Ströme meines Ozeans. Ole R. Börgdahl
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Papeete, 26. April 1896
Bisher ist Victor in dienstlichen Angelegenheiten immer auf Tahiti geblieben. Dies wird sich im Mai oder Juni ändern, er muss eine Reise zu anderen Inseln des Protektorats antreten. Zum Glück soll er nur wenige Tage unterwegs sein. Das Ziel sind die Inseln der Marquesas-Gruppe. Er wird die dortigen Militäreinrichtungen inspizieren.
Papeete, 6. Mai 1896
Fanaa hat mir heute ein Geschenk überreicht. Es ist ein Ziegenfell. Wir hatten ja damals, nach Victors Jagd, nur einen kleinen Teil für einen Braten behalten. Fanaa hatte das fast unversehrte Tier mitgenommen und das Fleisch in ihrer Gemeinde verteilt. Irgendjemand hat das Ziegenfell dann gegerbt und getrocknet und die Ränder kunstvoll vernäht. Es ist eine richtige kleine Decke daraus geworden, eine Felldecke. Das Fell ist so schön weich, dass wir es auf die Bastmatte gelegt haben, auf der Julie und Thérèse immer sitzen.
Papeete, 14. Mai 1896
Victor weiß jetzt, dass er am 22. Mai abreisen wird. Aus den wenigen Tagen sind jetzt aber zwei bis drei Wochen geworden, was auch daran liegt, dass die Fahrt zu den Marquesas fast eine Woche dauert. Wir haben ja schon einmal eine viel längere Trennung überstanden und werden auch dies überstehen.
Papeete, 22. Mai 1896
Großer Abschied. Die Mädchen begreifen zwar noch nicht, dass Victor am Abend nicht wieder zu Hause sein wird, aber sie wissen wohl schon, dass heute etwas anders ist als sonst. Wir sind nämlich mit zum Hafen gefahren und haben den Papa zum Schiff gebracht. Die Zeit wird schon vergehen und ganz bald stehen wir erneut am Quai und holen Victor wieder ab.
Papeete, 3. Juni 1896
Für Thérèse und Julie gibt es seit einiger Zeit ein neues Spielzeug. Irgendjemand hat einen Stoffball mitgebracht und die beiden haben ihn für sich entdeckt. Sie rollen das Ding vor sich her, greifen danach und sind ganz groß darin, es der anderen wegzunehmen. Ich werde einen zweiten Ball besorgen müssen. Noch gibt es zwar keinen richtigen Streit, aber das kann ja noch kommen. Fanaa und ich haben jetzt auch eine Ecke des Zimmers mit einem Zaun abgeteilt. Thérèse und Julie krabbeln einfach zu schnell und häufig laufen sie auch schon und sie erzählen sich Geschichten, die wir aber immer noch nicht verstehen. Victor ist jetzt schon die zweite Woche fort. Ich erhalte leider auch keine Nachrichten von ihm, weil das Dampfschiff erst mit Victor wieder von den Marquesas zurückkehrt.
Papeete, 12. Juni 1896
Nach fast genau drei Wochen sehen wir den Papa wieder. Victor ist wohlbehalten zurück. Wie versprochen bin ich mit den Mädchen zum Hafen gefahren und wir haben dort auf das Einlaufen des Dampfschiffes gewartet. In Europa wäre Victors Reise eine Reise über den halben Kontinent gewesen. Die Marquesas-Inseln liegen über tausend Kilometer von Tahiti entfernt und dies alles mit einem so kleinen Dampfschiff. Bei Victors Abreise hatte ich schon ein wenig Angst, wo der gewaltige Ozean doch eigentlich nur mit einem seetüchtigen, großen Schiff durchfahren werden sollte. Es ist alles gut gegangen und Victor hat mich auch im Nachhinein beruhigt, es sei alles völlig ungefährlich. Er ist auf der Insel Nuku Hiva sogar einem Kapitän aus dem amerikanischen Bosten begegnet, der mit seinem Segelboot und dazu noch ganz alleine fast alle Weltmeere durchfahren hat und nicht einmal in große Not geraten ist. Ich glaube nicht, dass es diesen Kapitän Slocum wirklich gibt, der jetzt mit seinem Boot sogar schon auf dem Weg nach Australien sein soll. Für Victors gemeine Flunkerei habe ich aber eine Entschädigung erhalten. Auf den Marquesas beherrschen die Insulaner ebenfalls die Kunst des Monoimachens und Victor hat mir ein paar erlesene Fläschchen mitgebracht. Es riecht etwas anders, als das Öl, das ich in Papeete zu kaufen gewohnt bin. Jetzt habe ich wenigstens ein paar unterschiedliche Düfte. Victor war die ganze Zeit auf Nuku Hiva, wo er auch das Monoi gekauft hat. Ich kenne die Insel Nuku Hiva ja aus einer der Geschichten von Melville.
Papeete, 1. Juli 1896
Mutter lässt mich am Leben in Europa teilhaben. In der aktuellen Post schickt sie mir wieder eine Zeitung, diesmal aber nicht aus aktuellem Anlass, sondern einfach nur so. Es ist ein neues englisches Blatt. Die Daily Mail ist in den vergangenen Wochen für Mutter zu dem geworden, was für Vater die Times ist. Mutter fand die Times schon immer langweilig, zu ausführlich, zu politisch. Die Daily Mail lässt sich leichter lesen, was auch ich recht angenehm finde. Mutter verspricht mir, in ihren nächsten Briefen immer wieder einmal eine Ausgabe beizulegen. Ich werde natürlich alles sammeln, was mich bisher und künftig in dieser Abgeschiedenheit erreicht. Es gibt aber auch Nachrichten, die nicht allein durch eine Zeitung oder ein Magazin zu uns dringen, denn ganz so abgeschnitten von der Welt sind wir hier dann doch nicht. Eine dieser Nachrichten hätte ich aber am liebsten gar nicht gehört. Es betrifft eine verheerende Flutkatastrophe, die sich an der Küste Japans ereignet hat. Stürme oder Überschwemmungen kommen sicherlich immer wieder einmal vor, aber diesmal soll es mehrere Tausend Opfer gegeben haben, Tote und Verletzte. Japan liegt so unvorstellbar weit von uns entfernt, aber mein Atlas zeigt, dass uns derselbe Ozean verbindet.
Papeete, 17. Juli 1896
In einem chinesischen Laden habe ich zwei Stoffpuppen gekauft. Ich wollte eine Rote und eine Gelbe nehmen, dann habe ich doch lieber zwei rote genommen, damit sie völlig gleich sind. Thérèse und Julie hatten bislang noch keine Puppen, sie haben immer mit ihren Deckchen geschmust. Die Puppen wurden herzlich aufgenommen, als wenn die beiden nur auf solch ein Spielzeug gewartet hätten. Mit der Farbe hätte ich mir aber keine Gedanken machen müssen, es gab trotzdem Streit, weil Thérèse irgendwann die Puppe haben wollte, die sich Julie zuvor ausgesucht hatte. Julie war ganz verdutzt. Es gab ein bisschen Gekreische, aber es war schnell vorüber, weil die Mädchen irgendwann wohl nicht mehr wussten, welches wessen Puppe war. Ich könnte es jetzt auch gar nicht mehr unterscheiden.
Papeete, 3. August 1896
Ich bin schon länger als ein Jahr hier in Polynesien und ich habe noch nicht einmal über den Tellerrand geschaut. Mit diesem Tellerrand meine ich Tahiti. Natürlich weiß ich von Moorea, es ist ja vom Hafen aus nicht zu übersehen, aber ich meine mehr die anderen, ferneren Inseln, die auch zu unserem Protektorat gehören. Der Hafenkapitän hat mir Einblick in seine Seekarten gegeben und mir alles gezeigt. Ich habe sogar eine Karte mitnehmen dürfen, aus der ich jetzt zitieren kann. Moorea und Tahiti sind natürlich die größten der Inseln. Im Nordwesten liegt dann eine Inselgruppe, die gut hundert Seemeilen von uns entfernt beginnt, Huahine, Tahaa, Raiatea und Bora Bora. An diesen Inseln bin ich sogar schon einmal vorbeigefahren, ohne sie aber gesehen zu haben. Um einiges näher an Tahiti, dafür aber ganz einsam und klein, liegen die Inseln Tetiaroa im Norden und Maiao Iti im Westen. Dann gibt es noch Mehetia im Osten, Makatea im Nordosten und Tupai und Maupiti die beide in südwestlicher Richtung liegen und die weit über hundert Seemeilen von uns entfernt sind. Aber das ist noch nicht alles. Es gibt im Nordosten noch einen ganzen Archipel kleiner und kleinster Inseln, das Tuamotu-Archipel. Die Inseln des Tuamotu-Archipels erstrecken sich über eine Distanz von tausend Seemeilen. Auf der Karte sind es lauter kleine Punkte. Über dem Tuamotu-Archipel öffnet sich dann der Ozean, aber nach gut siebenhundert Seemeilen kommen dann die Marquesas-Inseln. Hiva Oa und das mir schon bekannte Nuku Hiva sind die Größten. Ich überblickte noch einmal die Seekarte und denke, dass alles Wichtige erwähnt ist.
Papeete, 20. August 1896
Anne hat zum zweiten Mal geschrieben.