Mondschein-Serenade. Albert Morava
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Als Sartre erschien, erhob sich die Menge, um ihn mit kräftigem Beifall zu empfangen. .Ein eher kleinwüchsiger Mann mit Brille, der optisch recht bescheiden wirkte und der tschechischen Cliché-Vorstellung über Franzosen, die auf einigen Schauspielergrössen der damaligen Zeit wie Jean Gabin, Yves Montand oder Jean Marais beruhte, kaum entsprach.
Begleitet wurde er von einer Dolmetscherin. Diese bereits ältere, magersüchtige Dame mit harten Gesichtszügen hatte an der Fakultät einen Posten als freie Lehrkraft für Französisch inne, da sie - gebürtige Tschechin - den Großteil ihres Lebens in Frankreich verbracht hatte und perfekt Französisch mit angeblich Pariser Akzent sprach.
Des weiteren erschien der Lehrstuhlinhaber der Romanistik, begleitet von einer Assistentin, zuständig für die Koordinierung der Debatte mit dem Philosophen. Diese Assistentin war – zu Jans Überraschung - Tamara.
Sie hatte sich hierfür besonders schick, aber auch korrekt zurechtgemacht, im dunkelblauen Kostüm und einem burgundroten, seidenen Halstuch sah sie bezaubernd und gleichzeitig unnahbar aus.
Unterdessen legte sich der Beifall und Ryba, der Sartre mit seiner Begleitung durch seine dicken Brillengläser kritisch musterte, kritzelte derweil etwas auf ein kleines Stück Papier. Indessen begann der damals schon als prominenter Philosoph, begnadeter Autor und passionierter Pfeifenraucher bekannte Jean-Paul Sartre seinen Vortrag im sonoren Französisch.
Von der Dolmetscherin wurde simultan übersetzt, doch der Reiz der lebendigen Rede ging dabei verloren und wenig Spannendes kam dabei heraus.
Zum Schluss foderte Sartre die Zuhörer auf, ihm Fragen zu stellen. Es war klar, dass ein Dialog zwischen Paris und Prag sofort mehr Schwung in die Veranstaltung einbringen würde.
Angesichts der Menschenmenge im Saal sowie der Notwendigkeit, die jeweilige Frage ins Französische zu übersetzen, einigte man sich darauf, dass jeder Fragende seine Frage auf ein kleines Stück Papier schreiben soll.
Es war Tamaras Aufgabe, die zahlreichen bekritzelten Papierfetzen einzusammeln und sie in einen korbähnlichen Plastikbehälter zu legen. Das ganze erinnerte Jan an eine Tombolaverlosung. Nicht jeder hatte die Chance, mit seiner Frage dranzukommen.
Ryba hatte bereits mehrere Fragen auf mehrere Papierstücke geschrieben und als Tamara bei ihm angekommen war, war er sofort bereit, zu liefern. Verständnisvoll lächelnd wies sie ihn darauf hin, dass jeder Fragende nur eine Frage frei habe.
Ryba murmelte etwas über sinnlose Diskriminierung und Freiheitsbeschränkung von Intelektuellen, aber immerhin übergab er ihr letztendlich nur ein großes Blatt Papier auf dem seine Frage mit großen Druckbuchstaben geschrieben stand. Tamara faltete das Blatt vorsichtig zusammen, machte es klein und legte es in den Sammelkorb.
Jan, der daneben saß, stellte Sartre keine Frage, sondern betrachtete statt dessen aufmerksam Tamaras Hände. Aus dem chiromantischen Schrifttum in der Bibliothek seines Vaters hatte er irgendwann gelernt, die Hand sei der Ausdruck der Seele. Dieses Mädchen, dessen Namen er damals noch nicht einmal kannte, strahlte mit ihrem Gesicht einer russischen Ikone etwas aus, was ihm bis dahin unbekannt war.
Woher kam die Anziehungskraft, die in ihr steckte?
Möglicherweise waren es ihre schwarzen Augen; ihr Blick strahlte verständnisvolle Freundlichkeit und beruhigende Wärme aus, die blaue Augen selten vermitteln können. Ihre Hand war zierlich und wohlgeformt, Finger nicht zu groß, nicht zu klein, mit gepflegten Fingernägeln ohne Nagellack. Eine feine Hand, dachte Jan, so fein wie ihre Seele? Am liebsten wäre er einfach aufgestanden und sie bei der Hand genommen.
"Und du hast keine Frage abzugeben?" fragte sie Jan und warf ihm ein - wie es ihm schien - ganz persönliches Lächeln zu, das ihn zunächst verwirrte. Dennoch lächelte er mit etwas überzogener Festigkeit zurück und sagte:
"Nein, es gibt schon zu viele Fragen", und wies mit der Hand auf den bereits mit Papier bis zum Rand gefüllten Sammelkorb. "Möglicherweise käme meine Frage gar nicht dran....ausserdem interessieren mich vor allem die Antworten."
"Gut... wie du meinst", sagte sie fast etwas enttäuscht und drehte sich um - zum Rednerpult, wo ihr die Dolmetscherin bereits mit eindeutigen Gesten signalisierte, dass die Zeit läuft und sie sich beeilen solle.
Jans Blick fiel so gut wie ohne Absicht auf Tamaras Hüften und Beine in feinen Seidenstrümpfen. Die Beine waren gerade und lang und er bemerkte, dass an einem ihrer schwarzen Strümpfe die Masche lief.
Ryba musterte Tamara mit Skepsis und sagte zu Jan: "Die bastelt hier wohl an ihrer Karriere!"
Doch Jan war beeindruckt. Es fiel ihm schwer, dem beginnenden Dialog zwischen dem Franzosen und den Studenten konzentriert zu folgen. Sein Blick schweifte regelmäßig zu Tamara ab, deren Aufgabe es war, die Papierfetzen mit den Fragen aus dem Korb zu ziehen und sie der Dolmetscherin zur Übersetzung anzureichen. Nur auf diesem wenig spontanen Weg konnte es zu einer angemessenen Beantwortung der Fragen kommen. Ein buntgemischter Fragencocktail über zeitgenössische Themen der Philosophie, der modernen Kunst, der Politik sowie über die allgemeine Entwicklung der Gesellschaft in naher und ferner Zukunft folgte und Sartre beantwortete alle Fragen mit französischer Eleganz und salomonischer Weisheit.
So fragte einer, ob die surrealistische Malerei eines Salvator Dali gute oder schlechte Kunst sei und wie könne man hier aus marxistischer Sicht eine Beurteilung finden.
" Der Maßstab aller Kunst ist der Dollar, sagt mein Freund Dali", lautete zu allgemeiner Belustigung der Anwesenden die Antwort des Philosophen. Es wurde auch nach den gesellschaftlichen Zwängen der unterschiedlichen politischen Systeme gefragt und als letztes kam Rybas Frage dran, die lautete:
"Wäre Diogenes auch dann Philosoph geworden, wenn er nicht im Fass gelebt hätte?"
Damit hatte Ryba den Vogel abgeschlossen. Jean-Paul Sartre tat sich schwer mit der Antwort, da er die Frage nicht recht verstand oder nicht verstehen wollte, was allerdings nicht an der Übersetzerin lag. Allgemeines Gelächter war die Folge und damit ging die Veranstaltung zu Ende.
4 Tamara und die Liebe
Zu Zeiten der Blumenkinder von San Francisco war die fröhliche Weihnachtszeit in Prag eine graue Angelegenheit - und die Adventszeit umso mehr. Die Tage waren kurz, mit wenig Sonnenschein: in den Altbauten in der Stadtmitte wurde immer noch nur mit Kohle geheizt. Schnee fiel kaum und wenn er fiel, wurde er schnell schwarz.
Die vielen lustigen Singvögel, die frühlings und in der Sommerzeit in den Stadtgärten Prags nisten, flogen bereits im Oktober nach Süden, zum Mittelmeer oder noch weiter - vielleicht.
Tamara hasste diese Zeit. In Marienbad, wo ihre Familie zu Hause war, - ihre Mutter Teresa, ihr Lebensgefährte Marek und ihre kleine Tochter Marisa - lag im Winter immer Schnee. .
Die ausgedehnten Wiesen und Wälder hüllten sich an Weihnachten oft in weiße Schneepracht, die oft bis März.liegen blieb. In Prag gab es keine weißen Winter wie in Moskau, wo ihr Vater lebte.
Als Rotarmist kam er an einem schönen Maitag vor zwanzig Jahren nach Prag, um Prag von den Resten der bereits in den letzten Zügen befindlichen Truppen des tausendjährigen deutschen Reichs zu befreien.