Der verborgene Erbe. Billy Remie
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Читать онлайн книгу Der verborgene Erbe - Billy Remie страница 15
»Und was geschieht mit Schavellen, sollte ich mit einem Friedensabkommen einverstanden sein?«
Vor dieser Frage hatte Rahff sich gefürchtet, doch er konnte die Antwort darauf nicht auf ein anderes Mal verschieben und Zeit schinden, denn in Si´haas Augen las er bereits, dass dieser sich nicht abweisen lassen würde.
»Nun, Lord Schavellen ist und bleibt ein starker Verbündeter.«
»Das ist eine unerfreuliche Antwort«, bemerkte Si`haas. »Ich dachte, Ihr würdet ein Bündnis mit mir vorziehen, und dafür Schavellen fallenlassen.«
»Der Tag mag kommen, da ich ihn nicht mehr brauchen werde«, warf Rahff ein. »Dann können wir dieses Gespräch noch einmal führen. Ihr habt aber mein Wort, das Schavellen nie wieder in Euere Ländereien einfallen wird.«
»Das ist keine Genugtuung.«
»Mehr kann ich zurzeit nicht bieten.« Doch Rahff glaubte, es sei genug. Si`haas schien nicht auf Krieg aus zu sein, das machte Rahff Mut. »Es werden bessere Tage kommen, wenn wir die Rebellion zerschlagen haben. Genugtuung können wir uns dann immer noch verschaffen: Aber zunächst muss der Krieg beendet werden. Unsere Völker leiden, die Menschen hungern und sterben auf beiden Seiten. Unzählige Männer, deren Namen und Schicksale wir nicht einmal kennen, fallen für uns auf den Schlachtfeldern, weil Edelmänner wie wir wütend aufeinander sind. Es wurde genug Blut vergossen.«
Si`haas lehnte sich zurück und starrte mit geschürzten Lippen in seinen Weinbecher, den er langsam drehte. Er wirkte tatsächlich so, als würde er darüber nachgrübeln.
Lange nachgrübeln.
»Nun denn«, Si`haas stellte den Becher halbgeleert auf dem Tisch ab und erhob sich plötzlich, »da ist eine Menge, worüber ich jetzt nachdenken muss.«
»Gewiss.« Auch Rahff erhob sich, langsamer jedoch, ihm tat noch alles weh. Verdammter Blutdrache! »Ich lasse Euch zu Euren Gemächern bringen. Sicher seid Ihr nach der Reise hungrig und benötigt Ruhe.«
Si`haas winkte überraschend ab. »Danke, aber ich hatte nicht vor, zu bleiben.«
Überrascht sah Rahff ihm nach.
Der junge Mann ging zur Tür, die für ihn von den Wachen geöffnet wurde, und drehte sich noch einmal erklärend zu Rahff um. »Ich kam her, um mir anzuhören, was Ihr zu sagen habt, vergebt mir, dass ich mir auch die andere Seite anhören möchte.«
»Die andere Seite?«, wiederholte Rahff irritiert. Er verstand im ersten Moment wirklich nicht, wovon Si`haas da sprach.
Er lächelte Rahff gewitzt an. »Die Völker, um die Ihr Euch so sorgt, tragen Gerüchte stets sehr weit, mein König. Haltet Ihr mich für so unwissend? Jeder im Land hat es bereits gehört, die frohe Kunde verbreitet sich rasch: Ein Erbe der Airynns offenbarte sich. Vergebt mir und nehmt es nicht persönlich, dass ich zuerst nach Osten reise, um mir anzuhören, welche Vorteile mir ein Bündnis mit dem wahren König einbringt.«
Rahff war wie vor den Kopf geschlagen. Er hatte mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass sich die Gerüchte über den Erben bereits derart schnell verbreiteten. Er hatte den Fehler begangen, seinen Feind zu unterschätzen. Clivias Bastard war nicht nur ein Kind, dem er das Fürchten lehren konnte, nein, der Erbe war ein junger Mann, der offenkundig nicht abwarten konnte, dass sich die Nachricht um seine Person verbreitete.
»Ihr werdet von mir hören, Eure Hoheit«, versprach Si`haas und verbeugte sich noch einmal zum Abschied.
Rahff wartete, bis er aus der Tür war und seine Schritte im Flur langsam verklangen, dann durchzuckte Wut seinen Körper und er fegte brüllend Pergamente, Weinbecher und Schreibfederhalter vom Tisch.
Das Tintenfass zerbrach und hinterließ einen dunklen Fleck auf dem rotbraunen Teppich. Er trat in den Fleck und hinterließ Fußspuren, während er aus dem Zimmer eilte, um seine Wut an jemanden auszulassen, der es verdiente.
***
Nach der Massenhinrichtung im Frühling waren die Zellen im königlichen Kerker überraschend leer. Hier und dort saß mal ein Dieb in den Zellen, der in seiner Verzweiflung heraus ein Laib Brot oder eine Handvoll Obst vom Feld eines Bauern oder vom Marktplatz geklaut hatte, um nicht zu verhungern, ansonsten waren die Zellen verlassen.
Während Rahff die tropfnassen, finsteren Gänge abging, und alle paar Schritte sein Gesicht von einer Fackel angestrahlt wurde, drängte ihm sich der Gedanke auf, dass diese ungewollten Diebe vermutlich hier drinnen ein besseres Leben genossen als in Freiheit. Hier bekamen sie immerhin Wasser und etwas Brot, und mit ihrer Hinrichtung wurde ihnen ein schnelles Ende zuteil, so entgingen sie dem Hungertod.
Andererseits redete Rahff sich ihre Umstände vielleicht auch nur schön, weil er trotz seines starken Auftretens stets ein Mann des Mitgefühls war. Er fühlte jedes Mal große Schuld, wenn er hier runterkam und einen Verurteilten erblickte, der nur das Gesetz gebrochen hatte, weil er keinen anderen Weg mehr gesehen hatte.
Viele Familienväter hatten hier schon gesessen und auf ihren Tod gewartet, nur weil sie es nicht mehr ertragen konnten, ihre Frauen und Kinder hungern zu sehen. Unter anderen Umständen hätte er einer von ihnen sein können. Wäre sein Vater damals nicht zurückgekommen, hätte sein Vater die Schwarzfelsburg nicht zurückerobert, wäre Rahff jetzt nur der Sohn irgendeiner Hure. Vielleicht hätte er seine Liebste heiraten können, zumindest das wäre ein Trost gewesen, er hätte Cohen von Anfang an ein Vater sein können.
Doch zu welchem Preis?
Rahff konnte sich nicht vorstellen, dass er es ertragen hätte, seine Familie in Armut leben zu lassen, nur weil er ein Niemand war. Ganz gewiss wäre er auch zum Verbrecher geworden, um seine Liebste und seinen Sohn ein besseres Leben zu bescheren.
Wer weiß, unter anderen Umständen hätten er und M`Shier in derselben Diebesgilde landen können und sich sogar Brüder genannt. Aber es war anders gekommen, Rahff hatte seine Liebste nicht heiraten können, doch er hatte zumindest dafür gesorgt, dass sie niemals hungern musste. Sie war immer nur seine heimliche Geliebte gewesen, dafür aber satt und gesund. Und dann war sie ihm gestohlen worden. Auch wenn er sich nicht sicher sein konnte, dass sie durch das Gift im Brunnen starb, so gab es ihm jedoch Frieden, daran zu glauben, weil sich seine Wut auf etwas richten konnte. Aber selbst, wenn M`Shier der Mörder war, so hatte er es nicht vorsätzlich getan. Letztlich liefen Rahffs Gedanken immer wieder auf dasselbe hinaus: Cohen. Er hasste M`Shier ausschließlich wegen Cohen, der ihm vorsätzlich gestohlen worden war. Auf eine Weise, die Rahff nicht verstehen, geschweige denn verzeihen konnte.
Rahffs Liebste war einem Anschlag zum Opfer gefallen, sie war tot, jedoch hatte es der Anschläger nicht auf sie abgesehen, weshalb Rahff seine Wut kontrollieren konnte. Cohen hingegen lebte. Cohen war wohlauf, er wurde auch nicht gezwungen, beim Feind zu bleiben, er verriet Rahff freiwillig.
Er verriet Rahff, wegen M`Shier.
Welcher Mann würde nicht den Mann abgrundtief hassen, der ihm den Sohn gestohlen hatte, der ihm von der einzigen Frau geschenkt worden war, die er je geliebt hatte?
So sehr Rahff auch versuchte, seinem Hass nicht die Kontrolle über sein Denken und Handeln zu überlassen, er konnte sich nur bedingt beherrschen. M`Shier würde sterben, und dieses Mal nicht wegen Nohvas Krone.
Von