Schwester des Mondes - Teil meines Lebens. Sorella Di Luna

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Schwester des Mondes - Teil meines Lebens - Sorella Di Luna

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mehr als zehn Jahre lang eine Abteilung, die mir sehr ans Herz gewachsen ist. Dann kam der Abgrund und ich war anderthalb Jahre krank.

      Seit Kurzem habe ich eine neue Arbeitsstelle. Es ist ein schöner Job, doch bin ich keine leitende Angestellte mehr und arbeite nur noch 25 Stunden in der Woche. Das war nur eines der kleinen Dinge, die meiner Krankheit Tribut gezollt haben. Ich habe meinen Sohn großgezogen, meistens allein, aber auch mit viel Hilfe meiner Eltern. Alles das habe ich geschafft. Alles irgendwie erledigt…

      Im Februar 2006 ist meine Mutter gestorben. Der Abgrund öffnete sich fast unmerklich, der Sturz aus schwindelnder Höhe kam im Mai des darauf folgenden Jahres. Seitdem kann ich nicht mehr „leben“. Ich existiere nur noch. Frage mich, warum ich kämpfe, weil ich doch gar nicht mehr leben will.

      Ich habe doch schon alles getan, alles erlebt. Mein Körper lässt mich im Stich, gepeinigt vom Alkohol. Von Selbstverletzungen. Von Drogen.

      Meine Musik habe ich seitdem verloren...ich kann sie nicht mehr finden.

      Auch die Liebe habe ich verloren, die Liebe zu mir selbst, die Fähigkeit, Liebe zu empfinden und Liebe zu geben. In mir existieren vier Menschen und ich höre deren Stimmen. Darf ich auf sie hören? Wollen sie mir Gutes?

      „Es sind gewisse Dinge, die sich das Schicksal hartnäckig vornimmt, verge-bens, dass Vernunft und Tugend, Pflicht und alles Heilige sich ihm in den Weg stellen; es soll etwas geschehen, was ihm recht ist, was uns nicht recht scheint; und so greift es zuletzt durch, wir mögen uns gebärden, wie wir wol-len. Doch was sag ich!

       Eigentlich will das Schicksal meinen eigenen Wunsch, meinen eigenen Vor-

       satz, gegen die ich unbedachtsam gehandelt, wieder in den Weg bringen.“

      (Charlotte an den Major im 14. Kapitel des zweiten Teils aus Goethes „Wahlverwandschaften, 1809)

      Brief an meinen Bruder

      „Der Glaube und die Unschuld sind zu finden nur bei den Kleinen.“

       Dante Alighieri

      An meinen Bruder,

      Du warst da, um mich zu schützen. Du hast es immer und immer wieder versucht, aber es ist Dir nicht gelungen. Nein, ich war diejenige, die Dich schützen musste. Ich stellte mich vor Dich, wenn Du gelogen hast. Ich stellte mich vor Dich, wenn Du bedroht wurdest. Und ich stelle mich immer noch vor Dich, obwohl Du etwas falsch gemacht hast.

      Ich stelle mich vor Dich, weil Du mein Bruder bist.

      Ich stelle mich vor Dich, weil Du beschützt werden musstest und musst.

      Ich stelle mich vor Dich, weil mein Erinnern und meine Verzweiflung nichts anderes für mich zulassen.

      Bis ich drei Jahre alt war, warst Du mein Gott. Danach, nachdem ich gelernt hatte, dass ich vergänglich bin, habe ich den Schutz für Dich übernommen. Ich gab Dir meine Ruhe, meinen Trotz und meinen Verstand. Ich gab Dir vor allem meine Gefühle. So wurde ich neun Jahre alt und lernte körperliche „Liebe“, die ich nicht verstand und nicht haben wollte. Aber ich schützte Dich. So lange ich konnte. Nach dem Tod von Mama 2006 konnte ich es nicht mehr. Ich liebte Dich abgöttisch. Ich verließ mich auf Dich. Ich eiferte Dir nach. Und Du hast mir gegeben, was ich niemals wollte. Warum hast Du das getan?

      Ich lebte in Angst, meine Emotionen gingen falsche Wege und mein Vertrauen in das Geliebt-Sein wurde erschüttert, bevor es sich aufbauen konnte. Warum hast Du das getan?

      Keine Geschwister auf der Welt hatten sich so lieb wie wir. Warum hast Du mich nicht Kind sein lassen? Warum wolltest Du mir Deine „erwachsenen“ Gedanken und Gefühle aufdrängen? Warum musstest Du Dir beweisen, dass Du funktionierst? Warum hast Du MICH „geliebt?“

      Mein natürlicher Glaube wurde mir durch Dich genommen. Meine Unschuld wurde mir durch Dich genommen. Aber durch Dich lernte ich auch, mich zu absentieren. Durch Dich lernte ich, später Aidans Folter zu widerstehen. Aber... was wäre gewesen, wenn Du mir nicht das Erwachsenwerden genommen hättest?

      Wäre Aidan dann gewesen?

      Wäre mein Sohn dann gewesen?

      So weiß ich also nicht, was gut oder was schlecht war. Und ich weiß es heute noch nicht.

      Ich liebe Dich immer noch, aber ich habe Distanz zu Dir. Es fällt mir schwer, Dir in die Augen zu sehen. Liebe ich Dich noch? Ich weiß es wirklich nicht. Aber Du bist mein Bruder.

      Dein Schwesterlein,

      Deine Luna

      1 Dezember 2007

      „Vielleicht besteht die Liebe darin, dass ich dich sanft und liebevoll zu Dir selbst zurückführe.“ Antoine de Saint-Éxupery

      Luna ist müde. Müde von allem, müde vom Reden müssen, müde vom Denken müssen. Will sie Erkenntnisse gewinnen? Hat sie noch die Kraft dazu? Sie legt ihren Kopf ganz vorsichtig auf die Tischplatte vor ihr, fühlt die Kühle des Holzes und verdammt sie. Die Kühle. So gerne möchte sie reflektieren, analysieren, sich selbst verstehen. Aber ihre Seele lässt es nicht zu. Sie ist traurig um die Menschen, die ihr genau dies ermöglichen wollen, traurig darum, dass sie nicht weiß, wie es weitergehen soll. Denn Luna selber hat keine Idee, kein Empfinden, kein Tor zu ihrer Seele, das sich im Moment von ihr öffnen ließe.

      Immer, immer hat sie sich selbst hinterfragt, hat andere einbezogen in ihre Gedanken, hat, wenn auch insgeheim, versucht, alles, was sie empfängt, auf einen Nenner zu bringen. Hat versucht, Dinge für sich zu ordnen, zu strukturieren, zu hinterfragen. Aber jetzt ist der Moment gekommen, in dem sie nicht mehr weiß, was sie tun soll. Denn sie hat Angst, Glück zu empfinden, hat Angst, Gefühle zu haben, Angst zu verlieren, Angst zu gewinnen. Warum sie immer eines von beidem haben muss, das fragt sie sich nicht. Denn sie ist es gewöhnt, dass Dinge den Weg gehen, den sie sich vorgestellt hat. Jetzt ist sie an einem Punkt angelangt, an dem sie nicht mehr weiß, ob sie will oder kann. Ob sie leben will oder nur leben kann. Für wen es einen Sinn hat. Denn für sie hat es schon lange keinen Sinn mehr.

      Januar 2008

      Und Wochen später ist Luna immer noch müde. Sie schlägt die offene Handkante auf die Kante ihres Schreibtisches. So lange bis es schmerzt. Obwohl es lange dauert bis sie den Schmerz spürt.

      Denn alles in ihr verwehrt sich dagegen. Sie meint zu wissen, dass es ihre Schuld ist, dass sie diesen Schmerz spürt. Sie kennt keine Liebe, keine wahre Sehnsucht. Nur dieses Unerfüllte, Strebende in ihr. Und sie meint auch zu wissen, dass es dafür keine Lösung gibt. Kein Ende. Nichts, was ihre schmerzende, jetzt schwellende Hand rechtfertigen würde. Und sie tut es weiter, denn je mehr sie schlägt, desto unfühlbarer wird der körperliche Schmerz. Er hinterlässt nur ein dumpfes Gefühl, wie es auch in ihrer Seele vorherrscht. Es ist ein dumpfer, anhaltender Schmerz, der irgendwann nicht mehr nach außen dringt. Und er ist nicht mehr beherrschbar, denn wenn er das wäre, wäre er fühlbar.

      Es ist eine Welt, wie es viele andere Welten in ihr waren oder noch immer sind. Erst stechend, dann dumpf. Erst erlebbar, dann kaum noch fühlbar. Und nicht wirklich erwünscht, eher ersehnt um darüber liegendes abzutöten. Ob es gelingt, kann Luna nicht sagen. Kann sie nicht fühlen.

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