Ströme meines Ozeans. Ole R. Börgdahl
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Papeete, 17. März 1897
Thérèse und Julie sind heute zwei Jahre alt geworden. Es ist hier auf Tahiti jetzt acht Uhr am Morgen und in Paris, laut meiner Schiffsuhr, acht Uhr abends. An beiden Orten haben wir zurzeit aber noch den 17. März, also den richtigen Tag, den richtigen Geburtstag. Victor hat schon die ganze Woche frei, sodass wir gleich heute früh etwas mit den Kindern unternehmen können. Wir sind gerade alle aufgestanden, die Kinder waren natürlich schon lange wach, aber Victor und ich schaffen es, trotz der Unruhe immer noch ein wenig weiterzuschlafen. In einer halben Stunde gibt es erst einmal Frühstück. Wenn ich bedenke, vor zwei Jahren waren Thérèse und Julie doch noch so klein.
Papeete, 22. März 1897
Das Buch von Monsieur Viaud konnte ich nur sehr langsam lesen, was ganz gegen meine Gewohnheit ist. Ich habe es jetzt aber doch geschafft. Es hat ein trauriges Ende gefunden. Der englische Seemann verlässt seine tahitianische Frau, um sie niemals wiederzusehen. Sie wartet aber auf ihn und stirbt schließlich vor Gram. Loti denkt immer mit Wehmut, ja mit Sehnsucht an Tahiti, auch nachdem er schon lange fort ist. Ich frage mich nur, warum er nicht zurückgekehrt ist. Vielleicht soll dies dem Buch erst die Dramatik geben und auch beim Leser die Sehnsucht wecken. Ich habe das Buch am Ort dieser Sehnsucht gelesen und empfinde es daher ganz anders. Ich will einfach nur mehr über Ozeanien erfahren und dazu hat es ein wenig getaugt, wenn es nüchtern und nicht trunken gelesen wird, was mir als Frau viel besser gelingen sollte. Im Verlaufe meines Lesens habe ich natürlich immer nach den Orten gefragt, die in der Geschichte genannt werden. Es soll tatsächlich einen Wasserfall bei Fataoua geben und auch die Distrikte Apiré, Papenoo oder Maraa sind auf Tahiti bekannt, obwohl ich die Namen nicht auf der Landkarte gefunden habe. Dann hat mich noch dieses Wörterbuch des Picpus-Ordens interessiert. Es ist aber wohl nicht zu beschaffen, denn in Papeete kennt es niemand. Wenigstens zitiert Monsieur Viaud einige polynesische Wörter. Es sind aber leider nur die Namen von Göttern und mystischen Dingen, die mir für ein Gespräch mit Fanaa nicht helfen und die sicherlich auch von unserer Kirche nicht gerne gehört werden. Einzig der Brief, den Rarahu an Loti schreibt und der in dem Buch sowohl auf Tahitianisch als auch in der französischen Übersetzung geschrieben steht, liefert mir eine Grußformel, die ich demnächst verwenden werde. »La ora na oe« heißt »Ich grüße Dich«. Fanaa hat es gleich verstanden und so muss es richtig sein. Natürlich könnte Fanaa meine Übersetzerin sein, wenn ich noch mehr von ihrer Sprache lernen möchte, aber sie ist da sehr zurückhaltend, ich merke es ja immer auch auf dem Markt. Auch das »La ora na oe« hat sie nur zögernd aufgenommen, als sei es ihr nicht geheuer. Ich weiß, dass sie sehr viel Respekt vor der Kirche hat und daher fast nur Französisch spricht, auch dann noch, wenn sie mit ihren tahitianischen Landsleuten zusammen ist. Zwei polynesische Sätze habe ich mir dann aber doch aus dem Loti-Buch herausgeschrieben. »Ta u mea iti here rahi« soll »mein kleiner Liebling« heißen und »ta u mafatu iti« bedeutet »mein kleines Herz«. »Iti« ist das Wort für »klein« und das Gegenteil davon, das Wort »nui«, bedeutet »groß«. Tahiti besteht ja auch aus einer großen und einer kleinen Insel, Tahiti nui und Tahiti iti, es ist eigentlich ganz leicht. Ich habe auch über das nachgedacht, was Monsieur Viaud über Tahiti schreibt, wie er seinen Aufenthalt empfunden hat. Ich habe allerdings gehört, dass er selbst nur zwei Monate hier gelebt hat. Ich lebe schon zehnmal länger auf Tahiti. Es ist nicht immer alles paradiesisch, wenn zwei kleine Kinder zu versorgen sind und dazu noch ein Ehemann. Fanaas Hilfe verschweige ich hier jetzt. Als junger Mann, als junger Offizier, ohne eine Familie, mag es erschöpfend sein, jeden Tag an einem Weiher, an einem plätschernden Wasserfall zu verbringen und in den Tag hinein zu leben und wenn so jemand nach zwei Monaten wieder abreist, es als große Ferien gesehen zu haben. Monsieur Viauds Buch wird aber nicht von jedem geliebt. Die Kirche heißt es nicht gut, dass ein europäischer Mann mit einer vierzehnjährigen eine Liebesverbindung eingeht. Monsieur Viaud bezeichnet diese Verbindung zwar als Verheiratung, aber in den Augen der Kirche kann es nichts anderes als Sünde sein. An einer Stelle bezweifelt Rarahu sogar, dass die Polynesier von unserm katholischen Gott abstammen, ein weiterer Stein des Anstoßes.
Papeete, 27. März 1897
Victor hat gestern das Dampfschiff genommen. Die Kreuz des Südens ist immer noch ein jämmerlicher Kahn im Vergleich zu den Schiffen, die mich von Frankreich nach Tahiti gebracht haben. Die Kinder und ich kommen nicht mit, denn schon in einem Monat wird Victor zurückkehren, für zwei Wochen bleiben und wir können dann immer noch entscheiden, ihn für den Rest seines Aufenthalts auf Nuku Hiva zu begleiten. Mich schreckt auch ein wenig die Dauer der Überfahrt, immerhin sechs Tage, mich schreckt es der Kinder wegen.
Papeete, 16. April 1897
Ostern steht vor der Tür. Ich habe schon einmal ein Osterfest ohne Victor gefeiert, wenigstens hat er geschrieben. Die Kreuz des Südens hat seinen Brief auf der Rückfahrt mitgebracht. Victor berichtet über Nuku Hiva, dass er die Insel jetzt besser kennenlernen kann, als es noch bei seinem ersten Besuch im letzten Jahr möglich war. Die Siedlungen sind klein, aber es herrscht doch schon reichlich französisches Leben. Die Jérôme wird nach Ostern zu den Marquesas segeln und den Brief befördern, den ich Victor gerade geschrieben habe. Die Jérôme wird Victor dann auch bald wieder nach Tahiti bringen.
Papeete, 27. April 1897
Mutter schickt mir einmal mehr das Petit Journal. Auf dem Titelbild ist der große Clown vom diesjährigen Karnevalsumzug abgedruckt. Mutter und Vater haben ihn gesehen, sie waren in Paris und haben sich auch um unser Haus gekümmert.
Papeete, 10. Mai 1897
Gestern habe ich im Hafen auf die Jérôme gewartet. Victor ist wieder zurück, wenn auch nur für kurz. Er hat mir ein Geschenk mitgebracht, eine geschnitzte Holzfigur, einen Tiki. Victor hat mich allerdings gewarnt, ihn nicht den Missionaren zu zeigen. Auf den Marquesas versuchen die Missionare gerade diese Götzenanbetung auszutreiben. Die Figur ist sehr schön, aus glatt poliertem, dunklem Holz.
Papeete, 18. Mai 1897
Ein zweiter Brief von den Eltern, es gibt nur eine Neuigkeit, eine traurige Neuigkeit. Jeanette hatte eine Totgeburt. Sie wäre beinahe verblutet. Mutter wusste noch, dass es ein Mädchen war. Jeanettes ganze Kraft ist jetzt ihr kleiner Hugo.
Papeete, 24. Mai 1897
Diesmal fiel uns der Abschied schwerer als noch Ende März. Victor wird noch einmal einen ganzen Monat fort sein. Ich bin froh, dass es keine zwei Monate sind, wie es anfangs geplant war. Die Garnison wird bald von anderen Offizieren übernommen, die dann ständig auf Nuku Hiva bleiben. Victor ist für die Versorgung der Basis verantwortlich. Er wird sicherlich noch mehrmals reisen müssen, aber dann nicht mehr für so eine lange Zeit. Ich werde jetzt jeden Tag bis zu seiner Rückkehr zählen.
Papeete, 10. Juni 1897
Aliette hat am 17. Mai einen Jungen zur Welt gebracht, sie nennen ihn Robert. Aliette schreibt, dass es nicht ganz leicht war und dass sie sich noch immer nicht ganz von der Geburt erholt habe. Ich muss die Reise nach Tutuila jetzt unbedingt planen.
Papeete, 15. Juni 1897
Die Kreuz des Südens hat heute nur einen Brief von Victor gebracht, obwohl wir ihn ja