abgesehen von der beeindruckenden Natur. Und die nächsten
1 1/2 Stunden bringen uns vermutlich auch nicht viel weiter als an den Ausgangspunkt zurück.
Kurze Zeit später kommt uns eine Wanderin entgegen. Wir fragen sie, ob sie uns den Weg zum Appalachian Trail beschreiben kann.