Die Flüchtlinge und wir. Neue Osnabrücker Zeitung
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Die Flüchtlinge und wir - Neue Osnabrücker Zeitung страница 8
Malaika und ihr Bruder Malik (11) haben ihren Vater schon oft in die Moschee an der Wasastraße begleitet und ihre Mutter in die katholische Kirche Maria Königin des Friedens. Beiden Eltern ist die Religion wichtig. „Ich bin mit dem Glauben aufgewachsen“, sagt Margret Bilalic-Flohr, die 1988 aus Kenia nach Deutschland gekommen ist. In der Not habe sie immer im Gebet Trost gefunden. Ihr Mann Elvir Bilalic kam 1992 als Kriegsflüchtling aus Bosnien nach Deutschland. Für ihn sei es ein langer, schwieriger Weg gewesen, berichtet er. Der Glaube habe ihm geholfen, die schlimmen Erfahrungen seiner Flucht zu verarbeiten.
Kennengelernt haben sich die beiden 1993 in einer Diskothek in Herzebrock. „Es war die große Liebe“, erzählt Elvir Bilalic noch immer voller Begeisterung. Damals machte er eine Ausbildung zum Gas-und-Wasser-Installateur, Margret zur Kinderkrankenschwester. Die beiden heirateten, und das schwarz-weiße, christlich-muslimische Paar musste erst einmal die eigenen Familien von dieser Farbkombination überzeugen. „Man kannte das nicht in meiner Verwandtschaft“, sagt der 41-Jährige mit einem Augenzwinkern und erklärt, worauf es ankommt: „Wenn man jemanden liebt, darf so etwas nicht stören.“ Und dann war es für die Angehörigen in Bosnien tatsächlich kein Problem und für die in Kenia genauso wenig: „Wir wurden beide toll aufgenommen!“, erzählen Margret und Elvir freudestrahlend.
Als sie nach der Geburt ihrer Tochter selber schon eine kleine Familie waren, zogen sie 2001 nach Osnabrück, wo die junge Mutter im Christlichen Kinderhospital eine Arbeit fand und der junge Vater in einem Installateurbetrieb. Für die Eltern und die Kinder ist die Stadt Heimat geworden, wie es die 15-jährige Malaika ausdrückt. Dass ihre Haut dunkler ist und ihre Haare anders aussehen als bei den meisten Ortsansässigen, ist ihr bewusst. Aber deshalb fühlt sie sich nicht als etwas anderes, im Gegenteil, sie ist mittendrin. Abfällige Bemerkungen, darauf legt sie Wert, seien hier immer die Ausnahme gewesen.
So sieht das auch ihr jüngerer Bruder Malik, der wie sie zur Gesamtschule Schinkel geht. Als aktiver Fußballer und Leichtathlet ist er ebenfalls ein gefragter Teamplayer. Wird er auf seine Stadt Osnabrück angesprochen, gibt er die für einen Elfjährigen vielleicht etwas ungewöhnliche Antwort, dass er die Leute hier „höflich und hilfsbereit“ findet und dass ihm die Natur gefällt.
Für beide Kinder gehört die Religion zum Alltag, und es scheint sie zu faszinieren, das Muslimische mit dem Christlichen zu verbinden. „Das Coole ist, man hat auch mehr Feiertage“, sagt Malik, während sich die Frage für seine Schwester Malaika ganz anders stellt. Im Glauben an Gott oder Allah fühlt sie sich gestärkt und geschützt. Sie sieht keinen Anlass, sich für eine der beiden Religionen zu entscheiden. Denn für sie ergänzt das eine das andere auf sinnvolle Weise.
Gerade weil Malaika das Verbindende und nicht das Trennende hervorhebt, reagiert sie sensibel auf Ausgrenzung. Als in der Schule über Islamfeindlichkeit und Rassismus gesprochen wurde, fühlte sie sich besonders herausgefordert. Sie wollte unbedingt verstehen, wie sich die Pegida-Anhänger ein Deutschland ohne Islam vorstellen. Die Überlegung, was das für ihre Familie bedeuten würde, ließ sie erschauern.
Malaika entschloss sich, das kulturelle Miteinander – und damit ihre Familie – zu verteidigen, mit einer gut vorgetragenen Argumentation im Englischunterricht. Ihre Englischlehrerin Edith Böhne ermutigte sie, ihre Gedanken öffentlich vorzutragen – auf der Demonstration gegen Pegida im Januar. Malaikas Familie war dabei. Und spendete der mutigen Tochter einen stürmischen Applaus.
Stolz auf die mutige Tochter: Elvir Bilalic (links) mit seinem Sohn Malik, Ehefrau Margret und Malaika. (Elvira Parton)
Almerija Delic spricht lieber über die Oper als über die Hölle im früheren Jugoslawien
Von Ralf Döring
Auf der Homepage des Theaters Osnabrück beginnt die Biografie von Almerija Delic mit dem Gesangsstudium an der Folkwang-Hochschule in Essen. Denn sie will als Sängerin wahrgenommen und geachtet werden, nicht als bosnisches Flüchtlingskind.
Die ersten Bomben fielen in der Nacht. „Es hat angefangen“, sagte die Mutter von Almerija Delic zu ihrem Mann. Der Bürgerkrieg in Jugoslawien hatte die kleine Stadt Bosanski Šamac im Nordosten von Bosnien erreicht. „Aber ich muss doch zur Schule“, hatte Almerija am Morgen gesagt; sie war immer sehr ehrgeizig. Aber durch die Straßen, auf denen am Vortag noch Kinder zur Schule gingen, robbten jetzt Soldaten, und von diesem Tag im April 1992 an war nichts mehr wie vorher für Almerija, ihren Bruder und ihre Eltern.
Ein paar Monate später kommt die Familie in Deutschland an. Eine von Almerijas ersten Erinnerungen ist eine Suppenküche in Frankfurt. Ein paar Junkies waren dort, einer von ihnen war auf Entzug, und die Mutter hätte ihr den Anblick gern erspart. „Guck da nicht hin“, hat sie die Elfjährige angezischt. Das gute Leben in Jugoslawien ist noch nicht lange her: Ihr Vater war Ingenieur und Direktor einer Maschinenbaufirma, die Mutter Gymnasiallehrerin. Die Familie gehörte zu den angesehenen Bürgern.
Dann tobte der Krieg los. Über Nacht wurden Nachbarn zu Feinden, und für Nicht-Serben wurde das Leben zur Hölle. Almerija Delic und ihre Familie sind dieser Hölle entkommen. Die Fixer in der Frankfurter Armenküche werden deshalb noch lange nicht zu Boten aus dem Paradies. Über die Monate zwischen Kriegsbeginn und der Ankunft in Deutschland spricht Delic allenfalls in Anekdoten: „Auf der Fahrt zur kroatischen Grenze mussten wir ganz viele Kleider übereinander anziehen, weil unsere Mutter Bargeld ins Futter eingenäht hatte.“ Weihnachten feierte die Familie bereits bei einem Pfarrer des Kirchenkreises Gladbeck-Bottrop-Dorsten. Wenn Almerija davon erzählt, klingt der Ruhrpott durch: „Dooasten“, sagt sie, mit langem „o“ und ohne „r“.
Almerija hat, „dank ,Gute Zeiten, schlechte Zeiten‘ und Loriot“, schnell Deutsch gelernt, und bald war sie wieder eine glänzende Schülerin. Wundersame Phänomene des Westens haben die Neubürger ebenfalls kennengelernt: „Was uns geschockt hat, war zum Beispiel, dass eine Frau hier weniger verdient als ein Mann“, sagt Almerija. Und sie lacht; sie nennt das den „bosnischen Mutterwitz“. Der hat über vieles hinweggeholfen. Auch über das düstere Kapitel in der Familiengeschichte.
Delic begegnet Menschen mit großer Offenheit, zieht allein durch ihre Körpergröße und den Kontrast ihrer blauen Augen zu den tiefschwarz glänzenden Haaren Aufmerksamkeit auf sich. Ausländerfeindlichkeit? „Ich war die einzige Ausländerin in der Klasse“, sagt sie, „und viele Leute sind mir sehr entgegengekommen.“ Aber sie fiel auf: durch ihr Streben nach Freiheit, nach Gerechtigkeit und Authentizität. „Ich wurde manchmal beobachtet wie ein Tier im Käfig“, sagt sie. „Aber nicht wie ein Paradiesvogel.“ Der Schritt auf die Opernbühne war da nur konsequent. Das Studium an der Folkwang-Universität der Künste empfand sie jedenfalls als sehr befreiend: „Da war es mit einem mal völlig egal, wer du bist. Entscheidend ist nur, was du machst.“
Und was Almerija Delic macht, macht sie gut. Wenn sie zur Probe geht, ist sie bestens vorbereitet, auf der Bühne besticht sie durch Präsenz und ihren ausdrucksstarken Mezzosopran. Derzeit freut sie sich auf die Rolle der Carmen in der gleichnamigen Oper – die junge Frau blickt eindeutig lieber nach vorn als auf die Vergangenheit. Zur bosnischen Gemeinde hat sie keinen Kontakt, die alte Heimat nicht wieder besucht. Ob sie und ihre Familie Krieg und Flucht verarbeitet haben? „Verarbeitet man das jemals?“, fragt sie. „Ich weiß es nicht.“ Was sie aber weiß: Der bosnische Mutterwitz hilft, das Leben und die Vergangenheit zu bewältigen.
Sängerin Almerija Delic blickt lieber nach vorn als zurück. (Michael Gründel)