Schwester des Mondes - Teil meines Lebens. Sorella Di Luna
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Meine liebe Luna,
lasse uns bitte daran arbeiten, dass Du das nicht mehr in Dir verscharren musst, sondern dass Du Deinen Kopf wieder frei nach oben recken kannst, Deine Flügel ausbreiten und Du im unbeschwerten Flug über den Abgrund gleiten kannst. Lasse Dich zurückführen zu Dir selbst, besinne Dich auf Dich, werde wieder Du!
Ich werde Dich gerne dabei begleiten, mit Dir fliegen und Dich dabei auffangen, wenn Deine Flügel einmal lahmen sollten und ich werde Dich erden, falls Du den Boden unter den Füßen verlieren solltest …
Dein Giorgio
2 Mama
„Ich sah die Sitten meiner Zeit und schrieb diese Briefe.“
Jean Jacques Rousseau Noch Januar 2008
Lunas Tagebuch – Sonntag, 13. Januar 2008
„Um zehn Uhr bin ich aufgewacht. Nachdem ich drei Nächte sturzbetrunken war, habe ich mir vorgenommen, diesen Sonntag einfach das zu machen, was ich früher immer gemacht habe. Ganz normale Sachen. Habe dann doch noch zwei Stunden im Bett gelegen, um immer wieder das Gesicht meiner Therapeutin auftauchen zu sehen und meine Mutlosigkeit zu spüren: was nur soll ich ihr am Dienstag sagen...wieder nur Frust geschoben? Wieder alles für den Arsch? Zeit, für diese Verfehlung mit dem Skalpell eine „Markierung“ auf den Arm zu setzen. Pflaster und Verband geben mir ein gutes Gefühl, lassen mich etwas Besonderes sein. Giorgios Mails schwirren mir ständig im Kopf herum. Wieso bin ich so getroffen, so frustriert, wieso Magenschmerzen und Extrasystolen? Im Moment kann ich nicht weiter darüber nachdenken... es macht mich völlig konfus.
Eben habe ich gedacht, ob ich es heute eventuell mal schaffe, keinen Alkohol zu trinken. Während ich darüber nachgedacht habe, griff ich automatisch zur Cognacflasche... Und es ist verdammt schwer, das alles vor meinem Lebensgefährten geheim zu halten...
Vor dem Essen: der Griff zum Skalpell, geht nicht anders, hatte beim Joggen eben einen Riesendruck auf der Brust, hyperventiliert, Extrasystolen... So eine Scheiße.
Wollte einen normalen Tag probieren zu leben...und jetzt stelle ich eigentlich nur fest, dass ich total emotionslos bin, den ganzen Tag war! Bin über Sonnenstrahlen gelaufen und habe sie nicht registriert, bin abgedriftet in eine Disso, einige Zeit fehlt in meinem Gehirn! Alles ist eigentlich nur dunkel. So, Du blödes Tagebuch, hab länger nichts geschrieben, und das war kein ehrbarer Anfang...“
Giorgios Mail:
„Nun, kleines Luna Mädel,
Dein blödes Tagebuch antwortet Dir jetzt.
Wenn Dir Giorgios Mails im Kopf herumschwirren, dann stelle ihm Fragen dazu! Ist doch die einfachste Lösung. Oder hat er Dir jemals nicht geantwortet, Dir erklärt, was er meinte? Eine Mail sind einige dürftige Zeilen, birgt viele Missverständnisse, warum also schüchtern sein? Frage einfach dreist drauf los!“
Luna legt den Kopf auf ihre Arme und weint.
So gerne möchte sie dreist drauflos fragen. Und Antworten bekommen. Sie weiß nicht, warum sie gerade bei Giorgio denkt, er könne ihre Fragen beantworten. Sie kennt ihn doch erst ein paar Wochen. Eine zufällige Bekanntschaft aus einem Forum für Menschen mit Angststörungen und Psychosen.Vielleicht ist es ein Verrückter, einer, der die Foren durchsucht und „Kontakte“ sucht!
Nur liest sie aus den wenigen Zeilen, die Giorgio und sie gewechselt haben, mehr als das. Sie hat Angst, weil sie nicht weiß, ob sie das sehen möchte. Sie denkt zurück an den Tag im Februar vor zwei Jahren, als ihre Mutter gestorben ist. Und fühlt sich auf einmal schrecklich allein und hilflos.
Giorgios Mail:
„Auch wenn Du den Punkt bisher immer ignoriert hast - im Verhältnis zu Deiner Mutter liegt ein wichtiger Ansatzpunkt für Deine Probleme. Du hast sie geliebt, das habe ich bisher aus all Deinen Äußerungen gespürt. Du hast ihre Autorität, ihre Cleverness und damit die Geborgenheit, die sie vermittelt hat, gebraucht. Gleichzeitig musstest Du ihr etwas verheimlichen, weil Du ihr auf keinen Fall wehtun wolltest!
Vorschlag: Rede doch jetzt mit ihr - über Dein Tagebuch. Schreibe es Dir von der Seele!“
Luna weiß, sie hat nichts zu verlieren. Soll doch ein Fremder ihre Seele betrachten. Etwas von ihr erfahren. Sie ist zu verzweifelt, um Vorsicht walten zu lassen. Es gibt Dinge, die sie ihrer Mutter noch sagen möchte.
Lunas Mail:
„Liebe Mama, Du weißt, ich konnte nie reden, habe immer alles geschrieben. So viele Zettel, die ich unter der Wohnzimmertür durch geschoben habe. So auch jetzt. Ich weiß, dass Deine Familie und vor allem auch ich und mein Sohn, Dir unendlich viel bedeutet haben. Du warst unbeugsam für mich, bis zum letzten Tag unverletzlich. Dabei hast Du so ein schweres Leben gehabt. Deine eigene Mutter hat sich kurz vor Deiner Hochzeit umgebracht. Sie war krank. Depressiv. So wie Du. So wie ich. Du hast Dich immer in Dinge hinein fallen lassen können mit all Deinen Emotionen. Du warst fähig, sowohl intensive Trauer, als auch explodierende Begeisterung und Freude zu zeigen. Ich empfinde das auch, nur kann ich meine Emotionen nicht äußern. Du hast es auch uns Kindern nicht leicht gemacht. Trotzdem, eine Welt ohne Dich ist schwer vorstellbar. Wie unendlich Leid tut es mir und wie sehr hasse ich mich dafür, dass ich nicht weinen kann. Ich will nicht groß und verantwortungsvoll sein, ich will ein Kind sein dürfen, schutzbedürftig sein. Ich kann all die Verantwortung nicht mehr tragen.
Ich hab Dich so lieb! Du wusstest ja nichts von dem, was zwischen mir und meinem Bruder vorging. Es war so schwer, es Dir zu verheimlichen, aber Deine Welt wäre zusammengebrochen...“
Als Luna diese Zeilen schreibt, muss sie vor der Macht der Erinnerung aufstöhnen. Es schmerzt so tief in ihr. Und sie erinnert sich voller Schrecken an ein Szenario von damals:
Wiederum ist sie nackt. Sie liegt wieder auf dieser Matratze. Es ist einige Monate nach dem „ersten Mal“. Sie erfährt, nein, sie bekommt beigebracht, was Onanie bedeutet. Sie kann es absolut nicht genießen, fühlt sich unsicher, abgestoßen. Es ist etwas Dreckiges, was hier geschieht. Sie kann es in keinen Zusammenhang mit Liebe bringen. Obwohl sie gerade aus Liebe all dieses über sich ergehen lässt.
Als er sie oral befriedigen möchte, fühlt sie einen Ekel, es ist widerwärtig. Wenn sie heute daran