Braunes Eck. Hans-Jürgen Setzer
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„Sicher eher ein ganz kurzes, bei dem Fett- und Cholesterin-Buffet hier. Und der Rettungswagen braucht bei dem zu erwartenden Herzinfarkt auch viel zu lange hier ins Mühlental“, spottete sie und verzog angewidert das Gesicht. „Diese alte Regel mit Kaiser, König und Bettelmann ist außerdem nicht mehr zeitgemäß. Wenn du dir morgens den Bauch voll haust, bist du danach hundemüde und kannst gleich wieder ins Bett gehen. Vielleicht stammt der Satz wirklich von einem Kaiser mit tausend Bediensteten und fetter Wampe unter seiner Robe“, spottete sie.
„Das ist hoffentlich jetzt alles nicht dein ernst“, kommentierte Leon den traurigen Beginn des Tages. „Du erlaubst dir einen Spaß mit mir, oder? Du wolltest doch diesen Ausflug heute in erster Linie, erinnerst du dich?“, fügte er an.
Vanessa fing an zu weinen. „Ich kann das einfach alles nicht mehr. Tut mir leid, tut mir wirklich leid. Ich weiß, ich bin echt schrecklich. Keiner kann mich längere Zeit ertragen.“ Sie legte die Hände vor ihr Gesicht. Tränen kullerten.
„Hey, so schlimm war das jetzt auch wieder nicht. Alles gut. Auf zickig steh ich ehrlich gesagt sogar ein bisschen“, versuchte Leon zu trösten und legte die Hand auf ihre Schulter. „Mein Gott, ist die kompliziert“, dachte er jedoch gleichzeitig. „Warum passiert das eigentlich immer mir? Ständig gerate ich an attraktive sympathische junge Damen, die leider bei genauerem Hinsehen völlig durchgeknallt sind.“
Vanessa sprang auf und lief nach draußen, sehr zur Überraschung von Leon. Er stand auf, zuckte in Richtung der erstaunt schauenden Bedienung mit den Schultern und trottete zwangsläufig hinterher. „Tut mir leid, ein anderes Mal vielleicht“, verabschiedete er sich ein wenig traurig von der Dame und vom leckeren Buffet. Er folgte Vanessa nach draußen. Diese lief bereits in einiger Entfernung eiligen Schrittes die enge Straße des Mühlentales hinunter. Leon nahm den Wagen. Zum Glück hatte sie den Schlüssel auf dem Tisch liegen lassen und fuhr ihr mit heruntergekurbelter Scheibe hinterher.
„Vanessa, komm beruhige dich wieder. Steig doch bitte ein!“, sagte er.
„Lass mich einfach in Ruhe!“, schluchzte sie wütend und schaute demonstrativ in eine andere Richtung als hätten sie Streit miteinander.
Leon fuhr ein paar Meter voraus, stieg aus und wartete am Wagen angelehnt bis sie aufgeholt hatte.
Vanessa fiel dem völlig verdutzten Leon um den Hals und küsste ihn auf den Mund. „Komm, wir gehen frühstücken! Ich habe jetzt einen Bärenhunger“, sagte sie.
„Okay, da verstehe mal einer die Frauen“, fiel Leon nur kleinlaut ein. Auf eine neuerliche Diskussion hatte er im Moment ganz bestimmt keine Lust. Also fuhren sie zurück zum vielversprechenden Frühstücksbuffet. Die Bedienung schaute mindestens genauso verdutzt wie Leon sich fühlte, als sie nach wenigen Minuten erneut das Restaurant betraten.
Sehr zur Überraschung von Leon haute Vanessa nun tatsächlich rein, lud sich ganze Berge von Leckereien auf ihren Teller und aß diese zu seinem Erstaunen ohne zu murren und mit deutlich vernehmbaren Geräuschen auf. Zunächst streiften die Themen den Vorgänger von Vanessa in der Sportredaktion, Paffrath, den Chef, Dinge die man tun und solche die man besser lassen sollte beim Tageskurier und gegen Ende wurde es etwas privater.
„In meinem Genre, bekommst du ohne Witz die wichtigsten Hinweise beim Essen mit den Informanten“, gestand Leon. „Deshalb war stets eine meiner wichtigsten Regeln: ich versorge sie mit etwas Leckerem, sie mich mit etwas Pikantem“, verriet er mit einem Lächeln und genoss kauend sein Spiegelei. „Gut, für den Sportteil gelten sicher andere Gepflogenheiten. Ich kann dich mal mit Karlchen bekannt machen, wenn du willst. Er dürfte Fußballer eigentlich sogar bis zur Bundesliga trainieren, hat hauptberuflich aber immer in verschiedenen Sportredaktionen gearbeitet und nur nebenher zweit- und drittklassige Mannschaften betreut, der alte Idealist und Sozialromantiker. Er hat sicher ein paar Tricks für dich auf Lager. Sein Chef sagte immer, dass Karlchen noch einem Beduinen in der Wüste Sand verkaufen könnte. Von den alten Hasen kann man oft noch was lernen, auch wenn das die Jüngeren nicht so gerne hören“.
„Bist du in einer festen Beziehung?“, fragte sie völlig unvermittelt und aus dem Zusammenhang gerissen und blickte auf seine Hand, nahm diese schlussendlich mit ihrer Hand als wäre es ein Juwel. „Du trägst keinen Ring, dein Kleidungsstil – entschuldige bitte - lässt ganz sicher auf einen eingefleischten Single schließen und so manch andere kleine Details auch“, verriet Vanessa und tat geheimnisvoll und neugierig zugleich, wechselte dabei auch den Tonfall ins Verführerische.
„Nein, frisch getrennt quasi“, antwortete er überrumpelt und etwas verwirrt. „Deshalb wollte ich heute Morgen lieber alleine sein. Die Sache geht mir noch ziemlich nach“, gestand er und der Gesichtsausdruck sprach Bände. „Gefällt dir mein Kleidungsstil etwa nicht?“, fragte er an sich herunterschauend.
„Oh, sorry. Doch, klar. Ich wollte dir nicht zu nahe…“
„Nein, schon okay. Es ist ja nicht zu übersehen wie es mir wirklich geht, und bevor die Umgebung meine schlechte Laune noch auf sich bezieht, ist es vielleicht besser mit der Sprache endlich rauszurücken. Also, ich bin unglücklich getrennt seit einer Woche. Jetzt ist es raus. Es scheint leider endgültig. Sophie und ich gehen uns aus dem Weg und außerdem“ – Leon stockte, „es gibt ganz offensichtlich einen anderen in ihrem Leben und wenn Sophie sich erst einmal für etwas entschieden hat … sie hat einen gewaltigen Dickschädel musst du wissen.“
„Oh, scheiße! Entschuldige den Ausdruck“, rutschte es Vanessa spontan heraus. „Das tut weh! Ich kenne das leider zur Genüge. Mit mir hält es auch niemand länger aus. Wie lange seid ihr zusammen gewesen?“
„Fast zwei Jahre wären es jetzt“, antwortete er traurig. „Stürmische Zeiten, einerseits mit den schönsten Erlebnissen meines Lebens und andererseits den tiefsten Tiefen – leider. Also bildlich gesprochen echt wie auf einer Achterbahn im Freizeitpark“, fügte er an. „Mittelmäßigkeiten waren nicht so ihr Ding, immer nah dran an den Extremen. Je außergewöhnlicher desto besser und heute so und morgen so, keine konstante gerade Linie erkennbar“, philosophierte Leon etwas wehmütig. „Dabei wirkte sie anfangs so lieb, vernünftig und ausgeglichen auf mich. Je näher wir uns kannten, desto skurriler wurde ihr Auftreten.“
„Also langweilig war es dann mit ihr bestimmt nicht. Klingt eigentlich nicht wie die Frau zum Verlieben und Altwerden, klingt eher wie … ich“, entgegnete Vanessa überrascht. „Passt irgendwie gar nicht zu dir, Leon“, fügte sie nachdenklich an.
„Doch, unbedingt! Völlig chaotisch, unberechenbar, aber ohne Zweifel liebenswert, so süß verpeilt, zickig und dazu auch noch gesegnet mit einem sexy Körper“, Leon weinte fast, zog ein Foto aus der Brieftasche und legte es vor Vanessa auf den Tisch.
„Wow, bildhübsch. Polizistin, Wahnsinn! Diese Augen, die Haare, Hammerfigur und was für ein tolles Gesicht. Ja, keine weiteren Fragen, euer Ehren“, sagte sie kleinlaut. „Freispruch in allen Punkten für dich. Dagegen bin ich ein hässliches Entlein. Ab – zurück ins Gehege zu den anderen grauen Enten“, seufzte sie leise hinterher.
„Vanessa, jetzt hör aber mal auf damit. Du bist eine bildhübsche intelligente junge Frau. Hast vielleicht auch, genauso wie ich, Pech gehabt und bist immer an die falschen geraten. Wir können ja eine Selbsthilfegruppe gründen“, lenkte er ab und versuchte ein Lächeln, obwohl ihm eher zum Heulen zumute war.
„Gründungsversammlung