Mr. Blettsworthy auf der Insel Rampole (Roman). H. G. Wells
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Читать онлайн книгу Mr. Blettsworthy auf der Insel Rampole (Roman) - H. G. Wells страница 11
Ich brütete über der unlöslichen Frage, warum ich den Sinn meines erwachenden Lebens an eine geistlose und gewöhnliche Halbjungfrau gekettet hatte und an einen Gefährten, der sich als Schurke erwiesen haben würde, wenn er nicht, ehe seine Schurkerei sich hatte voll betätigen können, ein eitler und genußsüchtiger Narr gewesen wäre. Noch größeres Kopfzerbrechen bereitete mir die Frage, wie ich mein kopfloses Selbst von diesen beiden schlecht gewählten Gefährten loslösen sollte.
Völlig unvereinbar jedoch mit dem Hauptstrom meiner Gedanken war etwas enger Begrenztes und dabei Machtvolleres. Ohne Beziehung zu den anderen Erinnerungen schwebte mir der Körper Olive Slaughters vor, wie ich ihn halb entblößt auf das Bett geworfen hatte, und ich sah den seltsamen Ausdruck ihres Gesichtes wieder, das mich anstarrte, während ihr Widerstand erlahmte. Ich verachtete sie, haßte sie auf eine gewisse Art, doch rief dieses Bild zugleich ein so heftiges Verlangen in mir wach, wie ich es noch nie empfunden hatte. Welch ein Idiot war ich doch gewesen, von ihr abzusehen und wegzugehen! Wie soll ich den Zusammenhang zwischen den verschiedenen Gedankenströmen schildern, die gleichzeitig und äußerst lebhaft mein Gehirn durchfluteten? Es war, als ob ich, ein junger Wilder, stillschweigend vor mich hinbrütete, indes ein alter Herr von Zeit und Raum, Vorherbestimmung und freiem Willen sprach.
Ein Teil meines Gehirnes schmiedete Pläne, wie ich nach Oxford zurückkehren und mich der munteren Olive Slaughter bemächtigen könnte, und dachte nicht im geringsten an die möglichen Folgen eines solchen Beginnens; mein ganzes übriges Wesen fragte immer wieder, ich weiß nicht mehr in welcher Form, was mit meiner Seele geschehen sei und warum meine Welt zusammengestürzt war. An Graves dachte ich nur wenig und voll verächtlichen Hasses. Ich dachte nicht so sehr daran, daß er mich mit Olive Slaughter, sondern daß Olive Slaughter mich mit ihm betrogen hatte. Daneben regte sich unklar, aber lebhaft ein heftiger Vorwurf in mir: daß irgendwie ich selbst der Betrüger war, daß ich mit den beiden – ob vor oder nach meiner Entdeckung, wußte ich nicht recht – mich selbst betrogen hatte.
Welches Selbst aber?
Mein Gemüt unterlag seltsamen Schwankungen. Ich erhob mich und schleuderte ihr Bild, das auf meiner Kommode stand, gegen das Kamingitter. Das Glas krachte, zerbrach aber nicht. Dann hob ich das Bild wieder auf und stellte es auf seinen Platz zurück. »Wart nur, du«, sagte ich und teilte ihr in den gemeinsten Ausdrücken mit, was ich ihr antun wollte.
Dann erinnere ich mich daran, daß ich auf meinem Rad in der warmen Morgenluft nach Oxford fuhr. Offenbar hatte ich gefrühstückt, mit meiner Hauswirtin gesprochen und die Zeit bis halb elf oder elf irgendwie hingebracht, doch sind all diese Einzelheiten aus meinem Gedächtnis gelöscht. Wahrscheinlich hatte ich auch eine bestimmte Absicht im Sinn, als ich nach Oxford fuhr, doch erinnere ich mich nur an eines klar: Es fiel mir beim Fahren auf, daß das Laub der Bäume sich ein wenig rot und gelb zu färben begann, und ich fragte mich, ob das einen frühzeitigen Herbst bedeute oder die Folge einer langen Reihe heißer, trockener Tage sei.
Graves hatte gepackt und war verschwunden. Unsere Raumpflegerin hatte ihn, als sie am Morgen gekommen war, nicht mehr angetroffen. Sie wunderte sich sehr, und zwar ganz besonders über das zerbrochene Geschirr, das nasse Bett, in dem niemand geschlafen hatte, und drei Haarnadeln, die sie auf dem Fußboden gefunden hatte. Ich legte ein nicht allzu heftiges Interesse an den Tag. Mochte das die Frau mit Graves ins reine bringen.
»Wenn er zurückkommt, wird uns das Mr. Graves wohl erklären«, sagte ich.
Dann befahl ich – wenn ich nicht irre – unserem Botenjungen, die Läden der Schaufenster wieder herunterzulassen. Unser Personal hatte sich nämlich wie allmorgendlich versammelt. Ich zahlte die Leute aus. Was mir unter den Eindrücken dieser Stunde am deutlichsten vor Augen schwebt, ist die Tatsache, daß die Blumen, die ich im Laden zurückgelassen hatte, in einer großen Vase auf den Mitteltisch des Lesezimmers gestellt worden waren. Ich überlegte flüchtig, wer das getan haben mochte. Die Auszahlung des Personals zeigt wohl, daß ich mich bereits entschlossen hatte, den Plan mit den Buchläden völlig aufzugeben. Vermutlich gingen die Leute sehr verwundert weg. Ich kann mich nach so langer Zeit weder an ihre Gesichter noch ihre Namen erinnern. Ich muß etwas wie eine düstere Würde zur Schau getragen haben, die weder Fragen noch Gespräche zuläßt. Schließlich waren alle fort. Ich ließ die Blumen in der Vase – mochten sie darin verwelken –, trat aus dem Laden, blieb einen Augenblick stehen, um die Passanten in der sonnenhellen Straße zu betrachten, und warf dann die Tür hinter mir zu. Mein Rad stand mit dem Pedal auf den Randstein gestützt.
Plötzlich gewahrte ich Mrs. Slaughter weit unten in der Straße: Sie eilte unter Gebärden, die meine Aufmerksamkeit fesseln sollten, auf mich zu.
Noch heute kann ich das Gefühl des Abscheus nachempfinden, das ihr Anblick in mir erweckte. Ein Gefühl des Abscheus und der Bestürzung war es. Mrs. Slaughter hatte ich vergessen.
Mein Rad stand da, aber eine Flucht wäre unwürdig gewesen.
»Auf ein Wort nur, Mr. Blettsworthy, auf ein Wort nur«, sagte sie, als sie vor mir stand.
Sie war kleiner als Olive und hatte eine ganz andere Hautfarbe. Olives Goldblond zeigte in ihrem Haar einen rötlichen Stich, und die helle Farbe des sommersprossigen Gesichtes stand in stärkstem Gegensatz zu dem warmen Elfenbeinton, der Olives Teint auszeichnete. Sie hatte kleine braune Augen anstatt der blauen Olives und war erhitzt und ein wenig atemlos. Sie trug ihr schwarzes Ladenkleid und hatte sich offenbar in großer Hast einen Hut aufgesetzt. Vielleicht hatte ihr einer meiner entlassenen Angestellten im Vorübergehen von meiner Anwesenheit erzählt. Vielleicht hatte sie schon früher am Tage, ehe ich noch zurückgekehrt war, im Laden vorgesprochen.
Ich betrachtete sie einen Augenblick lang, ohne zu sprechen, und ließ sie dann stillschweigend in den verdunkelten Laden treten.
Sie hatte sich etwas wie eine Rede zurechtgelegt und sprach im Tone einer freundlichen und vernünftigen Ermahnung. »Was ist denn nur zwischen Ihnen und Olive los?« fragte sie. »Was soll all das Gerede, daß ihr die Verlobung lösen und euch nie mehr wiedersehen wollt? Worüber habt ihr euch denn gestritten? Ich kann kein Wort aus ihr herauskriegen, nur daß Sie böse auf sie sind und die Hand gegen sie erhoben haben. Die Hand gegen sie erhoben haben! Und sie weint sich die Augen aus dem Kopfe! Weint zum Herzzerbrechen! Ich habe nicht einmal gewußt, daß sie gestern abend hier war. Sie ist wie eine Maus zur Haustür hinein und die Treppe hinaufgeschlüpft. Und wie ich heute früh zu ihr ins Zimmer komme, liegt sie im Bett – schluchzend. Sie hat die ganze Nacht geweint.«
Mit solchen Worten offenbarte mir Mrs. Slaughter ihre mütterlichen Sorgen.
Ich tat zum ersten Male den Mund auf: »Ich habe von einer Lösung unserer Verlobung nichts gesagt.«
»Sie behauptet, daß zwischen euch alles aus ist«, erwiderte Mrs. Slaughter mit einer Gebärde des ratlosen Staunens.
Ich lehnte mich gegen den Ladentisch und betrachtete die unschuldige Pracht meiner Blumen, die sozusagen den Sarg meiner toten Wahnvorstellungen schmückten. »Ich glaube nicht«, sagte ich langsam, »daß alles zwischen uns vorbei ist.«
»Das klingt schon besser!« sagte Mrs. Slaughter herzlich. Ich richtete den Blick auf ihr dummes Gesicht und entdeckte zum ersten Male die unendliche Beschränktheit, deren Mütter von Töchtern fähig sind.
»Dann brauchen wir ja von irgendwelchen Schritten wegen Nichterfüllung des Eheversprechens und dergleichen mehr gar nicht zu reden«, fuhr sie fort, indem sie mir ein wohl zurechtgelegtes Gespräch, das ihr nun nicht mehr vonnöten schien, in einem einzigen Satz an den Kopf warf. Ich hatte an die Möglichkeit einer Klage wegen Nichterfüllung des Eheversprechens noch