Mondschein-Serenade. Albert Morava

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Mondschein-Serenade - Albert Morava Die Flucht

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damals angesprochen und sie nach ihrem Eindruck gefragt, doch sie war längst gegangen.

      Wohin war sie gegangen? Novemberabende in Prag sind neblig und kalt, das gelblich-melancholische Licht der historischen Gaslaternen, die in einigen Straßen rund um das Gebäude der Philosophischen Fakultät stilecht als Beleuchtung aufgestellt sind, ist nur etwas für Verliebte und Romantiker.

      Doch die Prager und Pragerinnen sind in der Regel keine Romantiker, vielmehr sind sie praktisch veranlagt und verliebt sind sie selten.

      Tamara war mit ihren zwei Kommilitoninen auf dem Weg zur Mensa der juristischen Fakultät – hier gab es als Abendessen Kesselkost - meist gulaschartige Eintöpfe mit Brot gratis dazu. Die kurze Strecke von der philosophischen Fakultät zum Gebäude der Juristen, die normalerweisezu zu Fuß in wenigen Minuten zurückgelegt werden konnte, war wegen Arbeiten an der Kanalisation und dichtem Nebel, der sich jetzt schleierartig über die Stadt zu legen begann, schlecht passierbar.

      “Lasst uns doch hinüber zur Kleinseite gehen“, sagte Dana, ein schlichtes Mädchen aus der Slowakei, die neu war in Prag und mit Tamara - und drei anderen Mädels - das Zimmer im Studentenwohnheim der Ursulinen teilte.

      Dieses historische Jugenstilgebäude war früher ein Kloster und wurde im Zuge der Modernisierung des Landes in ein Studentenwohnheim umgewandelt.

      "Heute könnten wir uns wohl einen Abendimbiss in einer der kleinen Bars nahe der Karlsbrücke leisten", schlug sie vor.

      "Dem Dichter zu Ehren!" meinte Nadja, eine gut aussehende, üppige Rotblonde mit langem rotstichigen Haar. Bereits jetzt im November hatte sie schicke Winterstiefel aus rotgefärbtem Kunstleder an; die Stiefel waren Westimport und eine Spur zu elegant, zu teuer für eine Studentin.

      “Dichter?" zweifelte Dana. "Von seinem Vers habe ich wenig verstanden, aber bei uns in der Ostslowakei würde man ihn nicht über die Straße laufen lassen. Die Polizei ihn einsperren."

      "Hier in Prag hat er Narrenfreiheit", beteuerte Nadja, die Pragerin.. "Ausserdem wohnt er bei Ina, bei ihrer Familie. Ina schreibt ja auch, hat Kontakte bis nach New York, ist angeblich lesbisch... und auch Jüdin.... wie er".

      "Jude? Kafka war auch Jude!“ Tamaras Stimme klang überlegen. Sie war etwas älter als die anderen, sie wusste mehr. “Und er wohnte nicht weit von hier.“

      Sie befanden sich jetzt am anderen Ende der Karlsbrücke, stiegen die alte Steintreppe zur Kampainsel hinunter und liefen weiter am Kafka-Haus vorbei, wo der Schrifteller einst wohnte und - in fabelhafter Symbiose mit der Nostalgieatmosphäre, die über Jahrhunderte hinweg Prag eine besondere Prägung der Traurigkeit verlieh - seine Werke schrieb. Sein Prag war das jüdische Prag.

      Kafka stand damals übrigens so wie einige andere Prager Schriftsteller auf der schwarzen Liste der Partei. Es war nicht gut, ihn in der Öffentlichkeit, etwa in der Straßenbahn, zu lesen - falls man zufällig das Glück gehabt haben sollte, ein abgegriffenes Kafkabuch wie Der Prozess oder Das Schloss aus früheren Zeiten, in die Hand zu bekommen. Alleine über Kafka zu reden, war schon verdächtig.

      Nach erfolgloser Suche von drei freien Plätzen in einer der kleineren Bars auf der Kampa-Insel, haben Tamara und die Mädchen sich entschieden, statt dessen die traditionsreiche Brauerei Zu den Flecken aufzusuchen.

      So wie in Wien das Café Hawelka - ein bekannter Künstlertreff, wo auch Franz Kafka sich mit Freunden traf -, das Münchener Hofbräuhaus oder die Bierkneipe Zum Kelch auf der Prager Kleinseite, - wo der gute Soldat Schweik sich am ersten Tag nach dem ersten Weltkrieg um sechs Uhr mit seinem Kumpel Sappeur Vodicka verabredete -, spielte - und spielt bis zum heutigen Tag – auch das alte Prager Brauhaus Zu den Flecken im kulturgeschichtlichen Ambiente dieser Stadt eine herausragende Rolle.

       Seit dem Jahr des Herrn 1499 wurde hier Bier gebraut, verkündet der Hauswappen.

      “Beim kühlen Naß kann man sich erst richtig entspannen“, meinte Nadja und als Pragerin wußte sie wohl, wovon sie sprach. Die Tschechen sind ein Volk von Biertrinkern und das sprichwörtliche "flüssige Gold" wird auch vom zarten Geschlecht geschätzt.

      Die Mädchen betraten die Gaststube und nisteten sich in einer gemütlichen Ecke ein; an einem der großen runden Tische, wo Fremde nebeneinander sitzen und beim Bier leicht ins Gespräch kommen konnten.

      .“Vielleicht angeln wir uns heute Abend jemanden, der uns einlädt."

      Nadja zog selbstbewusst einen kleinen Handspiegel aus der Tasche, überprüfte süffisant ihr Aussehen und zufrieden mit sich selbst überstrich sie ihre Lippen mit einem roten Lippenstift.

      Am anderen Tischende saß ein junger, blonder Bursche mit langem buschigen Haar und arbeitete - in sich gekehrt - an einer Zeichnung in seinem Malblock.

      Das imaginäre Bildnis auf dem Papier stellte ein durch unklares Leiden bis zur Unkenntlichkeit verzerrtes Gesicht eines kahlköpfigen Mannes dar.

      Die Zeichnung wirkte professionell, obwohl der jugendliche Zeichner allem Anschein nach noch keine zwanzig Jahre alt war; ankommende Gäste blieben zeitweise neugierig stehen, um dem Zeichner über die Schulter zu gucken..

      "Prager Popart !" bemerkte schließlich einer. "Das sollte man doch glatt an der Karlsbrücke zur Schau stellen !"

      Eine andere Stimme verkündete mit ironischem Unterton: " Ein Blumenkind von Prag..die sozialistische Kunst ist nicht immer glücklich!."

      Der junge Mann erhob gelassen seinen Kopf. "Ich tue hier nur meine Arbeit“, sagte er. “Ich bin von der Prager Kunstakademie und bereite mich hier auf meine Prüfung vor."

      Dana, das Provinzmädchen, sah interessiert zu, aber auch verdutzt und ungläubig;.mit zu viel Respekt betrachtete sie den jungen Künstler und sein Bild.

      .“Sieht interessant aus, ist aber nichts für uns“ klärte sie Tamara nach einer Weile auf.

      “Der pfeift selbst auf dem letzten Loch!“

      Nadja warf indessen einigen einzelnen Gästen, die sie als geeignet und offen für ein nächtliches Abenteuer hielt,.herausfordernde Blicke zu; sie strahlte aufgestaute Sinnlichkeit aus.

      Ein gestresster Kellner tauchte wie aus dem Nichts auf, mit einem großen Metalltablett voll von schäumenden Bierkrügen.

      "Ihr seid wohl schon achtzehn, Mädels", meinte er lakonisch und knallte drei randvolle Krüge vor die Mädchen hin auf den Tisch..

      "Zu unserem Bier gibt es heute übrigens Topinky - knusprig gebratene Brotscheiben mit Knoblauch", bemerkte er, bevor er wieder ging. "Die könnt ihr euch auch selbst holen, hinten an der Theke im Hof. Dort sind sie billiger und immer frisch".

      “Mir läuft schon das Wasser im Mund zusammen!", beteuerte Nadja. "Dana kann uns ja welche holen! Für mich ohne Knoblauch!"

      "Wenn du schon hingehst, dann, bitte, auch eine Schachtel Zigaretten für mich", sagte Tamara und drückte Dana einen Hundertkronenschein in die Hand.

      "Welche Marke.?"

      "Femina!"

      Femina war eine der heimischen Zigarettenmarken, die erschwinglich und bei Frauen beliebt waren. Abgebildet auf der Verpackung war ein verführerisches, herausforderndes Frauengesicht. Feminas Tabak war dunkel, stark und ohne Filter.

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