Mr. Blettsworthy auf der Insel Rampole (Roman). H. G. Wells

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Mr. Blettsworthy auf der Insel Rampole (Roman) - H. G. Wells

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mit mir verknüpft, gleich der Gioconda neben Leonardo späteren Geschlechtern ein leuchtender Stern sein.

      Ich besitze kein Porträt, das mich in jener letzten vollkommen glücklichen Phase meines Lebens darstellte. Ich glaube nicht, daß sich meine Selbstzufriedenheit und mein ungeheurer Ehrgeiz in meiner äußeren Erscheinung verrieten. Höchstwahrscheinlich sah ich nicht anders aus als irgendeiner von den erfreulich jungen Jünglingen, die es damals in England gab. Jedenfalls dachte ich nicht nur von mir und den Meinen gut, sondern von der ganzen Welt. Und die Blase meiner Selbstgefälligkeit sollte so bald und so grausam angestochen werden, daß es niemand nötig hat, an meinem damaligen Glück Anstoß zu nehmen.

      Ich mußte für einige Tage nach London fahren, um verschiedene geschäftliche Angelegenheiten zu regeln. Meine Rechtsanwälte, eine altmodische Firma, die schon meinen Onkel beraten hatte, waren in der Kritik meines neuen Unternehmens über ihre beruflichen Rechte ein wenig hinausgegangen, und ich gedachte sie in bezug auf Graves zu beruhigen. Überdies hatte ich es mir in den Kopf gesetzt, Olive eine Halskette aus grünen, in Gold gefaßten Jadesteinen zu schenken, die ich nach genauen Angaben arbeiten lassen wollte. Auch war einer der Blettsworthys aus Sussex im Begriff zu heiraten, und ich wollte bei seiner Hochzeit nicht fehlen. Ich hatte mir vorgenommen, im ganzen vier Tage auszubleiben, als ich jedoch am dritten Tage der Hochzeit meines Vetters beigewohnt hatte, erfaßte mich plötzlich die Lust, einen Tag früher nach Oxford zurückzukehren und Olive durch mein unerwartetes Erscheinen am nächsten Morgen zu erfreuen. Wir waren nunmehr offiziell verlobt; ihre Mutter hatte mich mit großer Freude und einem Kusse als künftigen Schwiegersohn aufgenommen; ich konnte Olive nun unverhohlen Geschenke machen, und so nahm ich einen wunderschönen Blumenstrauß mit, der meine kleine Überraschung festlicher gestalten sollte.

      Ich fuhr am späten Nachmittag von London ab, aß im Zug mein Abendbrot und begab mich, in Oxford angekommen, zu unserem neuen Laden, zu dessen Straßentür ich einen Schlüssel hatte, um dort mein Rad zu holen. Oben in Graves Wohnzimmer war kein Licht, woraus ich schloß, daß er ausgegangen sei. Ich betrat den Laden, vermutlich geräuschlos, und anstatt einfach nur mein Rad zu nehmen, verweilte ich einige Minuten und betrachtete die unübertrefflich schöne Ausstattung des Geschäftes. Nur wenige Läden hatten damals Armstühle und einen großen mit Büchern belegten Tisch aufzuweisen, wie eine Klub-Bibliothek. Schließlich bemerkte ich, daß hinten im Bureau eine der grün beschirmten Lampen brannte; ich dachte, daß Graves sie vergessen habe, und ging hinein, um sie auszulöschen.

      Das Büro war leer, doch auf dem großen, Graves gehörigen Schreibtisch lag ein aus mehreren Bogen bestehender, unvollendeter Brief. Ich warf einen Blick darauf und sah die Worte: »Mein lieber Arnold.« Warum um alles in der Welt hatte er mir einen Brief geschrieben? Wo er mich doch täglich sah. Ich empfand es in keiner Weise als Unrecht, mich auf seinen drehbaren Armstuhl zu setzen und den Brief zu lesen.

      Erst las ich flüchtig, bald aber mit angestrengter Aufmerksamkeit.

      »Gewisse Dinge werden am besten brieflich erörtert«, hob das Schriftstück an; »und ganz besonders Fragen, die Zahlen betreffen. Du wirst stets ein wenig ungeduldig, wenn es sich um Zahlen handelt …«

      Was sollte da kommen?

      Ich hatte den Tag zuvor zwei recht unangenehme Stunden in Lincoln’s Inn verbracht, um die Finanzierung unserer neuen Gesellschaft gegen Angriffe zu verteidigen, die mir als altmodische Verdächtigungen erschienen waren. Der alte Ferndyke (Ferndyke, Pantoufle, Hobson, Stark, Ferndyke & Ferndyke), der ein Schulkamerad meines Onkels gewesen und mütterlicherseits ein Blettsworthy war, hatte Ansichten über Graves vorgebracht, die mir die Erwiderung: »Aber Sir, das kommt ja geradezu einer Einflüsterung gleich« abzwangen. Darauf hatte er geantwortet: »Keineswegs! Es ist noch immer üblich, solche Fragen zu stellen.«

      »Im Falle meines Freundes Graves ist es überflüssig«, hatte ich gesagt, und der alte Herr hatte die Achseln gezuckt.

      Merkwürdigerweise hatte ich mir dieses Gespräch während der folgenden Nacht, in der ich ungewöhnlich schlecht schlief, etliche Male wiederholt, und im Zuge war es mir nach dem Abendbrot wieder in den Sinn gekommen. Als ich nun den nächsten Satz des Briefes las, klang es mir aufs neue deutlich in den Ohren.

      »Mein lieber Arnold«, ging der Brief weiter, »wir sind an einem toten Punkt angelangt.«

      Der Kern des Briefes war, daß wir unser Geschäft in zu großem Maßstab geplant hätten. Er wolle mir das mit allem Nachdruck klarmachen. Schließlich werde das vielleicht ganz gut sein, für den Augenblick aber bedeute es Geldverlegenheit. »Du erinnerst dich wohl, daß ich anfänglich sagte, es sei ein Zehntausend-Pfund-Unternehmen«, schrieb er. »Und das ist es.«

      Wir hatten nahezu das gesamte uns zur Verfügung stehende Geld für Ausstattung, Einrichtung, Vorausgaben, Bürobedarf und Direktorengehälter verwendet. Mit dem Einkauf des Bücherbestandes hatten wir eben erst begonnen. »Noch dazu habe ich«, hieß es in dem Brief weiter, »bis zu dem Limit, das du garantiert hast, Geld behoben.« Ich überlegte – ich hatte eintausend garantiert und das in einem außerordentlich gewundenen und langatmigen Dokument. Wir bezahlten bereits zwei Hilfskräfte, einen Laufburschen und eine Stenotypistin, die Lyulphs Korrespondenz erledigte, und hatten vorläufig offiziell mit dem Verkauf noch nicht begonnen. Wir hielten den Laden zwar offen und bedienten gelegentlich Kunden, wollten jedoch erst nach Beginn des Semesters das Geschäft in aller Form eröffnen. Zu diesem Anlaß gedachten wir, tüchtig Propaganda zu machen, was beträchtliche weitere Ausgaben bedeutete. Der größte Teil der Bücher, die wir auf Lager haben wollten, mußte erst angeschafft werden, und wir mochten noch Monate ohne Verdienst vor uns haben. Besonders in Oxford hat man stets eine Anzahl unvermeidlicher Kreditgeschäfte zu tätigen. Der junge Student kauft sehr viel, aber nicht gegen bares Geld. »Es bleibt uns nichts anderes übrig«, schrieb Graves, »als neues Kapital aufzunehmen und weiterzuarbeiten. Zurück können wir jetzt nicht mehr.«

      Hier brach das Schriftstück ab. Der Schreiber schien unterbrochen worden zu sein.

      Ich hielt den Brief in der Hand und starrte in die dunklen Schatten meines neuen Büros. Noch mehr Kapital? Ich hatte es, aber ich näherte mich bereits dem, was Ferndyke meine Sicherheitsgrenze nannte. Bisher hatte ich nichts weiter riskiert als eine Einschränkung meiner Lebensweise; der Vorschlag von Graves konnte leicht den Verlust der Unabhängigkeit, die mir so angenehm war, bedeuten. Im Schatten tauchte sehr lebhaft das Antlitz des alten Ferndyke auf, und ich hörte seine Frage: »Fehlt es Ihrem Freunde nicht ein wenig an – wie soll ich es nennen? – an Grundsätzen, ebenso wie auch an Erfahrung?«

      Ich betrachtete das so sehr gediegene und vornehme Büro. Es einzurichten, hatte mir viel Freude gemacht. Was aber, wenn es sich nun als zu groß und zu kostspielig für das Geschäft erweisen sollte?

      Und war Graves, mein kluger und erfinderischer Freund, vielleicht wirklich ein klein bißchen weniger solide als etwa dieser unser wunderbarer Büroschrank, der vierzigtausend Briefe zu fassen vermochte?

      Mitten in diesen Überlegungen kamen mir verschiedene Geräusche zu Bewußtsein: Über meinem Kopfe krachte es, regte sich etwas. Ich wurde mir alsbald darüber klar, daß Graves oben in seinem Schlafzimmer sein müsse. Da konnte ich ja die ganze Angelegenheit gleich mit ihm besprechen. Jawohl, ich wollte sie sofort mit ihm besprechen. Seine Wohnung hatte einen Privateingang von der Straße her, und ich ging zu der Tür, die von dem Laden in den Korridor und zur Treppe führte. Laden und Treppe waren mit ausgezeichnetem, aber teurem blauen Axminster belegt, und ich stand in dem unbeleuchteten Wohnzimmer, ehe Graves meine Anwesenheit bemerkte. Die Schlafzimmertür war ein wenig offen, und das Gas war angezündet.

      Ich war eben im Begriffe zu sprechen, als mich das Geräusch eines Kusses, ein heftiges Geknarre und ein lauter Seufzer innehalten ließen.

      Dann erklang zu meinem grenzenlosen Staunen die Stimme Olive

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