Die Flüchtlinge und wir. Neue Osnabrücker Zeitung
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Zurück an der Schule: Nihat (24) und Mahmut Bucakli (22) erhielten als Flüchtlingskinder an die Grundschule an der Beethovenstraße Sprachförderunterricht. Heute haben beide studiert. (Frederik Grabbe)
Irakischer Künstler Ahmed Al-Kenani malt mit Flüchtlingskindern
Von Hendrik Steinkuhl
Vor 18 Jahren flüchtete Ahmed Al-Kenani aus dem Irak nach Deutschland und kam wenig später nach Osnabrück. Obwohl der Maler in prekären Verhältnissen lebt, ist er glücklich in Deutschland, nennt Osnabrück „meine Mutter“ und geht nun ganz darin auf, gemeinsam mit Flüchtlingskindern zu malen.
Vor Kurzem erst hat Ahmed Al-Kenani wieder angefangen zu malen. Davor hat er drei Monate lang den Pinsel nicht angerührt und kam nur in sein Atelier in der Jellinghausstraße, um klassische Musik zu hören und sich um die Topfpflanzen zu kümmern, die er fast noch liebevoller herzeigt als seine Bilder. „Ich weiß auch nicht, mir war einfach nicht nach Malen.“ Wer sieht, was Al-Kenani in den Monaten vor seiner Blockade produziert hat, der kann ihm nur wünschen, dass ihn die Muse nun wieder regelmäßig küsst.
Seit Beginn des Jahres arbeitet der Künstler mit der Spachteltechnik, und während zuvor ein heller Gleichklang seine Bilder dominiert hat, bedient er sich nun aller Farben, sogar Schwarz. Herrlich ruppige und widerständige Bilder sind dadurch entstanden, und fast immer sind darauf Pferde zu sehen. „Für uns Araber sind Pferde einfach ganz besondere, stolze Tiere“, sagt Al-Kenani. Vor den Pferden wurden seine Bilder meist ausschließlich von Frauen bevölkert, von verschleierten Frauen, wie der Künstler sie aus seiner irakischen Heimat kennt. Frauen seien für ihn wie Diamanten, so spannend und so facettenreich. „Aber vielleicht male ich sie auch deshalb so oft, weil ich keine Freundin habe“, sagt der Künstler und lacht.
Die Heiterkeit und die Gelassenheit des 52-Jährigen lassen kaum erahnen, dass er ein Leben geführt hat und noch führt, über das zu lesen schon vielen Menschen Albträume bereiten dürfte. 34 Jahre lang lebte Ahmed Al-Kenani im Irak und damit in einer Diktatur, für die er auch als Soldat im Zweiten Golfkrieg diente. Er verließ das Land, weil er nicht länger in der Tyrannei leben wollte, und ließ sich von Schleusern nach Europa bringen.
Seine Familie ließ Ahmed Al-Kenani zurück, erst 2012 sah er sie zum ersten Mal wieder. Doch das Wiedersehen geriet zur Katastrophe. „Ich habe meine Geschwister nicht wiedererkannt. Als ich meine Schwester zum ersten Mal traf, dachte ich, es wäre eine fremde Frau.“ Es seien nicht der normale Alterungsprozess und die lange Abwesenheit gewesen, die ihm seine Familie entfremdet hätten, sondern der Krieg. Denn nicht nur seine Familie, auch sein Land habe er nicht mehr wiedererkannt. „Die Leute laufen über die kaputten Straßen und trinken Bier, haben eingefallene Gesichter, die Autos haben keine Nummernschilder, einfach alles ist Chaos.“
2013 sei er noch einmal im Irak gewesen, und beide Male habe er danach eine Therapie machen müssen. Am schlimmsten sei gewesen, dass seine Geschwister sich überhaupt nicht für ihn und sein Schicksal interessieren würden. „Dabei denke ich jeden Tag an sie.“ Und zum Denken hat Ahmed Al-Kenani verhältnismäßig viel Zeit. Er arbeitet knapp 20 Stunden pro Woche als Aufseher im Felix-Nussbaum-Haus, den Rest des Tages verbringt er vor allem in seinem Atelier.
Wie jeder Künstler würde er gerne von seiner Kunst leben, doch daran ist nicht zu denken. „Ich verkaufe vielleicht ein bis zwei Bilder im Jahr, das reicht natürlich nicht.“ Seit April dieses Jahres kann Al-Kenani nun ein wenig dazuverdienen, denn zwei Stunden pro Woche malt er mit Kindern aus dem Osnabrücker Flüchtlingshaus. Das Honorar ist für ihn allerdings zweitrangig, viel mehr wert ist ihm die Arbeit mit den jungen Flüchtlingen. „Anderen Menschen Kunst beizubringen, das ist es, was ich machen möchte.“ Es sei wunderschön zu erleben, mit welcher Begeisterung die Kinder bei der Sache seien, und sprachliche Hindernisse gebe es in der Kunst sowieso keine.
Begeistert ist Ahmed Al-Kenani schließlich auch davon, wie viel Hilfsbereitschaft die Flüchtlinge erfahren. Er selbst sei in Osnabrück ebenfalls immer hervorragend behandelt worden, sagt der Künstler. „Viel Offenheit, viel Verlässlichkeit, und wegen meiner Herkunft bin ich hier nie diskriminiert worden.“ Auch wenn er sein Heimatland in dem Zustand, in dem er es verlassen hat, manchmal vermisst, möchte Ahmed Al-Kenani kein anderes Leben als sein jetziges führen. „Osnabrück ist für mich wie eine Mutter. Ich hoffe, dass ich hier nie wegmuss!“
Der irakische Maler Ahmed Al-Kenani hat in Osnabrück sein Glück gefunden. (Hendrik Steinkuhl)
Nach Flucht aus Irak für andere aktiv
Von Katja Butschbach
Sandra Baba ist Ende 1999 aus dem Irak geflohen – und hilft heute als Mitarbeiterin der Diakonie selbst Flüchtlingen. Sie wünscht sich noch mehr Unterstützung von Bürgern.
Mit zwei kleinen Kindern ist Sandra Baba Ende 1999 aus dem Irak nach Deutschland geflohen: Sie suchte als Asylbewerberin Sicherheit. Sie kennt die Probleme und Erfahrungen der Menschen, mit denen sie heute als Flüchtlingsberaterin der Diakonie arbeitet, sehr genau. Baba ist für die Gemeinden Ganderkesee und Hude zuständig, hat eine der drei vom Landkreis Oldenburg finanzierten Stellen für Flüchtlingssozialarbeiterinnen inne.
„Die Flüchtlinge kommen nach Deutschland, haben das erlebt, was ich erlebt habe. Sie bringen Ängste, Vorurteile und große Erwartungen mit“, sagt Baba. Neben ihrer eigenen Tätigkeit sei auch Hilfe von Bürgern wichtig: Emotionale Unterstützung und Zeit würden viel bedeuten. So plant sie in Ganderkesee ein Willkommenscafé, bei dem sich Bürger melden können, die Flüchtlingen Unterstützung anbieten möchten.
Für sie selbst ging es vor mehr als 15 Jahren darum, irgendwie aus dem Irak zu entkommen und nach Europa zu gelangen. Sandra Baba floh aus Bagdad zunächst in ein Nachbarland, von dort aus wurde sie mehrere Tage durch etliche Länder gefahren, mit der vierjährigen Jean und dem 14 Monate alten Yousif auf dem Rücksitz. So gelangte sie nach Düsseldorf – und als sie dann nach Oldenburg weiterverwiesen wurde, war dies für sie „wie ein Lottogewinn“. Denn sie hatte eine Freundin in Bremen.
Mit nur noch 170 Dollar kam sie schließlich Anfang Februar 2000 in Ganderkesee an, lebte zunächst im Asylbewerberheim. „Ich dachte: Das ist nur eine Station, ich muss hier kurz bleiben. Es wird nicht schlimmer als das, was ich bisher erlebt habe.“ Über die letzten Jahre im Irak sagt die heute 46-Jährige: „Es war so schlimm.“ Sie musste sehr vorsichtig sein, was sie sagte, konnte nicht über alltägliche Probleme wie Lebensmittelpreise sprechen: Alles konnte falsch und als regierungskritisch aufgefasst werden.
Weil sie eine Christin war, die nicht in der Baath-Partei aktiv war, und Geschwister im Ausland hatte, kam sie für Stipendien an ihrer Universität nicht infrage, obwohl sie eine der Besten war. Aus dem Ausland unterstützte ein Familienmitglied Sandra Babas Familie finanziell – sonst wäre es nicht gegangen. Weg wollte sie, aber sie wusste: „Das wird nicht so leicht.“ Gleichzeitig war ihr klar: „Ich habe keine Alternative, ich muss das alles selbst schaffen.“
Schon bald fing sie an, nicht nur für ihre Kinder und für sich in Ganderkesee ein neues Leben aufzubauen, sondern sich auch für andere einzusetzen. Zunächst war sie bei Dragica Smiljanic, der früheren Integrationsbeauftragten der Gemeinde Ganderkesee,