Die Flüchtlinge und wir. Neue Osnabrücker Zeitung

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Die Flüchtlinge und wir - Neue Osnabrücker Zeitung

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stellte kürzlich der „Economist“ fest. Weil sich die Menschen aber so gut assimiliert hätten, fielen sie kaum noch auf. Die deutschen Einwanderer seien für die amerikanische Kultur so etwas wie die Prise Zimt für den Apfelkuchen.

      Es folgt eine Aufzählung mit den unweigerlichen Exportschlagern wie Bratwurst, Bier und dem Kindergarten. Unübersehbare Abdrücke der Teutonen im amerikanischen Alltag, befand der „Economist“. Um Spuren der Einwanderer aus Nordwest-Deutschland zu finden, muss man schon etwas genauer hinschauen. Oder im Fall von Bunde etwas langsamer fahren.

      Denn tatsächlich hat die Gemeinde im Landkreis Leer einen kleineren Zwilling im weit entfernten US-Bundesstaat Minnesota. Genauso geschrieben, nur anders ausgesprochen, nämlich „Bandie“. An der Verbindungsstraße zwischen den Kleinstädten Montevideo und Hutchinson gelegen, deutet nicht viel mehr als ein kleines Ortseingangsschild darauf hin. Und das überdimensionierte Schild der örtlichen Kirche. „Heute schon gebetet?“, werden die Vorbeifahrenden gefragt. Bunde ist nicht viel mehr als das Schild, die Kirche und fünf Wohnhäuser.

      In einem davon befindet sich eine Art Museum, das an die Anfänge der Ortschaft erinnert. Es klingt ein bisschen nach der Weihnachtsgeschichte: Demnach kam in den 1880ern der gebürtige Rheiderländer Wübbe Dirk Ammermann nach Minnesota, um hier im Auftrag einer Landgesellschaft eine Siedlung mit ostfriesischen Einwanderern aufzubauen. Ammermann, so heißt es im Museum, habe sich zunächst in einem Kuhstall niedergelassen und von hier aus Kundschaft akquiriert.

      Den Aufzeichnungen zufolge war der Rheiderländer 1864 mit seiner Frau Trientje und Sohn Dirk ausgewandert. 37 Jahre war Wübbe damals wohl alt. Von Bremerhaven ging es auf dem Dampfschiff „Bremen“ nach New York und von dort aus weiter nach Illinios. Einige Monate zuvor hatte sich hier die Familie von Trientjes Bruder niedergelassen. Nach fast zwei Jahrzehnten als Farmer zog Ammermann dann im Auftrag der Landgesellschaft in den Nachbarstaat Minnesota und warb hier um ostfriesische Siedler.

      Kuper, Freese und Lutjens hießen den Aufzeichnungen zufolge die ersten Landkäufer – allesamt Ostfriesen. Im Sommer 1886 hätten täglich 16 bis 20 Männer bei Ammermann vorgesprochen. 45 ließen sich schließlich in dem Ort Bunde nieder, benannt nach Ammermanns deutscher Heimat. Die dazugehörige Township, eine amerikanische Verwaltungseinheit, nannte der 1894 im Alter von 66 Jahren gestorbene Ostfriese Rheiderland.

      Die Gründung fiel mit dem Auslaufen der ersten großen Auswanderungswelle von Ostfriesland nach Amerika zusammen. Mehrere Tausend Menschen verließen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts mangels Arbeit und Land ihre Heimat. Im Vergleich zur Auswanderungsbewegung in Gesamtdeutschland ist das recht spät. Migrationsforscher und Historiker nennen die Hollandgängerei als Grund. Die Männer entlang der niederländischen Grenze konnten im Nachbarland Geld als Wanderarbeiter verdienen. Die Motive waren also ähnlich wie die der Auswanderung. Nur der Weg war kürzer. Und so blieben Emsländer, Grafschafter oder aber Ostfriesen länger in ihrer Heimat.

      Wenn es dann über den Atlantik ging, war der Mittlere Westen das bevorzugte Ziel. Wie beispielsweise Minnesota. Auswanderer aus dem Osnabrücker Land, die tendenziell einige Jahrzehnte früher aufbrachen, zog es bevorzugt in den Bundesstaat Ohio. Und siehe da: Hier findet sich auf der Landkarte ein zweites Glandorf, gegründet 1833 von einem Osnabrücker Geistlichen. Mit dabei hatte er eine Reihe von Siedlern aus dem deutschen Glandorf. Dies sprach sich in der Heimat herum, und prompt folgten weitere. Kettenwanderung nennen Migrationsforscher dieses Phänomen.

      Gleiches lässt sich für Meppen feststellen, einen kleinen Ort im Bundesstaat Illinois. Hier siedelten sich vor allem Deutsche aus dem emsländischen Börger an. Oder New Melle in Missouri mit Familien aus dem Umfeld von Melle im Osnabrücker Land. Es gibt unzählige weitere Beispiele. Viele sind bedeutend größer als das kleine Bunde in Minnesota. 20 Einwohner wurden bei der Volkszählung im Jahr 2012 noch gezählt. Allein die „Christian Reformed Church“ sorgt für Betrieb. Etwa 300 Mitglieder zählt die Gemeinde. Bis in die 1930er-Jahre wurden die Messen noch auf Deutsch abgehalten.

      Gut möglich, dass die Einwanderer aus Deutschland auch hier wie im gesamten Rest der USA ihre Herkunft lieber verbargen angesichts der kriegerischen Auseinandersetzung und Gräueltaten im Ersten und später auch im Zweiten Weltkrieg. Und so geriet in Vergessenheit, wie deutsch die USA eigentlich sind. Erst langsam scheinen sich viele Amerikaner ihrer Wurzeln wieder zu besinnen. „Deutschland war noch nie so populär wie heute“, zitiert der „Economist“ die Leiterin eines Museums in Washington D.C., das an das deutsch-amerikanische Erbe erinnert.

      Man muss schon genau hinschauen: Eine Straße im Mittleren Westen der USA – hier befindet sich die Ortschaft Bunde, ein Ableger der Gemeinde aus dem Rheiderland. (Dirk Fisser)

      Warum der Urururonkel nach Australien ging

      Von Rainer Lahmann-Lammert

      Den elterlichen Bauernhof in Ellerbeck schlug er aus, weil er eine Mission hatte. Clamor Wilhelm Schürmann (1815–1893) ging mit 23 Jahren nach Australien, um die Aborigines zu bekehren. Damit scheiterte er zwar, aber er trug maßgeblich zur Rettung ihrer Sprache bei. Und genießt dafür im Bundesstaat Victoria noch heute großen Respekt. Nach Ellerbeck kehrte er nie zurück.

      Mehrere Straßen sind nach dem evangelischen Missionar benannt, eine Pflanze trägt ihm zu Ehren den Namen Darwinia schurmannii. 1500 Nachkommen mit dem Namen Schürmann oder Schurmann berufen sich auf ihren Stammvater mit dem Rauschebart. Einige Familientreffen haben schon stattgefunden, auf australischer und auf deutscher Seite.

      In Bissendorf arbeitet Jan Schürmann die Familiengeschichte auf und hält die Kontakte zu den australischen Verwandten. Den pensionierten Polizeihochschullehrer beeindruckt vor allem, dass sich sein Urururonkel entschieden gegen den Völkermord an den Aborigines wandte. Clamor Schürmann sei entschieden gegen das Unrecht vorgegangen und habe dabei auch persönliche Nachteile in Kauf genommen. Seine Mission musste der Geistliche aus Ellerbeck jedoch schon nach 15 Jahren aufgeben, weil Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklafften. „Es ist ihm nicht gelungen, die Aborigines zu Christen zu machen“, sagt Jan Schürmann milde lächelnd, „sie sind immer zu ihren Geistern zurückgekehrt“.

      Dabei hatte der fromm erzogene Bauernsohn seine Lebensaufgabe darin gesehen, „aus reiner Liebe zu den Heiden“ das elterliche Erbe auszuschlagen und „dem Herrn hinfort zu dienen“, wie er es selbst einmal formulierte. Das war ein Skandal, und den Anstoß hatte ihm das Beispiel seines älteren Bruders Adam gegeben, der als Missionar nach Indien und später nach China gegangen war. Insgeheim hatte Clamor schon mit dem Gedanken gespielt, diesen Wunsch aber nicht auszusprechen gewagt. Als Adam noch einmal nach Hause zurückkehrte, um sich einer Untersuchung für den Militärdienst zu stellen, gab es für den jüngeren Bruder aber „kein Halten mehr“.

      Von Freiheit und Abenteuer, Fernweh und Entdeckerlust ist kein Wort zu finden in den Aufzeichnungen, die der Auswanderer zurückgelassen hat. Aber es liegt nahe, dass er auch der Enge des bäuerlichen Lebens im heimischen Ellerbeck entrinnen wollte. Nach der Ausbildung in Berlin und Dresden bot sich ihm Gelegenheit, im Auftrag der Londoner Missionsgesellschaft nach Australien zu gehen. Anders als sein Bruder Adam lehnte er es als standhafter Lutheraner ab, in die anglikanische Kirche zu konvertieren.

      Nach einer fast fünf Monate dauernden Seereise über Teneriffa und Rio de Janeiro betrat Clamor Schürmann am 14. Oktober 1838 in Adelaide den fünften Kontinent. Gemeinsam mit seinem sieben Jahre älteren Kommilitonen Christian Gottlob Teichelmann nahm er seine Arbeit auf, baute eine Schule, und setzte sich mit der Kultur und Lebensweise der Aborigines auseinander. Dass er sie als Menschen behandelte, brachte ihn immer wieder in Konflikt mit der britischen Kolonialverwaltung.

      Der Missionar aus dem Osnabrücker Land,

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