Die Flüchtlinge und wir. Neue Osnabrücker Zeitung

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Die Flüchtlinge und wir - Neue Osnabrücker Zeitung

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indigenen Bevölkerung, zusammen mit seinem Freund Teichelmann brachte er ein Wörterbuch und eine Grammatik heraus. Dieses Werk gilt heute als wichtigster Baustein für die Wiederbelebung dieses nahezu ausgestorbenen Idioms.

      1847 heiratete Clamor Schürmann eine Frau, die er über die Missionsarbeit kennengelernt hatte: Wilhelmina Charlotte Maschmidt (genannt Minna) aus Osnabrück war mit ihrem Bruder nach Victoria gekommen, ebenfalls einem Pastor. Das Paar bekam neun Kinder, von denen vier in jungen Jahren starben.

      Aus dem Missionar wurde ein Pastor für eine von deutschen Siedlern gegründete Gemeinde namens Hochkirch, die später in Tarrington umbenannt wurde. Von dort aus gründete und betreute er weitere Kirchengemeinden im Umkreis von 140 Kilometern. „Die Leute waren in Seelennot“, sagt Jan Schürmann, sein Urururonkel habe auch Katholiken und Anglikanern als Schulmeister, Eheberater und Seelsorger zur Verfügung gestanden – und sie, wenn es sein musste, auch beerdigt.

      Weil das Salär immer knapp war, betätigte sich Clamor auch als Landwirt, pflanzte Kartoffeln und züchtete Schafe. Wegen seiner exzellenten Sprachkenntnisse engagierte ihn die Kolonialverwaltung in den zahlreichen Konflikten mit den Aborigines als Dolmetscher und Vermittler. Dokumente legen nahe, dass unter seiner Mitwirkung friedlichere Lösungen gefunden wurden, als sie damals meist üblich waren.

      Gleichwohl musste der Lutheraner mit ansehen, wie die indigene Bevölkerung blutig unterdrückt und ausgebeutet wurde. Immer wieder schaltete er sich gegen die Diskriminierung durch die Kolonialherren ein und erwarb damit das Vertrauen der Aborigines. Ihrer Wertschätzung ist Clamor Schürmann heute noch sicher. Die Kaurna betrachten es als einen Segen, dass er ihnen ihre Sprache bewahrt hat.

      Clamor Schürmann ist der Urururonkel von Jan Schürmann, hier am Grab des Missionars. (Familienarchiv Schürmann)

      Clamor Schürmann. (Familienarchiv Schürmann)

      Die Missionsarbeit brachte Clamor Schürmann und Wilhelmina Maschmidt zusammen. (Familienarchiv Schürmann)

      Verraten vom Freund des Vaters: Mit 17 kam Bernhard Süskind ins Konzentrationslager

      Von Jürgen Ackmann

      Es war im April 1945, als Bernhard Süskind das Braune Haus auf der Schlossinsel in Fürstenau betrat und dort den Stadtrat zur Rede stellte. Er, der Jude, den Nazi-Schergen 1938 ins Konzentrationslager Buchenwald geschickt hatten. Er, dem die Flucht gelungen war. Er, der nun als amerikanischer Soldat in seine Heimatstadt zurückkehrte. Die Fürstenauer sollten den jüdischen Friedhof wieder in Ordnung bringen und den Grabstein seines Urgroßvaters aufrichten, herrschte der 24-Jährige den Stadtrat an. Die Maschinengewehre seiner Kameraden verliehen der Forderung Nachdruck.

      Seither sind viele Tage ins Land gezogen. Aus dem zornigen jungen Fürstenauer ist ein 93-jähriger US-Amerikaner geworden, der mit seiner Familie auf Long Island in New York lebt und seinem Boot den Namen „Loreley“ gab. Mit seiner alten Heimatstadt hat er Frieden geschlossen, er besucht sie gern und ist seit Februar 2000 ihr Ehrenbürger. Zwar könne er nie vergessen und vergeben, was einst geschehen sei, sagt Süskind. Wohl aber könne er – wie jeder andere auch – einen Beitrag leisten, dass sich alle Menschen akzeptierten, egal, welcher Religion sie angehörten oder welche Hautfarbe sie hätten.

      Als Süskind noch ein unbeschriebenes Blatt war – damals in seinen Jugendtagen in Fürstenau –, da konnte er sich nicht vorstellen, wie sadistisch und hasserfüllt Menschen sein können. Da ahnte er noch nicht, was die Nachricht bedeutete, die er am 30. Januar 1933 aus dem Radio in der Schule hörte: Hitler sei zum Reichskanzler ernannt worden.

      Das Leben ging zunächst davon unberührt weiter. 1934 nahm die jüdische Gemeinde Süskind mit der Feier der Bar-Mizwa in ihre Mitte auf. Doch dann tauchten in Fürstenau Schilder an den Ortseingängen auf. „Achtung, Juden im Orte“, stand drauf. Auch traten immer mehr Jungen in die Hitler-Jugend ein. Stolz zeigten sie ihre Uniformen. Süskind durfte sie nicht tragen. Er war neidisch.

      Schließlich zog der Morgen des 10. November 1938 herauf, der Tag nach der Pogromnacht. Süskind wollte gerade zum Kaffeetisch gehen, als ein SA-Mann erschien – einst der beste Freund seines Vaters. Er und weitere Männer durchkämmten Fürstenau nach Juden. Zum ersten Mal sollte Süskind erfahren, was Verrat bedeutet. Der SA-Mann nahm den 17-Jährigen unter fadenscheinigen Gründen mit. Süskind fand sich wenig später, an brennenden Synagogen vorbeifahrend, auf dem Weg zum Konzentrationslager Buchenwald wieder – begleitet von Knüppelschlägen.

      Dort folgten „Nächte des Grauens“, wie Süskind sie nennt. Er sah, wie Nazi-Schergen Juden so brutal auspeitschten, dass nur noch rohes Fleisch vom Po hing. Er erlebte, wie Juden Erbrochenes vom Boden auflecken mussten. Er registrierte, wie sich Menschen – ihrer Würde restlos beraubt – in Latrinen erhängten.

      Acht Wochen ging das so. Dann ertönte eine Durchsage. Alle Häftlinge unter 18 Jahren sollten sich im Krankenrevier einfinden. Dort verkündete ein schwedischer Diplomat, dass seine Regierung ein Abkommen mit Deutschland getroffen habe. Alle Anwesenden erhielten im Konsulat in Hamburg ein Visum für Schweden. Spätestens zehn Tage danach müssten sie Deutschland verlassen haben.

      Die Rettung? Nein. In Hamburg begann ein Versteckspiel mit der SS, weil ein Sichtvermerk in Süskinds Pass fehlte. Das schwedische Konsulat konnte das Visum deshalb nicht ausstellen. Die zehn Tage verstrichen. Nichts geschah. Drei Monate lang. Süskind versteckte sich, so gut es ging. Dann, am 5. April 1939, klopfte im Hamburger Bahnhof zwischen all den Menschen jemand auf seine Schulter. Es war ein Gestapo-Mann, der seine Papiere sehen wollte. Süskind erzählte seine Geschichte vom Visum und dem Sichtvermerk. Der Gestapo-Mann glaubte kein Wort. Er müsse zurück nach Buchenwald, sagte er und schaltete seinen Vorgesetzten ein.

      Was dann geschah, war überraschend für Süskind. Der Vorgesetzte schlug vor, doch einfach im schwedischen Konsulat anzurufen und zu fragen, ob die Geschichte stimme. Sie stimmte. Dann ging für Süskind alles schnell. Am 13. April 1939 betrat er eine Fähre nach Stockholm. Alles fügte sich. Da aber die Lage in Schweden ungewiss und Süskinds Eltern inzwischen über Belgien die Ausreise in die USA gelungen war, ging auch seine Fahrt weiter. Am 23. Dezember 1939 erblickte er die Freiheitsstatue – und weinte.

      Der Junge aus Fürstenau fand als Schlosser Arbeit in New York und begann am 22. April 1943 seinen Armeedienst. Der führte ihn zurück nach Europa und schließlich – als im April 1945 fast alle Schlachten geschlagen waren – nach Fürstenau. Süskind hatte seinen Vorgesetzten gefragt, ob er einen Abstecher nach Fürstenau machen dürfe. Er durfte. So kam es also, dass er das Braune Haus betrat, um mit jugendlicher Genugtuung seine Forderung zu stellen. Die Fürstenauer erfüllten sie. Sie ahnten vielleicht, dass sie bei ihrem früheren Landsmann eine Schuld aufgeladen hatten, die sie nie würden begleichen können.

      Für Bernhard Süskind begann nach diesen aufwühlenden Tagen endgültig sein Leben in den USA. Er übernahm von einem Deutschen eine Schlosserei auf Long Island, heiratete Charlotte, bekam zwei Kinder und schrieb nach einem erfüllten Leben ein Buch. „Wir waren doch Freiwild“, heißt es und ist mithilfe seiner deutschen Freunde Bernd Kruse und Hennig Jacob entstanden. Im Juli 2014 stellte er es in Fürstenau vor – als Mahnung für alle folgenden Generationen.

      Bernhard Süskind (Familienarchiv Süskind)

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