Ströme meines Ozeans. Ole R. Börgdahl
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Papeete, 20. Juni 1897
Die Post ist heute auf See gegangen. Ich muss wieder die lange Beförderungszeit einplanen und habe dem Brief natürlich unsere Glückwünsche zu Vaters Geburtstag hinzugefügt. Im Juli muss ich dann auch mit Mutters Geburtstag in gleicher Weise verfahren. Es muss alles im Voraus geplant werden, damit es rechtzeitig ankommt.
Papeete, 1. Juli 1897
Victor ist seit einer Woche endgültig wieder zurück von den Marquesas. Die Trennung hat mich schon sehr belastet. Das nächste Mal begleiten die Kinder und ich ihn. Thérèse und Julie sind jetzt eigentlich alt genug für ein solches Abenteuer. Es lässt sich schon beobachten, dass Julie die unternehmungslustigere von den beiden ist. Während Thérèse oft im Garten nur bis zum nächsten Stuhl läuft, ist Julie viel ausdauernder. Sie läuft, fällt, steht wieder auf und läuft weiter, fast bis zur Erschöpfung. Ich suche immer nach Anzeichen, wie sie sich unterscheiden, noch lässt sich wenig über ihren Charakter sagen, aber dieser Ansatz von Wildheit bei Julie scheint bei Thérèse nicht ganz so vorhanden zu sein.
Papeete, 8. Juli 1897
Die Annexion der Hawaii-Inseln durch die Vereinigten Staaten ist hier derzeit Gesprächsthema. Diese Inselgruppe liegt wie Tahiti im Pazifischen Ozean, aber bei Weitem nicht in unserer Nachbarschaft. Ich habe wieder den Atlas bemüht. Es sind immer so schrecklich große Entfernungen. Die Hawaii-Inseln wären sicherlich auch ein lohnendes Reiseziel, aber wohl unerreichbar, sie liegen auf halbem Wege nach Japan, wir wären wochenlang unterwegs.
Papeete, 20. Juli 1897
Manchmal würde ich die Mädchen gerne anbinden, so flink sind sie fort. In der Stadt dürfen wir sie nicht von der Hand lassen. Im Garten ist es nicht so schlimm, aber nur wenn das Tor auch gut verschlossen ist. Ich bin froh, dass noch keine von ihnen ausgebüchst ist. Victor meint, es sei nicht so tragisch, wenn es doch einmal geschieht. Wir würden sie schnell wieder einfangen, er würde eine Mannschaft schicken, die uns bei der Suche hilft. Gefährlich ist es in unserer Nachbarschaft nicht, aber ich hätte trotzdem Angst, dass sie in einen Bach stürzen könnten. Wir haben sogar unsere Regentonne fest verschlossen, weil jemand meinte, es sei für die Kinder gefährlich.
Papeete, 5. August 1897
Dieser Tage habe ich mich über Post von den Eltern gefreut. Es hatte sich wieder einiges ereignet, über das Mutter berichten konnte. Es gab Schönes und sogar Schreckliches. Ich beginne mit dem Unglück, das mich sehr berührt hat. In Paris hat sich in der Rue Jean-Goujon, auf dem Bazar de la Charité eine verheerende Feuerkatastrophe zugetragen. Ich habe hier bei mir einen silbernen Kerzenhalter, den ich einmal auf dem Basar gekauft habe. Ich kann mich noch sehr gut an das bunte Treiben erinnern. Diese schlimme Geschichte wird noch schrecklicher, weil Mutter es nicht versäumt hat, ihrem Brief ein Exemplar des Petit Journals beizulegen. Das Journal ist wie immer gnadenlos, denn es ist wieder einmal alles sehr detailliert beschrieben und mit Bildern verdeutlicht. Auf dem Basar ist es am Nachmittag des 4. Mai zu einem Brand gekommen, ausgelöst durch ein offenes Licht und es hat so unvorstellbar viele Todesopfer gegeben, dass ich ihre Zahl hier nicht auch noch nennen möchte. Der Basar existiert nicht mehr und wird wohl auch nie mehr wiedereröffnet. Der gute Gedanke, die Wohltätigkeit, ist mit ein Opfer der Flammen geworden. Nach dieser tragischen Geschichte gab es nur noch heitere Nachrichten. Mutter hat sich einen großen Wunsch erfüllt und Vater und sie waren Ende Juni in London, um dem Diamantenen Thronjubiläum der Königin beizuwohnen. Dieses Mal hat Mutter die Queen auch tatsächlich leibhaftig gesehen. Die Kutsche fuhr ganz nah an ihnen vorbei. Die Eltern hatten zusammen mit vielen Hundert anderen Menschen in der Nähe der Londoner Saint Paul's Cathedral gewartet und es hat sich gelohnt. Eine weitere Angelegenheit, über die Mutter schreibt, hat mich etwas verwundert. Mutter hegt anscheinend Sympathie für die Suffragettenbewegung, wo sie doch eher konservativ eingestellt ist und eine Monarchie der Republik vorzieht. Aber schließlich ist Queen Victoria ja auch eine Frau und somit das beste Beispiel, dass den Frauen mit der Zeit mehr und mehr Rechte zugestanden werden müssen. Mutter engagiert sich zwar nicht für die Frauenrechtlerinnen, aber sie liest begeistert über deren Angelegenheiten und über die Damen, die stellvertretend für die Frauenrechte in England kämpfen.
Papeete, 22. August 1897
Wer laufen kann, muss auch schwimmen können, das hat Victor gesagt. Er meint damit unsere Mädchen. Wir waren heute mit ihnen an einem Weiher. Sie haben natürlich noch nicht schwimmen gelernt, aber wir sind mit ihnen baden gegangen, im flachen Wasser und es hat ihnen große Freude gemacht. Zunächst war ihnen das Wasser aber etwas zu kalt und Thérèse hat sogar geweint, aber als Julie dann auf Victors Arm mutig in die Fluten gegangen ist, wollte Thérèse nicht zurückstehen. Hinterher hatten die beiden sogar schon blaue Lippen und waren nur schwer von ihrem Bade zu trennen. Victor will noch ein Jahr warten und ihnen dann wirklich das Schwimmen beibringen.
Papeete, 11. September 1897
Heute werden wir an Mutter denken, denn es ist ihr Geburtstag. Unsere Glückwünsche hat sie hoffentlich schon erhalten. Den Brief habe ich bereits vor Wochen abgeschickt. Es ist wichtig, dass sie ihn gelesen hat. Für den heutigen Tag habe ich mir nämlich etwas Besonderes ausgedacht. Die Kinder sollen ihrer Großmutter etwas singen. Mutter wird es natürlich nicht hören können, wie auch, aber ich finde, es ist trotzdem eine schöne Idee. Ich habe Mutter davon geschrieben, unser Vorhaben angekündigt. Ich schaue auf meine treue Schiffsuhr, die mir die Zeit in Europa anzeigt. In einer halben Stunde ist es soweit. Mutter kennt die Uhrzeit, sie soll dann ganz stillsitzen und die Augen schließen und sich vorstellen, dass sie uns singen hört. Sie soll mir unbedingt berichten, wie es war. Ich hoffe dies alles klingt nicht zu albern.
Papeete, 22. September 1897
Victor und ich haben über die Neuigkeiten im fernen Europa gesprochen. Vor gut einem Monat hat sich unser Staatspräsident Monsieur Faure zu einem offiziellen Besuch beim russischen Zaren in Kronstadt eingefunden. Alles dreht sich um das Bündnis zwischen Frankreich und dem Russischen Reich, eine Militär-Allianz, wie Victor mir erklärt hat. Russland ist schon seit ein paar Jahren unser Bündnispartner. Mit Faures Besuch wurde es jetzt noch einmal bekräftigt. Der Besuch gilt auch als Signal an andere Nationen.
Papeete, 5. Oktober 1897
Victor hatte Colonel Dubois vor ein paar Wochen geschrieben. Victor wollte wissen, wie über ihn geredet wird, ob sich die Verleumdungen dieses Leverne herumgesprochen haben. Ich war erst gegen den Brief, was soll schon sein, es gibt doch keine Beweise. Victor ist Christ, es ist doch unerheblich, als was seine Mutter zur Welt gekommen ist. Victor wurde christlich erzogen, er ist ein guter Christ. Colonel Dubois Antwort ist jetzt eingegangen. Es gab ein ganz einfaches Fazit: Keiner spricht über Victor, die Leute erinnern sich an ihn, aber keiner spricht über ihn. Ich möchte über dieses Thema jetzt auch nichts mehr hören.
Papeete, 18. Oktober 1897
In den letzten beiden Jahren habe ich Schwester Jolanta nur wenig gesehen. Der Orden betreibt außerhalb Papeetes eine Schule und dort unterrichtet sie. Ich denke mir, es ist eine lohnende Aufgabe, mit Kindern zu arbeiten. Von den Neuigkeiten war ich dann doch schon überrascht. Es ist eben schwer einzuschätzen, was wirklich in einer Ordensschwester vorgeht. Schwester Jolanta jedenfalls wohnt jetzt in einem Hotel in Papeete und sie wartet auf eine Passage nach Europa. Ich habe sie kurz gesprochen, ich habe sie besucht