Rahmen der Wiedereingliederung ins Zivilleben. Sicherlich hatte ich das Waffentragen, die Entfernung, sprich Trennung, die lange Abwesenheit und die teils mörderischen Einsätze in der Legion einfach nur satt. Alles, was auch nur entfernt mit Waffen, Uniformen, oder mit irgendeiner Form von Gewalt zu tun hatte, lehnte ich ab. Doch es war nicht leicht. Die Leere nach den Einsätzen und nach dem turbulenten Leben in der Legion machte mir zu schaffen. Das Vorher- nachher war einfach zu krass. Vorher, das verkörperte zwei Jahrzehnte lange Aktion. Immer auf der Hut sein. Schießen und auf sich schießen lassen. Adrenalin und Gänsehaut. Ausbildung, die so hart war, dass sie sich von der Realität kaum unterschied. Und nun? Nun war ein plötzliches Umschalten gefragt. Der banale Alltag wollte gut gemeistert werden. Leben im sichern Augsburg, in Koblenz oder wie in diesem Fall, in Würzburg. Babysitten und Einkäufe im Supermarkt, Kinder zur Schule bringen, Nachbarn, die sich als langweilige Normalos entpuppten. Da fehlte unvermittelt was. Ich kapierte nicht, was in mir vor- und um mich herum so alles abging. Was war wichtig, was nicht? Ganz besonders krass erlebte ich folgende Szene. Meine Frau hatte mich mit einem langen Einkaufszettel in den Supermarkt geschickt. Unter anderem stand auf dem Zettel: Weichspülmittel und Hundefutter. Manometer! Ziel- und auftragsorientiert wie ich als ehemaliger Elitesoldat nun mal war, fuhr ich los. Als ich vor dem Regal mit Weichspülmitteln stand und mir die Produkte ansah, bekam ich urplötzlich Bauchschmerzen. Ich drehte am Rad. Hatte die Qual der Wahl zwischen ungefähr zwanzig verschiedenen Weichspülern, rote, blaue, weiße und gelbe. Ein Liter, fünf Liter, Lenor, Ariel, Perwoll. Das grelle Licht der Neonröhren und die hektischen Bewegungen der Menschen um mich herum, gaben mir den Rest. Am liebsten hätte ich ganz laut geschrien. Menschen, die an mir vorbeigingen, sahen mich verwirrt an. Ich schloss die Augen. Wünschte mir frischen Wind im Gesicht, während harte Männer in meiner Spur dem Feind entgegenmarschierten. Ich vermisste die grandiosen Sonnenaufgänge in der Tibesti Wüste. Ich sehnte mich danach, das unablässige Regengetrommel des Urwaldes zu hören, dessen feuchte nasse Erde zu riechen. Mir fehlten das Adrenalin, die Angst, der Schweiß und die Kameradschaft unter Männern … nach all den Dingen eben, die es im Zivilleben kaum gab. Und mir fehlte der trunken machende Geruch von Kerosin, der immer dann präsent ist, wenn die Transall anfängt zu stottern und zu spucken und wir, den Fallschirm und das schwere Sprunggepäck auf dem schon wunden Rücken, fluchend die Maschine beschuffeln. Das alles schoss mir innerhalb von zwei Minuten durch den Kopf. Zwei Minuten, die ich vor proppenvollen Regalen stand und die Welt nicht mehr begriff. Weichspüler und Hundefutter? Welche Knöpfe wurden da in mir gedrückt? Was hatte mich befallen? War es Wahnsinn? Ein PTBS womöglich? Es ging, so denke ich heute, um die Empörung meiner Psyche einer Situation gegenüber, die sie nicht verstehen oder wahrhaben wollte. Sicherlich spielten Existenzängste eine Rolle. Fragen drängten sich mir auf. Wie sieht mein zukünftiges Leben von nun an aus, wie kann ich in einer Gesellschaft, mit der ich mich nicht unbedingt identifizieren konnte, meinen Platz finden? Einer Gesellschaft, der ich damals als junger Mann entflohen bin? Unterschwellig nagte in mir wohl die Angst, ein allzu ´normales` Leben führen zu müssen. Diese Angst wurde von Monotonie begleitet. Langeweile und Unterforderung machten mich krank. Kurz nach meinem Abschied vom Theater nahm ich einige leichte Security Jobs an, doch ich wusste sofort, dass die Dinge nie wieder so sein würden, wie sie vorher mal waren. Es war also nur eine Frage der Zeit, bis die alten Teufel mich wieder riefen. Als es soweit war, warf ich meine Bedenken kaltschnäuzig über Bord und knüpfte mit alten Gepflogenheiten an, die waren: Koffer packen und ab zum bewaffneten Dienst! In den Jahren zwischen 2002 und 2016 war ich in Sachen Security an vielen Punkten dieser Erde tätig. Die Arbeit machte es mir nicht immer möglich, hinter mich zu sehen. Meine Frau war während dieser ganzen Zeit das so wichtige Zwischenstück, die Brücke zu meinen Kindern. Sie besänftigte sie, stand ihnen an meiner Stelle Rede und Antwort und sie begründete meine Abwesenheit mit Worten, die die damals jungen Sprösslinge eben verstanden. Mit anderen Worten, sie hielt mir den Rücken frei, indem sie die Menge der anfallenden Alltagsprobleme von mir fernhielt, sodass ich mich ganz auf meinen Beruf konzentrieren konnte. Dass sie dabei ihre eigene Person stets hintanstellte, war mir, zumindest in den Anfängen, nicht immer bewusst.
Erfahrung, Instinkt und Mut
Dante und Vergil in der Hölle. Wie auf dem Gemälde von Eugène Delacroix hingen dunkle Gewitterwolken über alle friedliebenden Menschen in unserer freien Welt. Kurz nach den Anschlägen vom 11. September 2001 stand die alte Weltordnung, wie wir sie kannten, Kopf. An jeder Straßenecke sprach man von irgendwelchen Verschwörungstheorien, klebte per se allen ´Bärtigen` im Mittleren Osten das Terroristenetikett auf die Brust. Wörter wie Private Security waren plötzlich in aller Munde. Was sich daraus entwickelte, war erstaunlich. Die in der Sicherheitsbranche zu vergebenden Jobs, eben noch eine Sache von rüstigen Rentnern und verzweifelten Arbeitslosen, waren mit einem Schlag angesehen, begehrt und gut bezahlt. Die Gesellschaft schrie nach der ´absoluten Sicherheit`. Auch wenn es eine solche nicht geben konnte, wollte man das Terrain SECURITY denen überlassen, die sich darin am besten auskannten. Denen, die damit umgehen konnten und die Risiken nicht scheuten - und die bereit waren, für ´die Sache` sogar ihr Leben zu lassen. Und siehe da, der Arbeitsmarkt florierte. Für Ex-Soldaten in erster Linie. Private Sicherheitsfirmen und Private Militär Sicherheitsfirmen schossen wie Pilze nach einem lauen Regen aus der warmen Muttererde. Die Möglichkeit, die sich mir als Ex-Elitesoldat in diesem Sektor bot, erkannte ich sofort. Es war Wahnsinn. Meine Chance zunächst recht moderat am Zopfe packend, bewarb ich mich bei der Firma Securitas zum bewaffneten Dienst. Es handelte sich dabei um eine Tochterfirma des schwedischen Sicherheitskonzerns Securitas AB. Mich irgendwie zu engagieren, war wie ein Zwang. Mich nützlich machen. Helfen. Den Bösen nicht das Feld überlassen. Und ich wollte den Markt etwas sondieren, wollte sehen, wie zivile Firmen mit dem Unding PRIVATE SECURITY umgingen. Securitas bewachte damals mehrere Kasernen der US-Streitkräfte der Garnison Würzburg (98. ASG.). In Würzburg, der Stadt in der ich lebte, war die 1. US-Infanteriedivision the Big Red Onestationiert. Als ich das Securitas Hauptquartier in der Faulenberg-Kaserne betrat, wurde ich bereits erwartet. Stefan (Name geändert), der damalige Area Manager der Firma, erhob sich und kam mir lächelnd entgegen.
„Thomas Gast?“
Ich nickte. Drückte herzlich die mir entgegengestreckte Hand.
„Ich habe bereits von dir gehört. Ehrlich gesagt, dass gerade du dich bei uns bewirbst, damit hätte ich nicht gerechnet“. Er wies auf einen Ledersessel. „Setz dich bitte. Kaffee?“
„Gerne. Woher kennen wir uns?“
„Die Sendung“, sagte er und strahlte mich an. „In der ARD.“
Ich wusste Bescheid. Erst vor ein paar Tagen lief in einigen TV Sendungen die WDR Reportage Leben für die Front. Der Dokumentarfilm wurde mehrmals und bundesweit ausgestrahlt. Er zeigte mich mit einigen anderen deutschen Legionären bei der Ausbildung in Dschibuti. Vorausgegangen war meine Begegnung mit Frau Sonia Seymour Mikich - bekannt u.a. durch das ARD-Politmagazin Monitor, in Calvi / Korsika. Frau Mikich, damals ARD-Studioleiterin in Paris, drehte eine Reportage über Russen in der Legion und ich hatte das Vergnügen, sie und ihr Team während ihres Aufenthaltes in Korsika betreuen zu dürfen. Nach einem guten Gespräch und zwei Tassen Kaffee gab Stefan mir ohne das übliche Tamtam einen Vertrag. Voraussetzung, bei Securitas angestellt zu werden, war eine reine Weste, nachzuweisen durch ein einwandfreies polizeiliches Führungszeugnis. Weiterhin bedurfte es einer bestandenen Waffensachkundeprüfung; den Nachweis 34 A IHK; dem Führerschein der Klasse B und einer Kurzausbildung mit dem Tonfa. Auch waren solide Englischkenntnisse gefragt. Was mir ins Auge stach? Dass sich damals schon einige der Mitarbeiter bereits bei der deutschen Sprache sehr schwer taten! Das ist kein Werturteil, sondern eine sachliche Feststellung. Im Ernstfall- und das wusste ich aus Erfahrung, kam es auf das Beherrschen einer Sprache, welcher auch immer, nicht an. Im Ernstfall waren praktische Erfahrung, Scharfsinn, eine gehörige Portion Instinkt und großer Mut gefragt.
Wie ein Mahnmal ragt der Torbogen, der einstige Haupteingang des Hauptquartiers