Schwester des Mondes - Teil meines Lebens. Sorella Di Luna

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Schwester des Mondes - Teil meines Lebens - Sorella Di Luna

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Ich werfe nach und nach alles weg. Ich habe manchmal sogar Angst um meine Arbeit. Der Weg nach unten erscheint mir mit jedem Tag ein Stückchen kürzer. Und der Abgrund größer und näher. Es liegt gar eine Bildhaftigkeit darin, die ich mir immer wieder vor Augen führen muss. Weil es erschreckend nah ist. Und weil es eine Art Anziehungskraft besitzt. Diese mir als lebenswichtig erscheinende Entscheidung werde ich nicht alleine treffen können. Ich weiß noch nicht einmal, ob ich diese Entscheidung mit Deiner Hilfe treffen kann! Die Menschen werden mir immer fremder. Mein Vater ist so weit weg. Mein Lebensgefährte wird immer kleiner, unsichtbarer. Ich sehe nur noch mich. Und es gefällt mir nicht. Irgendetwas, irgendjemand Fremdes steckt in mir drin. Ich bekomme es nicht heraus. Obwohl es immer fordernder wird, das Fremde. Ich möchte morgens nicht mehr aufwachen, weil ich weiß, dass es da ist und mich niederdrückt. Mir die Muskeln schmerzen lässt und die Sicht trübt. Und meinen Kopf verwirrt. Jetzt weiß ich, wie sich ein verfallender Körper anfühlt. Viele Menschen verlassen mich und ich lasse sie gehen, trotzig, bockig, uneinsichtig. Gleich habe ich Probe, die Vorstellung, eine Gitarre zu spielen, zu singen, ist wie eine Qual für mich. Wo nur ist meine Musik geblieben? Das, was mich ein Leben lang beseelt hat? Das, was mir aus den Abgründen geholfen hat? Das, was mich leben ließ? Die Musik hat mich verlassen!

       Und eben das, was ich hier gerade tue, Abladen, seelischen Schrott abladen und auch noch erwarten, dafür Zuwendung zu bekommen, DAS ist krank!

       Ich umarme Dich, vorsichtig, zweifelnd, ängstlich und dankbar.“

       Giorgios Antwort:

      „Liebe Luna,

       ich möchte nicht insistieren, aber ich denke Du erinnerst Dich noch, dass ich ganz am Anfang unserer Konversation im Zusammenhang mit Deiner Therapie geschrieben habe „warte bitte nicht so lange bis Du nicht mehr kannst, warte nicht, bis Du auch noch Probleme auf der Arbeitsstelle bekommst.“

       Du hast erkannt, dass Du vieles wegwirfst, oder genauer von Dir wegschiebst, auf die lange Bank, Lösung irgendwann, nur nicht jetzt!

       Liebe Luna, das ist doch weit weg von Deinem Stil! Der Abgrund, den Du ansprichst, würde Dich doch als Mensch auslöschen. Du willst doch nicht im Delirium enden, nein, das nehme ich Dir nicht ab! Du sagst, Du kannst die Entscheidung nicht alleine treffen, nochmals klar: Bitte suche sofort einen Psychiater auf! Du kommst sonst nicht aus dem Sumpf heraus, auch wenn Du das bisher allein versucht hast, aber jetzt aufgeben willst. Unsere, meine Unterstützung wirst Du dabei immer bekommen.

       Liebe Luna, eine Seele enthält nie Schrott, sie birgt das Leben, die Gefühle, die Emotionen in sich. Deswegen gibt es da kein „Abladen“, es gibt nur ein Öffnen. Bitte bewahre Dir Deine Seele!

       Liebe Luna, ich drücke Dich ganz fest, Du bist in meinen, in unseren Gedanken und ich sende Dir meine Zuneigung.“

      Luna wagt sich hinunter. Ins Erdgeschoss. An ihrer Arbeitsstelle. Wo ein Großteil ihrer Mitarbeiter sitzt. Es gibt Mitarbeiter, mit denen sie sich besonders gut versteht. Welche, die Tiefe haben und sie verstehen möchten. Sie weiß, dass sie als Vorgesetzte ein Beispiel abgeben muss. Sie tut es, soweit es in ihrer Macht steht. Kämpft wie ein Löwe für die persönlichen Belange ihrer Mitarbeiter, weil sie ihr am Herzen liegen. Fachliche Dinge weiß sie zu delegieren. Sie kennt die Stärken und Schwächen von allen. Kennt das Mitteilungsbedürfnis, die kulturellen Abgründe und Differenzen untereinander. Und liebt es, wenn sie merkt, dass ihre Empathie auch die multi-kulturellen Ansprüche irgendwo erfüllen kann. Denn sie liebt Menschen. Menschen aller Facon. Menschen, die Luna selber nicht als übergeordnet, sondern als gleichwertig betrachtet und entsprechend reagiert. Menschen, die ihr Paroli bieten, mit ihr diskutieren und ihr auch ihre Fehler darstellen können. Sie trägt Tag für Tag ihren seelischen Ballast mit sich herum. Sie lässt ihn nie sichtbar werden, weiß aber, dass auch sie selber „gute“ und „schlechte“ Tage hat.

      „Suche sofort einen Psychiater auf!“ hallt es in ihrem Kopf nach. Und sie fragt sich, warum. Ist sie es, die falsch tickt? Ist sie es, die die Fehler macht? Sie, die andere davor bewahren möchte? Sie möchte sich ihre Seele bewahren und weiß nicht, wie es geht. Sie sieht die Seele der anderen, wahrt sie, respektiert sie und kann sich dabei selbst nicht vor dem Missbrauch der Seele schützen. Wie jeden Tag raucht sie eine Zigarette, trinkt einen für sie extra frisch aufgebrühten Kaffee und ist dankbar dafür. Und weiß, dass sie ihre Dankbarkeit nicht zeigen kann.

      Die erste Zigarette, die sie draußen vor der Tür raucht, schlägt ihr auf den Kreislauf, sie drückt sie aus, taumelt, die Lippen kribbeln.

      Sie strafft ihren Körper und geht wieder hinein. Versucht, gerade zu gehen. Mit all dem Restalkohol, der Zigarette und all der Unsicherheit in ihr. Ein Mitarbeiter den sie sehr mag, spricht sie an. Er teilt ihren Humor, ist scharfzüngig und schlagfertig. Sie fühlt sich in dem Moment außerstande, eine fruchtbare Diskussion zu führen und redet sich heraus. Es klingt in ihren Ohren banal und abgegriffen. Aber sie weiß sich sonst nicht zu helfen. Wandert weiter in den nächsten Raum, wo diese Mitarbeiter sitzen, denen sie hundertprozentig vertraut. Ein wenig kann sie sich dort hängen lassen, ein wenig den Frust herauslassen. Den oberflächlichen Frust. Es wirkt für einige Minuten in ihr nach und gibt ihr ein Gefühl der Sicherheit, des Wichtig-Seins. Gibt ihr einen Moment der Akzeptanz. Als sie ihre Kaffeetasse geleert hat, geht sie zu den Aufzügen und drückt die vier. Wie immer, jeden Tag gegen 14:15 Uhr. Noch ungefähr anderthalb Stunden bis zum Arbeitsende. Sie verlässt den Aufzug in der vierten Etage, wendet sich nach links und betritt ihren Arbeitstrakt. Sie liebt ihre Arbeit, das Manuelle, die Kreativität, die Menschen. Aber heute ist alles grau. Heute, so wie oft in letzter Zeit. Luna sieht sich außerstande, etwas zustande zu bringen und starrt auf ihren Bildschirm, auf dem nichts erscheint. Nur das Warten macht es für sie aus, das Warten auf Nachrichten der ihr wichtigen Menschen. Denn daran knüpft sie ihren Lebensfaden. Ihr Überleben.

      Rauf und runter. Oben und wieder ganz unten. Ausbluten, wie ein Schwein auf der Schlachtbank. Dieses ätzende Gefühl von Neid, Missgunst, Eifersucht, Wut, Angst. Und ein Blitzen dieses Gefühls, dass man beschützt werden möchte, behütet, umsorgt. Und dass einem Glauben geschenkt wird. Auf und ab, im Stundentakt. Luna hat eine Euphorie in sich, die sie verwirrt. Sie muss schreiben, muss es loswerden.

       An Giorgio:

       Ihr lieben, lieben Menschen,

       ich empfinde es als Geschenk, in der Beziehung zu Euch beschützen zu dürfen und beschützt zu werden. Es ist, wie so vieles, eine ambivalente Sache. Es ist für mich nicht nur unbegreiflich, sondern auch vielsagend, wie solch eine Beziehung zustande kommt. Ich bin ein dummes, kleines, sehnsüchtiges Kind. Und immer habe ich Zweifel. Und jetzt fühle ich mich behütet und aufgehoben, trotz aller Entfernung. Es ist etwas, was ich bisher nicht erfahren habe und es ist ein ungewohntes, unglaubliches Gefühl. Es gibt keine Gedanken, keinen Dank, keine Worte. Es gibt keine Geste, keine Tat, die das, was ihr für mich bedeutet, wettmachen könnte. Ich bete für dieses Geschenk der Menschlichkeit und gerade in diesem Moment bin ich auf Knien um - wem auch immer - für Eure Existenz zu danken. Warum es so ist, wie es ist, weiß ich nicht. Wage auch nicht, zu hinterfragen. Aber ich sehe mich verdammt noch mal außerstande, es anders zu sagen, als ich es hier getan habe. Von ganzem Herzen wünsche ich Euch alles Glück dieser Welt. Ich werde immer bei Euch sein. Immer.

      5 Stammtisch

      „Wir geben uns zu wenig Rechenschaft darüber, wie viel Enttäuschung wir anderen bereiten.“

      Heinrich Böll

      Februar 2008

      Es

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