Das Gesetz der Vier. Edgar Wallace

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Das Gesetz der Vier - Edgar Wallace

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sei«, erwiderte er lächelnd. »Aber warum sprichst du beim Frühstück über so gräßliche Dinge?«

      Gonsalez setzte seine Brille wieder auf und wandte sich scheinbar aufs neue dem Studium seiner Zeitung zu. Er überhörte seinen Freund nicht absichtlich, sondern sein Geist war, wie George Manfred wohl wußte, so vollständig von seinen Gedanken beschäftigt, daß er die Frage überhaupt nicht vernommen hatte. Er blickte auch in die Zeitung, ohne zu lesen. Plötzlich begann er wieder zu sprechen.

      »Achtzig Prozent aller Menschen, die unter Mordanklage stehen, kommen zum erstenmal mit dem Gericht in Berührung. Deshalb sage ich immer, daß Mörder eigentlich nicht zu den wirklichen Verbrechern gehören. Ich spreche natürlich von den Mördern der angelsächsischen Rasse. Es sind faszinierende Leute, George, wirklich faszinierend!«

      Sein Gesicht leuchtete vor Begeisterung.

      »Ich habe mich noch nicht zu dieser Anschauung durchringen können«, entgegnete Manfred. »Mir sind sie einfach schrecklich – für mich ist Mord immer noch die Verkörperung des größten Unrechts.«

      »Vielleicht hast du recht«, antwortete Gonsalez zerstreut.

      »Wie kamst du eigentlich auf diese merkwürdigen Gedanken«, fragte Manfred, als er seine Serviette zusammenrollte.

      »Gestern Abend habe ich einen Mann mit einer richtigen Mörderphysiognomie getroffen. Er bat mich um ein Streichholz und lachte, als ich es ihm gab. Ich konnte seine wunderbaren Zähnen sehen, sie waren vollkommen – nur ...«

      »Nun, was denn?«

      »Nur die Eckzähne waren ungewöhnlich stark und lang. Außerdem hatte er tiefliegende Augen, erstaunlich gerade Brauen und unregelmäßige Gesichtszüge: Die letzte Eigenschaft deutet allerdings nicht unbedingt auf einen Verbrecher.«

      »Das klingt ja, als wäre er ein richtiges Scheusal gewesen.«

      »Im Gegenteil.« Gonsalez beeilte sich, den falschen Eindruck, den seine Worte hervorgerufen hatten, zu verbessern. »Er sah sehr gut aus. Nur jemand, der sich eingehend mit Physiognomien beschäftigt, konnte die Unregelmäßigkeit in seinen Gesichtszügen wahrnehmen. O nein, er konnte sich wirklich sehen lassen.«

      Gonsalez erklärte noch näher, unter welchen Umständen er den Fremden getroffen und kennengelernt hatte. Er hatte am vorhergehenden Abend ein Konzert besucht, um die Wirkung der Musik auf bestimmte Typen von Menschen zu studieren. Sein ganzes Programm war mit Notizen vollgekritzelt, und er hatte nachher fast die halbe Nacht damit zugebracht, seine Beobachtungen auszuarbeiten.

      »Er ist der Sohn von Professor Tableman. Mit seinem Vater steht er allerdings nicht sehr gut, weil dieser die Wahl seiner Verlobten nicht billigt. Außerdem haßt er seinen Vetter.«

      Manfred lachte laut.

      »Du bist wirklich großartig! Hat er dir das alles freiwillig erzählt, oder hast du ihn hypnotisiert und alle diese Nachrichten aus ihm herausgelockt? Übrigens hast du mich noch gar nicht gefragt, was ich gestern Abend getan habe.«

      Gonsalez steckte sich umständlich eine Zigarette an.

      »Der junge Tableman ist fast zwei Meter groß, kräftig gebaut und hat solche Schultern!« Er hielt die Zigarette in der einen Hand, das brennende Streichholz in der anderen, um damit die ungewöhnliche Breite des jungen Mannes anzudeuten. »Er hat große, starke Hände, außerdem ist er ein bekannter Fußballspieler. Wo bist du nun gestern Abend gewesen, George? Entschuldige, daß ich dich nicht eher danach gefragt habe.«

      »In Scotland Yard«, entgegnete Manfred. Aber wenn er erwartet hatte, durch diese Mitteilung eine Sensation hervorzurufen, so mußte er enttäuscht sein. Aber offenbar kannte er Leon genügend, um daran überhaupt nicht zu denken.

      »Scotland Yard ist ein ganz interessantes Gebäude«, meinte Gonsalez. »Der Architekt hätte nur die Westfassade nach Süden verlegen sollen – obwohl die versteckten Eingänge ganz mit dem Charakter des Baues übereinstimmen. Es fiel dir nicht schwer, dort Bekanntschaften anzuknüpfen?«

      »Nicht im mindesten. Man kennt dort meine Arbeiten in Verbindung mit dem spanischen Strafgesetzbuch und mein Werk über Fingerabdrücke, und ich habe sofort Zutritt zum Polizeipräsidenten bekommen.«

      Manfred war in London als der hervorragende Schriftsteller über Kriminologie, »Señor Fuentes«, bekannt. Er und sein Freund Leon Gonsalez hatten als spanische Wissenschaftler die besten Empfehlungsschreiben des spanischen Justizministers bei sich, die ihnen alle Türen öffneten. Manfred hatte lange Jahre in Spanien gelebt, und Gonsalez war dort geboren. Der starke freundliche Poiccart, der Dritte der berühmten Vier Gerechten, verließ selten seinen schönen Garten in Cordova. Vor zwanzig Jahren hatte auch noch der Vierte gelebt.

      »Das mußt du unserem Freund Poiccart schreiben«, meinte Leon. »Er wird sich sehr dafür interessieren. Heute morgen habe ich einen Brief von ihm bekommen. Zwei seiner Mutterschweine haben Junge geworfen, und seine Orangenbäume stehen in Blüte.« Er lachte, wurde aber plötzlich wieder ernst. »Diese Polizeibeamten haben dich also an ihr Herz gedrückt?«

      Manfred nickte.

      »Sie waren sehr liebenswürdig und zuvorkommend. Wir werden morgen mit dem Polizeidirektor Mr. Reginald Fare zu Mittag speisen. Die Methoden der englischen Polizei sind seit unserem letzten Aufenthalt in London bedeutend besser geworden, Leon. Die Abteilung für Fingerabdrücke ist einfach musterhaft, und die neuen Leute, die man eingestellt hat, sind sehr intelligent und geschickt.«

      »Sie werden uns noch hängen«, sagte Leon vergnügt.

      »Ich glaube kaum!« erwiderte sein Freund.

      Das Essen im Ritz-Carlton war recht gemütlich, und besonders Gonsalez fühlte sich sehr angeregt. Mr. Fare, ein Mann von mittleren Jahren, war nicht nur ein hervorragender Beamter und liebenswürdiger Gesellschafter, sondern auch ein befähigter Wissenschaftler auf seinem Spezialgebiet. Die Unterhaltung drehte sich bald lebhaft um die Ansichten und Beobachtungen von Marro, Lombroso, Fere, Mantegazza und Ellis.

      »Für den gewohnheitsmäßigen Verbrecher besteht das Leben aus einer Reihe von Gefängnisstrafen, und wenn er gerade einmal nicht hinter Schloß und Riegel sitzt, denkt er an neue Taten und genießt das Leben, so gut er kann«, sagte Mr. Fare. »Dieser Ausspruch stammt nicht von mir, sondern ist schon über hundert Jahre alt. Mit den gewohnheitsmäßigen Verbrechern kommt man leicht aus. Aber wenn man mit Leuten zu tun hat, die nicht der Verbrecherklasse angehören, den Mördern, den zufälligen Gesetzesübertretern –«

      »Das stimmt«, unterbrach ihn Gonsalez. »Ich behaupte immer –«

      Er kam aber nicht dazu, seine Ansicht zu äußern, denn ein Page brachte Mr. Fare einen Brief. Der Polizeidirektor entschuldigte sich und überflog das Schreiben schnell.

      »Hm – das ist ein sonderbares Zusammentreffen.« Er sah Manfred nachdenklich an. »Neulich sagten Sie, daß Sie die Beamten von Scotland Yard gerne aus der Nähe bei der Arbeit beobachten möchten, und ich versprach, Ihnen eine Gelegenheit dazu zu geben – sie ist schon da!«

      Mr. Fare winkte den Kellner heran und zahlte seine Rechnung.

      »Ich werde mir wahrscheinlich auch Ihre reiche Erfahrung zunutze machen«, fuhr er dann fort, »denn es ist möglich, daß wir bei diesem Fall alle Hilfe in Anspruch nehmen müssen, die wir nur irgendwie erreichen können.«

      »Worum handelt es sich denn?« fragte Manfred,

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