Westdämmerung. Christian Friedrich Schultze

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Westdämmerung - Christian Friedrich Schultze Trilogie

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den Landesregierungen der so genannten neuen Bundesländer zugeordnet werden. Das hätte dem Privatisierungsprozess vielleicht eine andere, regionalere Richtung gegeben.“

      „Und warum habt ihr das nicht durchgesetzt?“

      Wauer lächelte den Freund müde an: „Erstens bekamen wir nicht einmal eine Mehrheit innerhalb der Fraktion zustande. Und dann waren wir ja auch noch die Minderheit in der Koalition mit der CDU. Außerdem war die Übergangs-DDR trotz der westdeutschen Transferleistungen so gut wie pleite und der totale Zahlungsausfall stand bevor. Nach den Wahlen, in der kurzen Periode, die wir ‚Übernommenen‘ dann in Bonn waren, wurde die Treuhand dem Finanzministerium zugeordnet und bekam lediglich Dependancen in den fünf Ostländern. Was sich jetzt zum Beispiel in der Leipziger Niederlassung mit den sächsischen Betrieben abspielt, hast du ja sicherlich in den Zeitungen gelesen.“

      „Na ja, das war bei diesem Umbruch nicht anders zu erwarten. Dennoch frage ich mich, wieso ausgerechnet die RAF, die ja nur noch ganz unbedeutende aktive Resttruppen hatte, den Rohwedder umgelegt haben soll. Sie haben sogar noch auf seine Frau geschossen. Für mich ergibt das gar keinen Sinn! Er war doch eigentlich einer, der gegen die allgemeine Tendenz des Plattmachens der ostdeutschen Kernindustrie angegangen ist. Seine Hervorhebung der sozialen Verantwortung des westdeutschen Staates beim ‚Anschluss‘ kam jedenfalls beim Großkapital nicht so besonders gut an. Insofern war er für die RAF überhaupt nicht das richtige Ziel! Da fallen einem doch viel signifikantere Leute ein, die in deren Visier gepasst haben könnten.“

      „Auf seiner letzten USA-Reise, auf der er potentielle Investoren für den Osten informieren und gewinnen wollte, erregten seine sozialverträglichen Anschauungen auch nicht gerade nur Zustimmung, da hast du schon Recht. Die merkwürdig eindeutigen Hinterlassenschaften der Attentäter, Bekennerbrief, Handtuch, Patronenhülsen und so weiter, müssen einen jedenfalls verwundern. Es gab schließlich ganz andere ‚interessierte Kreise‘, denen der Tod Karsten Rohwedders Vorteile brachte. Selbst bestimmte Gruppierungen der aufgelösten Stasi könnten in Frage kommen. Das wird zu unseren Lebzeiten wohl niemals ans Tageslicht gelangen. Außerdem: Nicht Rohwedder, sondern Leute wie Horst Köhler und der SPD-Finanzexperte Tilo Sarrazin, mit ihren Vorbereitungen zur schnellen D-Mark-Einführung, sind für mich die eigentlichen Helfer des Sterbens der DDR-Industrie. Andererseits gab es dazu vielleicht tatsächlich keine Alternative. Denn die Ostdeutschen wollten reisen und Bananen essen. Andernfalls wären aber schließlich alle ‚rübergemacht‘.“

      Der Freund grinste. „Für mich sieht es unzweifelhaft wie ‚Sterbehilfe‘ aus, vor allem für unser Gesundheits- und Sozialsystem. Vielleicht am Ende sogar für das bestehende westdeutsche.“

      Wauer sog scharf die kühle Herbstluft ein und nahm einen weiteren Schluck, ehe er antwortete: „Das ist wieder eine deiner pessimistischen Interpretationen. Ist übrigens das erste Mal, dass ich dich unser DDR-Gesundheitssystem loben höre. Ich kann nur sagen, dass ich die neuen Freiheiten wunderbar finde und mich noch deutlich und sehr ungern an meine Albträume in der DDR-Zeit erinnere. - Aber mir wird kalt, wir sollten jetzt lieber reingehen.“

      „Ich lobe es nicht, auch wenn das westdeutsche gänzlich anders ist und ich Mühe habe, mich da zu assimilieren. Es ist einfach schrecklich, wie wir jetzt von Beratern und Vertretern der internationalen Pharma-, Versicherungs- und Gesundheitsindustrie förmlich überrannt werden. Und es ist beängstigend zu sehen, wie die das Heft in die Hand nehmen. Und sollte diese Tendenz zunehmen, wird es in Deutschland bald so werden wie in den USA. Dann können wir uns alle auf etwas gefasst machen.“

      5.

      Martin Wauer war dem Rat seines Freundes Thomas Deutscher gefolgt und hatte im Anfang 1991 ein Planungsbüro für Hoch- und Tiefbauarbeiten gegründet. Dem waren einige besondere Studien und Beratungen mit westdeutschen Fachleuten vorausgegangen. Denn der ostdeutsche Bauingenieur war sich keineswegs sicher, ob er wirklich die Fähigkeiten und Fertigkeiten besaß, die zur erfolgreichen Führung eines solchen, wenn auch kleinen Unternehmens, erforderlich waren.

      Deutscher hatte seinerseits mit der Idee gerungen, sich als freier Arzt niederzulassen. Dann hatte er sich aber entschieden, sich für die Chefarztstelle der Inneren Abteilung des Kreiskrankenhauses zu bewerben, die man nach den dafür neu geltenden Gesetzen ausgeschrieben und ihm auch von verschiedenen Seiten anempfohlen hatte. Er hatte sich, wie zwei weitere Bewerber, die aus dem Westen kamen und etwas jünger waren als er, im Kreistag dazu vorstellen müssen. Wauer hatte bei dieser Gelegenheit unter den Kreisräten einiges für den Freund tun können und dabei die Freuden und Leiden der so genannten Lobbyarbeit auf den „unteren Ebenen“ kennengelernt.

      Deutscher war der einzige von den Bewerbern, der die drei Niederlassungen der Kreisklinik in Zittau, Ebersbach und Herrnhut auch von innen kannte. Die Kreisräte, bis auf ein paar wenige Neubürger aus dem Westen fast alles „Oberlausitzer Granitschädel“, wählten schließlich den Einheimischen, was in dieser Umbruchzeit gar nicht so selbstverständlich war, weil man oft lieber auf die überlegenen Ratschläge der massenhaft umherwandernden westdeutschen „Erntehelfer“ hörte. So wurden die unzähligen Unternehmensberater, die die Früchte des Anschlusses miternteten, von einigen nicht wohlmeinenden Ossies betitelt.

      Wauer hingegen hatte keine Alternative gehabt. Denn in den Bundestag wollte und konnte er nicht mehr zurück. Seinen Berliner Wahlkreis hatte er durch die Wahlkreisreform sowieso verloren und der Stadtbezirk Weißensee war neuerdings Berlin-Mitte zugeordnet worden. Natürlich hatte es gar keine Zweifel gegeben, dass man diesen Beritt der Nummer Eins der ostdeutschen Sozies zuordnete, zu der Wolfgang Thierse, unter Wauers wirkungsvoller Mithilfe, inzwischen avanciert war.

      Ein anderer Genosse der Ost-SPD aus Zittau, der quasi sein Nachfolger im Bundestag geworden war, half dem frischgebackenen Oberlausitzer Neuunternehmer tatkräftig bei seinem kühnen Vorhaben einer Unternehmensgründung. Friedrich Lehmann war über die Sächsische Liste für seinen Oberlausitzer Wahlkreis nominiert und gewählt worden. Wauer war hingegen noch in Berlin registriert gewesen. Als Berliner hatte er sich jedoch nie gefühlt und seine damalige Nominierung und Wahl für die letzte, einzig frei gewählte, Volkskammer der DDR über die Ostberliner Liste hatte er ohnehin mehr oder weniger als Zufall empfunden. Jetzt ging es aber um seine Zukunft und auch um die seines Sohnes. Denn etwas, das sein künftiges Leben sicherte, musste er auf die Beine stellen. Das Übergangsgeld aus dem Bundestag reichte allenfalls ein Jahr.

      Lehmann hatte ihm eine Anwaltskanzlei empfohlen, der ein Steuerbüro angeschlossen war. Ein früherer Zittauer, der schon vor dem Mauerbau 1961 als junger Student die "Ostzone" verlassen hatte, war aus Nürnberg in seine Heimatstadt zurückgekehrt und hatte eine Kanzlei eröffnet. Dazu hatte er eine der heruntergekommenen Stadtvillen erworben. Die sofort angeschobenen Renovierungsarbeiten waren zu jener Zeit noch in vollem Gange.

      Im Erdgeschoss dieses Hauses hatte Herr Dr. W. seine Büros eingerichtet, in denen er einen jüngeren Kollegen aus Westberlin und einen ehemaligen DDR-Justitiar beschäftigte. Letzterer war auf der Basis der neuen Gesetze in Sachsen als Rechtsanwalt zugelassen worden. Zur Kanzlei gehörte noch ein älterer Herr aus Hamburg, der als Steuerexperte galt und das Pensionsalter eigentlich bereits erreicht hatte. Ferner beschäftigte dieser Anwalt drei weibliche Angestellte, darunter eine Rechtsanwaltsgehilfin mittleren Alters, die er direkt aus Nürnberg mitgebracht hatte und mit der er offensichtlich liiert war, eine auszubildende Steuerfachangestellte sowie eine junge Schreibkraft. Insgesamt umfasste Dr. W.s Kanzlei somit sieben Personen.

      Nachdem Wauer mit dem Senioranwalt ein freundliches Kennenlerngespräch geführt hatte, stellte dieser ihm seinen Kollegen Rainer Weizmann vor, der in Berlin-Spandau geboren und aufgewachsen war und all die Probleme zu Zeiten der Berliner Mauer den Hickhack mit den Besuchsregelungen gut kannte. Dieser Mann war Wauer auf Anhieb sympathisch, wohingegen er vermutete, dass er mit dem etwas undurchsichtigen Dr. W. nur schwerlich warm werden würde.

      Der

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