Mondschein-Serenade. Albert Morava

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Mondschein-Serenade - Albert Morava Die Flucht

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mit fachmännischer Überheblichkeit, um sich gegenseitig die Überlegenheit auch auf diesem Terrain zu beweisen.

      In Wirklichkeit hatten sie beide kaum nennenswerte Erfahrung. Jan hielt sich meistens ziemlich zurück, wogegen Martin gerne den Hahn aus dem Korb herausließ.

      "Wenn wir uns ein Weib teilen müssten", sagte Martin, "was würdest du nehmen, den oberen oder den unteren Teil?"

      Wie groß genau der obere Teil im Vergleich zu dem unteren war, war nicht klar. Kopf, Herz, Emotionen, ja sogar Brüste konnten dazugehören.

      "Den oberen Teil", sagte Jan.

      "Idiot! Du hast keine Ahnung!"

      "Materialist!", schoss Jan zurück.

      *********

      Allmählich wurden die Tage immer kürzer und das Wetter auch merklich kühler. Zwar gab es in den Räumen der Studentenkolonie eine Zentralheizung, allerdings hatte diese ihre besten Jahre längst gesehen und funktionierte nur halb. Üblicherweise waren die Heizkörper gerade noch lauwarm. Die Zimmer sowie auch die gemeinschaftlichen Duschräume waren kalt. Ohne richtige Sitzgelegenheit konnte man sich in den Zimmern kaum aufhalten, am besten verbrachte man die Zeit auf dem Bett liegend.

      Jan zog es vor, bei Tagesanbruch - im Winter gegen acht Uhr morgens - sein Zimmer ohne Frühstück zu verlassen und mit der Straßenbahn zur Fakultät zu fahren. Dort konnte er sich im Kellerbistro vor Beginn der ersten Vorlesung zumindest einen heißen Tee im Stehen leisten - manchmal sogar eine heiße Gulaschsuppe mit Speckbrötchen - und ein Wort mit seinen neuen Freunden wechseln. Hier traf man sich leicht mit Kommilitonen aller Couleur ;auch die Kubaner und Kubanerinnen kamen gerne hierher.

      Eine von den kaffeebraunen Mädchen hieß Gisela. Sie war Mulattin, mit Haut wie Milchschokolade und etwas verlebt wirkenden, harten Gesichtszügen. Ihr Körper war wohlproportioniert. Um die Dreißig, war sie aus dem Studentenalter schon ziemlich raus und bei ihren kubanischen Landsleuten als Führernatur hoch angesehen; vermutlich hatte sie auch eine Art Aufsichtsfunktion für ihre Gruppe, die bunt gemischt war.

      Neben Roberto, dem Archhitekturstudenten war sogar ein ehemaliger Balettänzer darunter, Manuel, schwarz wie Ebenholz, so wie auch Dionisio, der Medizin studierte und irgenwann als Zahnarzt in seine subtropische Heimat zurückkehren wollte. Dionisio war ein willensstarker Charakter und als einziger Kubaner mochte er Gisela nicht.

      "Gut ist sie nur fürs Bett!" Das war seine Einschätzung von Mann zu Mann. Möglicherweise wusste er besser als die anderen, wovon er sprach.

      Gisela sprach besser Tschechisch als die anderen Kubaner, verbrachte Stunden in Gesprächen mit tschechischen Mädchen und als ältere gab sie ihnen wertvolle Tipps fürs Leben. Laut Roberto hatte man sie nach der kubanischen Revolution aus einem von Havannas unzähligen - hauptsächlich von amerikanischen Touristen frequentierten – Casinos jener Zeit geholt.

      Nach der Flucht von Diktator Batista hatte Castro die Freudennester geschlossen, doch was tun mit dem Personal? So wurden einige geignete Modelle einer Schnellgehirnwäsche unterzogen und mit Erfolg zu Funktionären der Castro-Partei umgebildet. Eigentlich eine Bilderbuchkarriere, meinte Roberto.

      Im engeren Freundeskreis äußerte er allerdings gewisse Zweifel an der so überstürzten Schließung der Freudenhäuser, da es doch gewisse Bedürfnisse im Leben eines jeden Mannes gäbe und diese erfüllten auch eine soziale Funktion.

      "Man hätte sie verstaatlichen können", sagte er. "Jeder Club wäre dann ein volkseigener Betrieb mit Arbeitstätigen gewesen an deren Staatstreue nicht zu rütteln wäre. So wäre die Sache zufriedenstellend für alle geregelt."

      Die jungen Tschechen verstanden dieses Thema nicht wirklich, da ähnliche Etablissements bereits abgeschafft worden waren, als sie noch in der Kinderwiege lagen. Sie hatten hier wirklich keine blasse Ahnung. Kubas Revolution war im Gegenteil noch jung und die Erfahrung der dekadenten Vergangenheit glich einer frischen Wunde.

      3 Der große Franzose

       Doch die Zeit, vor dem Prager Frühling war reif für eine Wende, die nur von der neuen Generation kommen konnte. Das Land begann langsam Aufnahmebereitschaft für neue, intellektuelle Trends zu zeigen, die aus dem Westen kamen. Man sprach über die Entfremdung und den Existentialismus in der Philosophie, über Freuds Psychoanalyse, Nietzsches Nihilismus, Dalis Surrealismus und ähnlicheThemen viel mehr als über den Marxismus-Leninismus. Das war ein langweiges Pflichtfach eines jeden Studenten, ein nicht ernst zu nehmendes, lästiges Muss.

      Irgendwann wurde es gewissen, ausgewählten Symbolenfiguren der westlichen Kultur sogar gestattet, im Sinne eines kritischen Dialogs, Reden an der Karlsuniversität zu halten.

      Zu solchen Symbolen gehörte auch der französische Schriftsteller und Philosoph Jean-Paul Sartre und es war in einer Veranstaltung mit ihm, wo Jan Tamara wiedersah und mit ihr ein paar Worte wechseln konnte.

      Sartre war gekommen, um über sein Buch L’Ouragan sur le sucre zu reden. Dieses Buch über die kubanische Revolution war erst vor kurzem auch in tschechischer Übersetzung erschienen. Tschechische Intelektuelle rissen sich das Buch förmlich aus der Hand, da der große Franzose bereits durch andere Werke wie Der Ekel oder Das Sein und das Nichts bekannt war.

      Der größte Hörsaal der Fakultät, das Audium Maximum, wurde ihm zur Verfügung gestellt. Ein großer Andrang führte dazu, dass viele stehen mussten; einige kamen mit Chipstüten und Getränken in der Hand in Erwartung einer längeren Sitzung, die eventuell in eine friedliche Demonstration gegen das Regime ausarten würde.

      Jans Interesse an Sartres Veranstaltung war um so stärker als er einige seiner Werke bereits kannte - sie waren ein wichtiger Bestandteil der Hausbibliothek seines Vaters – und Sartres kritische Auseinandersetzung und gnadenlose Abrechnung mit der modernen Gesellschaft imponierte ihm.

      Seine Philosophie traf sein eigenes Lebensgefühl, die Fragen nach dem Sinn des Seins oder Nichtseins - seit Hamlets Zeiten die ewige Frage aller Weisen, die ihres Namens würdig sind- - ging auch Jan mit seinen achtzehn Jahren unter die Haut. Doch was suchte Sartre eigentlich auf Kuba und warum kam er jetzt nach Prag? Die Diskussion könnte spannend werden, dachte er.

      Rechtzeitig vor dem angekündigten Beginn der Veranstaltung im Hörsaal angekommen, hatte er das Glück, einen Sitzplatz in der Nähe des Rednerpults zu ergattern, ohne um diesen kämpfen zu müssen.

      Die Luft im Raum war schlecht. Es gab viele Raucher unter den Anwesenden. Der blaue Dunst war damals schick und Jan - um anderen in Nichts nachzustehen - zündete sich auch eine Zigarette an, ohne sie wirklich zu genießen. Das Publikum im Hörsaal war bunt gemischt. Erstsemester waren in der Minderheit.

      Neben langhaarigen und bärtigen Spätsemestern waren auch einige bereits seit geraumer Zeit ausstudierte Prager Intelektuelle dabei, angehende Dichter, Schriftsteller und – natürlich - Journalisten.

      Es war wohl purer Zufall, - falls es im Leben überhaupt pure Zufälle gibt -, dass Jan sich neben Ryba setzte. Trotz seines Milchgesichts war Ryba, ein kurzsichtiger Brillentyp mit kurz geschorenen aschblonden Haaren - der Prototyp eines kühl denkenden Intelektuellen.

      Ihm wurden dichterische Ambitionen nachgesagt; angeblich hatte er unter dem Pseudonym Robert David seine ersten Gedichte in einer bekannten Literaturzeitung veröffentlicht. Diese Gedichte waren für Normalsterbliche unverständlich, da sie einen erdrückend schweren philosophischen Inhalt hatten. Daher

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