Ströme meines Ozeans. Ole R. Börgdahl

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Ströme meines Ozeans - Ole R. Börgdahl

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und steht vor dem Suezkanal. Der Aufenthalt beträgt achtzehn Stunden. Bevor ich mit Schwester Jolanta und den Kindern an Land gegangen bin, habe ich an der Reling gestanden und das Treiben im Hafen beobachtet. Unser Schiff wurde neu beladen, mit Vorräten, Wasser und vor allem mit Kohle. In Port Said unterhalten die Reedereien eine Art Markthalle, in der die Schiffspassagiere sich alles Notwendige für die Weiterreise besorgen können. Es sind nicht nur die Passagiere der New South Wales, sondern auch Passagiere anderer Schiffe, die in Port Said vor Reede liegen. Das Gedränge ist groß, sodass ich mich mit Thérèse und Julie auf eine Bank außerhalb der Markthalle zurückgezogen habe. Ich vertreibe mir die Zeit mit diesen Eintragungen, während Schwester Jolanta für eine Stunde mit ihrer Gemeinschaft die Stände durchstreift. Der Platz vor der Markthalle ist eingezäunt, wer nicht hierhergehört, kommt auch nicht hinein. Auf dem Weg vom Schiff zu der Markthalle habe ich die zahllosen Bettler gesehen, genauso wie es Mrs. Bly beschrieben hat. Die Bettler hatten aber keine Gelegenheit an die Reisenden heranzukommen, alles ist für unsere Sicherheit gut organisiert, sodass wir kaum mit den Arabern in Kontakt kommen, in deren Stadt wir gerade zu Gast sind. Die Damen aus Schwester Jolantas Gemeinschaft sind alle voller Tatendrang und werden diese Isolation sicherlich bedauern. Mir scheint es, sie würden ihr missionarisches Werk am liebsten schon hier in dieser Hochburg der Heiden beginnen. Es stellt sich aber die Frage, ob es von Erfolg beschieden ist, denn es gibt in Port Said oder in der ganzen arabischen Welt sicherlich eine stärkere Kraft, die den althergebrachten Glauben der Nordafrikaner verteidigt, zumal die Kreuzzüge seit Jahrhunderten in der Vergangenheit schlummern. Ich bin froh, dass mich Schwester Jolanta nicht auch zu einem stärkeren Glauben erziehen will. Sie hat nicht die Mentalität dazu, wie ich sie einschätze, zumal sie in mir die Tugend selbst sieht, eine Mutter mit zwei Kindern, die eiligst dem ihr angetrauten Ehemann quer über die halbe Welt nachreist. Ich muss jetzt mit den Kindern in den Schatten gehen. Es dauert noch eine halbe Stunde, bis mich Schwester Jolanta ablöst. Ich werde dann auch einen Einkaufsbummel unternehmen können.

      Port Said, 12. Mai 1895

      Wir sind wieder glücklich an Bord. Die New South Wales liegt aber noch immer vor Anker. Der Kanal ist noch nicht für uns geöffnet, es wird noch einige Stunden dauern. Gestern habe ich doch noch ein paar Einkäufe machen können. Ich habe natürlich nach den Sonnenhüten geschaut, von denen Mrs. Bly geschrieben hat. Ich habe tatsächlich welche gefunden, in allen erdenklichen Größen, einige schlicht, andere mit bunten Bändern geschmückt. Ich weiß nicht, von welcher Sorte sich Mrs. Bly einen gekauft hat, ich habe zwei erworben, die ganz einfach mit weißen Bändern besetzt sind. Beide Sonnenhüte sind ganz identisch, damit es später keinen Streit gibt. Ich hatte nämlich die entzückende Idee, je einen für Thérèse und Julie zu kaufen. Sie sind noch viel zu groß für ihre kleinen Köpfchen, aber in ein paar Jahren sollen diese Sonnenhüte meine beiden Mädchen daran erinnern, dass sie einmal in Port Said, am Suezkanal gewesen sind, auch wenn sie sich selbst wohl kaum daran erinnern werden.

      Port Said, 14. Mai 1895

      Ich darf nicht vergessen, meine kleine Reisedokumentation zu erwähnen. Ich dokumentiere ja alles hier in meinem Büchlein und seit Neustem zeichne ich auch unsere Reiseroute in den Atlas ein. Ich habe dort mein altes Transparentpapier gefunden, auf das ich damals schon Mrs. Blys Reiseroute eingezeichnet habe. Dann ist mir die Idee gekommen, die Eintragungen fortzuführen. Ich lege das Transparentpapier genau auf die Karte im Atlas und zeichne eine gestrichelte Linie ein, beginnend in Allaire, über Marseille nach Port Said. Dort treffen sich meine und Mrs. Blys Reiseroute und die beiden Linien werden wohl noch eine ganze Strecke vereint bleiben. Ich lese auch weiter an ihren Bericht, über das Leben an Bord. Sie hat natürlich sehr viele Passagiere auf dem Schiff näher kennengelernt. Bei mir sieht dies etwas anders aus. Selbstverständlich kenne ich die anderen Passagiere vom Sehen und ich begrüße den einen oder anderen, wenn wir uns an Deck begegnen, mehr ist es allerdings bislang noch nicht. Es liegt auch daran, dass ich mich fast rund um die Uhr mit den Mädchen beschäftige. Die Zeit, die mir durch Schwester Jolantas Hilfe gegeben ist, bin ich dann gerne alleine und lese oder ruhe mich aus. Es wird sich im Laufe der Reise aber sicherlich noch ändern und ich werde auch meine Bekanntschaften machen. Ich werde allerdings keine Avancen bekommen, so wie es Mrs. Bly widerfahren ist, die sich dem Interesse einiger heiratswilliger Herren erwehren musste. Da ich häufig mit Thérèse oder Julie im Arm an Deck spazieren gehe, kennen die meisten männlichen Passagiere meinen Status als Mutter. Ich habe noch festgestellt, dass nicht allzu viele Franzosen an Bord sind. Die New South Wales ist von Bristol über Gibraltar ins Mittelmeer gekommen. Der Großteil der Passagiere war in Marseille bereits auf dem Schiff, es sind vor allem Engländer.

      Auf der New South Wales, 18. Mai 1895

      Ich habe noch gar nicht richtig von unserem Schiff berichtet. Mir wurde erklärt, dass New South Wales der älteste Bundesstaat Australiens sei. Der Name des Schiffes ist für jeden verständlich, der weiß, dass wir von einer australischen Reederei befördert werden. Der Heimathafen der New South Wales ist Sydney. Ich kenne mich eigentlich nicht mit Dampfschiffen aus, ich weiß nur, und zwar jetzt aus eigener Erfahrung, dass sie eine Menge Kohle benötigen. Die Maschinen stampfen den ganzen Tag und sind selbst in meiner Kabine zu spüren. Mit der Zeit habe ich mich aber daran gewöhnt und es würde mir mittlerweile auch etwas fehlen, wo ich doch auch weiß, dass jeder dumpfe Schlag meine Mädchen und mich immer ein Stück näher zu Victor bringt. Meine Kabine ist geräumig. Ich habe ein separates Schlafzimmer, in dem auch Thérèse und Julie schlafen. Die wunderschöne hölzerne Wiege aus Allaire konnte ich leider nicht mitnehmen, dafür habe ich jetzt ein Metallbettchen, das etwas kleiner ist, aber noch ausreicht. In der Kabine habe ich dann noch ein offenes Bad mit Waschtisch und einer Badewanne. Es gibt einen Vorhang, den wir zuziehen können, wenn ich oder Schwester Jolanta das Bad benutzen. Schwester Jolanta ist wirklich eine angenehme Reisebegleitung. Sie schläft im kleinen Salon, wie ich ihn nenne, auf der Couch. Die Kinder sind die meiste Zeit sehr brav. Sie schlafen viel und dennoch macht es Arbeit, sie zu füttern, sie zu wickeln, sie zu trösten und vieles mehr. Ich denke an meine Mitreisenden und das, was Mrs. Bly widerfahren ist. Ich glaube es war auf der Etappe von Colombo nach Singapur, als in der Kabine neben ihr eine Familie mit Kindern logierte, die alle sehr viel Lärm verbreitet haben, sodass Mrs. Bly um ihren Schlaf gebracht wurde. Ich werde es gleich noch einmal nachlesen. Die Mädchen, Schwester Jolanta und ich sind morgens auch immer recht früh auf, doch wir bemühen uns leise zu sein. Ich habe jedenfalls noch keine Beschwerden gehört. Schwester Jolanta ist bei der Arbeit immer recht schweigsam und die Kinder können noch nicht sprechen, höchstens weinen oder kreischen. Besonders Julie kreischt gerne und ist dann immer über ihre eigene Stimme erschrocken, sodass diese Laute nur recht kurz sind, bevor es wieder still ist. Ich weiß nicht einmal, wen der Lärm stören sollte. Die Kabine links neben uns ist ohnehin nicht belegt. Von rechts höre ich manchmal Schritte, keine Stimmen und ich habe auch noch nie jemanden auf dem Gang getroffen, der in diese Kabine hineinging oder herauskam. Auf dem Schiff gibt es nicht viel zu tun. Am Anfang der Reise, im Mittelmeer, war es wie ein Urlaub. Ich lag an Deck, wenn Schwester Jolanta bei den Kindern war, und habe mich gesonnt und vor allem gelesen. Zum Glück habe ich einige Bücher dabei. Ich habe meine Literatur dem Anlass angepasst und lese derzeit Melvilles »Typee«, damit ich etwas über mein Reiseziel erfahre. Die Empfehlung dafür habe ich in einem Buchladen in Marseille erhalten. Ein fachkundiger Verkäufer hat mir gleich eine Trilogie verkauft. Neben »Typee« sind es noch die Fortsetzungen »Omu« und »Weißjacke«. Ich muss natürlich beim Lesen die Reihenfolge einhalten, obwohl ich zunächst gerne mehr über Tahiti erfahren hätte, doch das findet sich erst im zweiten Teil, in »Omu«, während »Typee« von einer Insel namens Nuku Hiva erzählt, von der ich bislang noch nie etwas gehört habe. In meinem Atlas habe ich sie aber gefunden und festgestellt, dass sie weitab von Tahiti liegt und zu einer ganzen Inselgruppe im Stillen Ozean gehört. Egal, es ist trotzdem sehr unterhaltsam, weil auch die Menschen auf den Inseln beschrieben werden. Das Buch »Typee« ist vor fast fünfzig Jahren geschrieben worden. Sicherlich hat sich bis heute viel verändert. Vielleicht werde ich es erleben und kann dann auch vergleichen, mit dem was ich gelesen habe und mit dem, was mir in der Realität begegnet. Natürlich besitze ich auch Melvilles berühmtestes

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