Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen

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Das Vermächtnis aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen Das Vermächtnis aus der Vergangenheit

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Wie von allen Arterien und Venen abgekappt sinkt mein Herz in den freien Fall. Ich schlucke schwer und spüre, wie mir das Blut aus dem Gesicht weicht.

      Sabine erzählt gerade, wie sie und ihr Freund Guido sich gefunden haben und richtet das Wort an mich. „Also bei uns gibt es solche Partys nicht, wo sich alle Jugendlichen treffen können und jeder jeden kennt. Aber wir haben uns im Ostbunker kennengelernt. Das ist ein Jugendtreff hier in der Stadt.“

      Ich nicke ihr zu. Aber meine Gedanken sind bei Erik, dessen Blick ich direkt auf mir spüre.

      Was soll ich jetzt nur tun? Ellen ist nicht da und sonst auch keiner, der mich beschützen kann. Von den Mädels weiß bestimmt keiner, wer das überhaupt ist. Außer Susanne vielleicht … hoffe ich.

      Ich würde sie gerne fragen, aber zwischen mir und ihr ist Ellens Platz frei.

      Ich versuche mich zu beruhigen. Bisher macht Erik keinerlei Anstalten, mich ansprechen zu wollen. Am liebsten würde ich schauen, was er macht. Aber ich traue mich nicht. Ich habe sein Zuprosten einfach ignoriert und bin mir nicht sicher, wie er das aufnimmt.

      Als Sabine ihre Geschichte beendet hat und Andrea mit roten Wangen völlig hin und hergerissen seufzt: „Oh Mann! Ich will auch mal so etwas erleben“, sehe ich doch zur Tür.

      Erik ist nicht mehr da.

      Ich atme auf. Vielleicht ist er wieder gegangen? Aber tief in meinem Inneren glaube ich das nicht.

      Wir bekommen unsere Getränke und ich sehe mich verstohlen um. Aber ich sehe erneut nichts von ihm und werde langsam ruhiger. Dennoch trinke ich mein Alster ziemlich hektisch und viel zu schnell aus. Das zeigt mir, dass mir immer noch nach Mut antrinken ist. Der bloße Anblick von Ellens Bruder hatte mich mehr erschreckt, als ich zugeben möchte.

      „Das ist ja schon so spät!“, höre ich Ursula eine viertel Stunde später ausrufen. „Ich muss los! Tut mir leid, Mädels. Will jemand mit? Ich muss zum Busbahnhof in der Johannesstraße.“

      „Gut! Ich kann auch mitgehen“, sagt Andrea, aber wenig begeistert.

      „Ich muss auch los. Aber ich treffe mich gleich mit meinem Bruder“, meint Michaela, mit einem Blick auf ihre Armbanduhr.

      Ich sehe Susanne und Sabine an. „Und was machen wir?“, frage ich verunsichert.

      „Wir gehen auch“, sagt Susanne. „Ich habe Hunger. Hat jemand Lust mit mir zum Burger King oder Kochlöffel zu gehen?“

      Sabine winkt ab. „Ich esse gleich noch bei Guido.“

      Die Kellnerin kommt und wir zahlen alle. Ich nutze die Unruhe am Tisch und sehe mich erneut verstohlen um. Aber von Erik fehlt jede Spur. Dennoch befürchte ich, er könnte noch irgendwo auf mich lauern.

      Auch als wir alle aufstehen, lasse ich vorsichtig den Blick durch den Gastgarten schweifen. Mich in der Mitte meiner Mädels haltend, hoffe ich, dass wir hier gut rauskommen und noch ein Stück zusammenbleiben. Ich weiß gar nicht, wo die jetzt alle hinmüssen. Noch nicht einmal, wohin ich eigentlich muss. Aber das verdränge ich erst mal. Ich muss hier nur heile rauskommen.

      Der getrunkene Alkohol wirkt und um mich herum zwitschert es überdreht, wie in einem Spatzenhaufen. Wenn Erik nicht aufgetaucht wäre, könnte ich es sogar genießen, dass alle so gut drauf sind.

      Tatsächlich verlassen wir ohne Probleme die Kneipe und mir fällt ein, dass ich besser noch zur Toilette hätte gehen soll. Aber mich bringen keine zehn Pferde dazu zurückzugehen.

      Etwas irritiert wird mir klar, dass wir, ohne behelligt zu werden, durch die Altstadt gehen, den Domvorplatz überqueren und beim Theater in die Fußgängerzone einbiegen. An Schaufenstern, an denen die Mädels stehen bleiben, um sich die Auslage anzuschauen, sehe ich mir im Fenster die gespiegelten Gesichter der Leute hinter uns an und bin beruhigt. Erik ist nicht da.

      Die Fußgängerzone ist endlos lang und als wir beim Burger King ankommen, bleiben nur noch Susanne und ich übrig. Ich wage ihr eine Frage zu stellen, die mir die ganze Zeit auf der Seele brennt. „Sag mal, warst du schon mal bei Ellen zu Hause?“

      Susanne schüttelt den Kopf und hält mir die Tür auf.

      „Kennst du ihren Bruder?“

      Susanne lacht seltsam und ich atme auf. Also kennt sie ihn wohl, was mir eine gewisse Sicherheit gibt. Erik wird mich nicht ansprechen, wenn er Gefahr läuft, dass jemand das sofort Ellen steckt. Das hoffe ich zumindest.

      „Setz dich. Ich hole uns etwas. Ich lade dich ein“, sagt Susanne. „Was möchtest du?“

      „Oh, das ist aber nett. Danke! Egal! Was du nimmst.“ Ich schenke ihr ein Lächeln. Susanne ist selten so gut gelaunt und freundlich. „Ich gehe eben für kleine Mädchen.“

      Als ich von der Toilette wiederkomme, nimmt sie das Tablett mit dem Essen von dem Tresen und kommt an unseren Tisch. Statt mir gegenüber, setzt sie sich neben mich und ich bedanke mich noch einmal für das Essen.

      Unser Gespräch erneut aufnehmend, das ich schon fast vergessen habe, sagt sie: „Ich kenne den Bruder von Ellen nicht. Mich interessieren Männer nicht.“

      Hatte sie deshalb so seltsam gelacht, als ich sie nach Erik fragte?

      Ich sehe sie von der Seite her irritiert an. Mir ist nicht schlüssig, was sie damit meint, Frage aber nicht weiter nach. Mich beschäftigt viel mehr, dass ich bei ihr nicht in Sicherheit bin.

      Wir essen und ich lasse den Blick immer wieder zur Tür und der großen Scheibe gleiten. Aber Erik taucht nicht auf und ich bin mir mittlerweile sicher, dass er nicht hinter mir her ist. Außerdem bin ich kaum interessant genug, um ihn mich durch die halbe Stadt verfolgen zu lassen. Er hat bestimmt besseres zu tun und seine Sprüche am Telefon sind nur seine dummen Psychospiele, die er gerne spielt. Und Ellen hatte mir erklärt, dass er ein riesen Problem mit dem weiblichen Geschlecht hat. Eigentlich hasst er Frauen und interessiert sich nur für sie, wenn er sie zum Druckablassen flachlegen kann. So hat sie sich zumindest ausgedrückt … und dass Erik wirklich böse wird, wenn sie hinterher auf mehr aus sind und ihn nicht in Ruhe lassen.

      Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass ein Mensch so sein kann.

      Es ist noch nicht spät genug, um direkt zum Bahnhof zu gehen, als wir den Burger King verlassen und ich weiß nicht, was ich mit meiner Zeit noch anfangen soll. Dass Susanne mir das Essen ausgegeben hat, war wirklich nett. Aber sie ist etwas seltsam drauf. Sie hat mir alle möglichen Geschichten erzählt, die mich nicht interessieren, mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, mal etwas mit Mädels anzufangen, was ich nur verneinen konnte, da ich schließlich fest vergeben bin und gefragt, ob wir mal zusammen ins Kino gehen wollen. Außerdem hat sie irgendwo in einem Randbereich der Stadt eine Wohnung, die sie mir zeigen will und ich könnte auch jederzeit bei ihr penne, wenn ich mal nicht nach Hause will.

      „Was wollen wir jetzt machen?“, fragt sie nun und kommt mir dabei so nahe, dass mein Arm ihre übergroße, ziemlich tiefhängende Oberweite berührt.

      Ich weiche etwas vor ihr zurück und raune: „Ich denke, ich gehe schon zum Bahnhof und fahre mit dem nächsten Zug nach Bramsche.“

      Es ist vielleicht besser, wenn ich in Bramsche noch ein wenig herumlaufe oder bei Marcel im Garten auf ihn warte. Es ist ein lauer Sommerabend und dort erscheint es mir sicherer, als hier in der Stadt zu bleiben.

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