Ströme meines Ozeans. Ole R. Börgdahl
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Papeete, 3. Oktober 1895
Ich hatte in den letzten Wochen Gelegenheit mich auf der Insel umzusehen. Papeete ist wie eine Stadt, die charakteristischen Dörfer, wie ich sie mir in den Kolonien vorgestellt habe, finden sich eher auf dem Lande. Während der Weltausstellung in Paris wurden auf der Esplanade vor dem Invalidendom Hüttendörfer gezeigt. Solche Hütten finden sich auch auf Tahiti, sie werden Farés genannt. Das Leben in den Dörfern Tahitis sieht aber anders aus, als es auf der Weltausstellung gezeigt wurde. Die Menschen sind bei der Arbeit zu sehen, Kinder spielen, die Frauen kochen, doch nichts ist gestellt, weil es ja das wirkliche Leben ist und keine Vorführung. Natürlich sprechen die Leute hier ihre eigene Sprache, aber wenn ich mit ihnen rede, antworten sie fast immer höflich auf Französisch. Eigentlich müsste ich den Ehrgeiz haben, die Sprache der Einheimischen zu erlernen und vielleicht kommt das ja auch noch. Mein erstes Wort habe ich bereits gelernt und so weiß ich, dass »Fei« Banane heißt. Einen weiteren Ausdruck habe ich auf der Straße gelernt, er lautet »No atu«. Ich habe jemanden gefragt, was es bedeutet, weil dieses »No atu« recht häufig benutzt wird. Ich war etwas erstaunt, denn es heißt so viel wie: »Ich pfeife darauf«. Die Leute hier auf Tahiti nehmen vieles nicht so wichtig, wie mir ein Ladenbesitzer erklärt hat. Einem Franzosen, einem europäischen Franzosen würde allerdings niemand das »No atu« durchgehen lassen.
Papeete, 22. Oktober 1895
Bei den Briefen, die ich heute zur Post gebracht habe, war auch einer für Colonel Dubois dabei. Victor schreibt ihm regelmäßig und er hat auch schon Antwort bekommen. Auf diese Weise erfährt Victor, was in Frankreich vor sich geht, was in Militärkreisen berichtet wird.
Papeete, 1. November 1895
Mein erster Geburtstag auf Tahiti. Ich war an diesem Tag noch nie so weit von zu Hause fort. Ich muss auch nachdenken, ob ich meinen Geburtstag jemals an einem anderen Ort außer Paris begangen habe. Natürlich muss ich nicht lange überlegen, die ersten zehn Geburtstage fanden in Vannes statt, aber seither war es immer Paris. Vannes, Paris, Papeete, warum sollte ich diese Kette nicht weiterführen und ihr zahllose exotische Orte hinzufügen. Obwohl Tahiti so einsam im großen Ozean liegt, gibt es doch jede Menge anderer Inseln, die ich an künftigen Geburtstagen besuchen könnte. Ich werde es Victor als Geburtstagsgeschenk auftragen. Mein großes Geschenk für dieses Jahr ist aber Victor selbst und meine beiden Mädchen und dass wir alle wieder glücklich vereint sind.
Papeete, 10. November 1895
Es gibt eine Sache, die ich an Tahiti sehr zu schätzen weiß. Es ist ein Öl, das aus den Blüten der Gardenie gewonnen wird. Die Maori nennen es Monoi-Öl. Es duftet herrlich und macht die Haut weich und geschmeidig. Ich hatte mich erst davor gescheut, auch Thérèse und Julie mit diesem Öl einzureiben, aber der Verkäufer versicherte mir, dass ich keine Bedenken zu haben bräuchte. Meine beiden Mädchen sind immer ganz still und erwartungsvoll, wenn ich das Öl benutze.
Papeete, 20. November 1895
Jetzt sind meine Mädchen schon solange auf dieser Welt, wie ich sie in meinem Bauch getragen haben. Es ist erstaunlich, wie fern mir dies alles schon ist. Ich kann mich kaum noch daran erinnern, wie es war, als ich sie noch nicht hatte. Es ist einfach selbstverständlich, sie immer um mich zu haben, auf sie achtgeben zu müssen, vielleicht immer ein wenig in Sorge zu sein. Sie ziehen sich schon an Tischen und Stühlen hoch und stehen plötzlich auf ihren eigenen Beinchen. Immer macht es die eine vor und immer die andere gleich nach. Die ersten eigenen Schritte gelingen zwar noch nicht, aber es kann nicht mehr lange dauern. Wir brauchen einen guten Riegel an unserer Gartenpforte. Victor hat übrigens das Plappern gestern auch zum ersten Mal gehört und meinte, dass sich die beiden Geschichten erzählen und wirklich, es hört sich tatsächlich so an. Ich glaube beinahe, einige Wörter verstehen zu können. Victor meint, sie schmiedeten Ausbruchspläne. Wir brauchen wirklich bald einen Riegel an der Pforte.
Papeete, 7. Dezember 1895
Der erste Brief von den Eltern, der mich auf Tahiti erreicht. Ich hatte schon so darauf gewartet, wo ich ihnen doch schon zweimal geschrieben habe. Der Brief wurde vor sechs Wochen in Liverpool gestempelt. Ich muss mich also darauf einstellen, dass die Post immer so lange benötigt, um hier einzutreffen. Wenn ich etwas schreibe, dann wird es sogar drei Monate dauern, bis ich eine Antwort in Händen halte, vorausgesetzt, die Eltern antworten auch immer gleich. Mutter berichtet von der Rue Marcadet, und dass es jetzt ein Geisterhaus wäre, auf jedem Stuhl, in jedem Sessel sitzt ein Gespenst. Ich musste sogar lachen, als ich es gelesen habe. Mutter meint natürlich die Laken, mit denen die Möbel jetzt abgedeckt sind. Jeanette hat diese Arbeit erledigt und sie lässt auch schön grüßen. Sie ist etwas traurig, dass sie die Mädchen nicht mehr kennengelernt hat. Ich ärgere mich auch schon, dass wir nicht doch noch einmal in Paris waren. Ich will Jeanette schreiben und den Eltern.
Papeete, 24. Dezember 1895
Ich muss den heutigen Tag kurz erwähnen, nicht wegen des Weihnachtsfestes, nein, denn heute sind Victor und ich fünf Jahre verheiratet. Es ist Zeit, eine Bilanz zu ziehen. Wir haben gemeinsam schon vieles erlebt. Wir waren in Nantes stationiert, wir haben uns gegen eine Ungerechtigkeit gewehrt und behauptet und wir haben eine lange Trennung überstanden und wir haben zwei wunderbare Töchter bekommen. Es ist eine ganze Menge. Ich weiß nicht, was in fünf Jahren sein wird, aber ich freue mich schon heute, es mit Victor zu erleben, mit Victor, mit meiner Familie.
Papeete, 29. Dezember 1895
Weihnachten ohne Schnee, das habe ich schon gehabt, aber Weihnachten an einem Sommertag, das war mir bislang neu. Wir haben nicht auf das Wetter geachtet, es ist nicht gut, auf das Wetter zu achten. Wir haben alles so gemacht wie zu Hause, den Kirchgang, das Festessen, die gemütliche Ruhe, oder das, was für uns jetzt Ruhe ist, wenn Thérèse und Julie endlich schlafen. Victor hat sich zum Fest gewünscht, dass die Mädchen ihm in die Arme laufen, es hat geklappt oder zumindest lassen wir es gelten, so wie sie es gemacht haben. Thérèse und Julie haben sich gleichzeitig am Sessel hochgezogen. Victor hat sich vor sie hingehockt und sie mit ausgebreiteten Armen zu sich gerufen. Nach ein paar Sekunden des Zögerns haben die Mädchen dann einen Schritt nach vorne getan und sind ihrem Papa glücklich in die Arme geplumpst. Das Laufen ist noch nicht so richtig ihr Metier, im Krabbeln dagegen bringen sie es schon zur Meisterschaft.
1896
Papeete, 3. Januar 1896
Wieder etwas Neues. Victor ist heute Morgen zum ersten Mal in diesem Jahr zum Dienst gegangen. Ich bin zum Abschied mit zur Gartentür gegangen, die beiden Mädchen im Arm. Victor hat sich noch einmal umgedreht und uns gewunken, woraufhin Thérèse und Julie zurückgewunken haben. Es war wirklich süß. Morgen stehen wir wieder am Tor, wenn Papa zum Dienst geht.
Papeete, 17. Januar 1896
Colonel Dubois schickt seine Briefe immer direkt an den Stützpunkt, von dort bringt Victor sie dann mit nach Hause. Erst gestern ist wieder Post eingegangen und Victor hat mir vorgelesen. Es waren wirklich belanglose Dinge. Es wurden Namen von irgendwelchen Offizieren genannt, die ich nicht kenne. Victor hat ihre Stellung aber immer kommentiert, ein Bataillonschef, ein Adjutant im Kriegsministerium oder der Kommandeur irgendeiner Kaserne in irgendeiner Garnisonsstadt. Es ist ganz gut, dass Colonel Dubois all diese Leute kennt, es wird Victor bestimmt eines Tages nützen.