Schwester des Mondes - Teil meines Lebens. Sorella Di Luna

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Schwester des Mondes - Teil meines Lebens - Sorella Di Luna

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dagegen. Wenn sie die Zuneigung hört, die Menschlichkeit, wenn sie die Möglichkeit von Sanftheit in sich verspürt, dann muss sie sich dagegen wehren. Denn sie ist es nicht wert, Liebe zu empfangen. Nicht wert, dass sie jemandem wichtig ist. Weil sie vieles in ihrem Leben falsch gemacht hat. Sie hat vieles zugelassen, was nicht hätte sein dürfen. Und sie erinnert sich, erinnert sich zurück an ihre Kindheit:

      „Nimm ihn in die Hand“, sagt er zu ihr, „er beißt nicht!“ Und sie kann sich kaum dazu überwinden und tut es trotzdem, weil sie ihm immer noch vertraut. Er gehört zu ihr, ist ihr Beschützer, jemand, der auch von ihr beschützt werden will, so fühlt sie das. Sie hält seinen Penis in der Hand, in völliger Unkenntnis. Weiß damit nichts anzufangen. Er zeigt ihr, was sie tun muss, wie sie ihre Hand bewegen muss. Der Lohn ist ein Stöhnen von ihm, was sie als schmerzlich und dreckig empfindet. Sie schafft es dieses erste Mal nicht, ihm Befriedigung zu verschaffen. Ihr Handgelenk schmerzt. Sie strengt sich an. „Das macht nichts“, sagt er, „das nächste Mal geht es besser.“ Ein nächstes Mal ist für sie unvorstellbar, aber sie nimmt es hin. Denn er ist doch immer noch ihr Bruder für sie, ein so wichtiger Mensch.

      Am nächsten Morgen fährt sie zur Arbeit. Wie immer. Es ist wieder ein schöner Tag. Ein sonniger, klarer Tag, der die Brücke über dem Fluss glänzen lässt. Heute fährt sie nicht zu schnell, sie gibt Vorrang, winkt freundlich und lächelt den LKW-Fahrer an, der verzweifelt versucht, die Spur zu wechseln. Sie fühlt sich gut, klar, geläutert. Alles, was sie an Sorgen hatte, scheint vergessen. Sie sieht die Schafherde auf den Flusswiesen und stellt sich vor, eines dieser kleinen, dunkelbraunen Lämmer könne sie mitnehmen, für den Garten. Um es lieb zu haben. Und um nur geben zu dürfen und nichts nehmen zu müssen. Sie biegt rechts ab, zu ihrer Arbeitsstätte und freut sich auf diesen Tag. Mit den Menschen, die ihr vertrauen, Menschen, die ihr wichtig sind. Sie startet in den Tag mit einem Kaffee, den ihre Arbeitskollegin frisch gemahlen und gekocht hat und freut sich an der Menge der Arbeit, die auf sie zukommt. Bis zum späten Vormittag arbeitet sie ununterbrochen. Hat Freude daran, die Kunden zufrieden zu stellen, ein Lächeln für die erledigte Arbeit zu empfangen und sich eloquent und amüsant zu unterhalten. Mittags isst sie einen Salat, er wird ihr gut tun, denn er wird dem geschundenen Körper ein paar Vitamine zuführen. Gegen halb drei Uhr nachmittags kommt der plötzliche Absturz. Sie fängt an, am ganzen Körper zu zittern. Kann nicht sprechen, verhaspelt sich und sucht die richtigen Worte. Sie denkt an die Zigaretten, die sie raucht und an einen möglichen Schlaganfall. Die Angst hat sie im Griff und lässt sie nicht mehr gehen. Die Extrasystolen kommen und mit ihnen die Verzweiflung. Das Endzeit-Gefühl. Sie denkt an Entzugserscheinungen wegen des Alkohols, meint aber zu wissen, dass es nicht so ist. Sie hat Angst, Treppen zu laufen, weil sie sich an einen Traum erinnert:

      Sie geht die Treppe hinab, stolpert und fällt, fällt endlos. Hände strecken sich nach ihr aus, helfende Hände. Aber sie greifen ins Leere. Und sie fällt bis zum Ende der Treppe und schlägt mit dem Kopf an der Wand auf. Sie hört das Brechen der Schädelknochen, fühlt die Wärme des Blutes und die kommende Ohnmacht.

      Sie steht immer noch am Fuße der Treppe und wagt sich nun hinunter, mit der Hand am Geländer, Schritt für Schritt. Sie taumelt, der Kreislauf reagiert empfindlich auf die erste Zigarette, die sie im Treppenhaus geraucht hat. Sonst tut sie das nicht. Sie raucht normalerweise eine zusammen mit den Kollegen, gegen 13:30. Draußen. Heute ist es anders. Sie zieht sich am Geländer hoch, mit dem Gedanken an die noch kommenden Stunden. Sie strafft ihren Körper, hebt den Kopf und schreitet hinein ins Büro. Nichts ist an ihr anders, keiner darf es merken. Dass sie eigentlich nicht mehr kann. Dass die Angst sie beherrscht. Die Angst vor so Vielem. Vor Tod, Verlust, Zerstörung, Realitätsverlust. Heute ist es das erste Mal, dass Luna darüber nachdenkt, etwas gegen ihre Ängste zu tun. Etwas zu tun gegen ihren Selbstverletzungswillen, gegen die Suizidgedanken, gegen die Lebensangst.

      Heute spürt sie ganz intensiv, dass da noch jemand in ihr ist. Sie ist die große Luna, sie delegiert, ist verantwortungsvoll, pflichtbewusst, verlässlich. Sie meistert ihr Leben. Und da ist die kleine Luna, sie nennt sie Lunetta. Kommt von ihr das Flüstern, das sie manchmal hört? Lunetta ist der schöpferische Quell, sie ist schutzbedürftig, aber sicher in ihrem Sein. Die beiden unterhalten sich manchmal. Luna weiß nicht, ob sie in Konkurrenz stehen, oder sich ergänzen. Zu oft verspürt sie diese Ambivalenz, die Änderung ihres körperlichen Ausdrucks, die Art, zu schreiben oder sich zu geben. Sogar die Art, zu reden. Und die Dissoziationen, das „Abschalten“, die minuten- bis stundenlangen „Ausfälle“, wenn sie nicht mehr weiß, was sie getan hat. Ob sie überhaupt etwas getan hat.

       An Giorgio:

       Verloren nicht nur in der Zeit, obwohl man meinen möge, sie hält die Welt in ihrer Achse, Verloren nicht nur im Hier und Jetzt, obwohl Lunetta arge Orientierungsschwierigkeiten hat, Verloren nicht nur auf dem Wege zum Tod, weil Luna den effektivsten Weg noch finden muss, Verloren nicht nur in der Vergangenheit, obwohl sie der großen und der kleinen Luna Rettung ist.

       Verloren in mir und meinen Gefühlen zu anderen, in meiner Obsession, Menschen spüren zu wollen und nicht zu können, Verloren in der Wärme, Zuneigung, Zuwendung anderer Menschen ohne diese annehmen zu können, Verloren in der alles umfassenden Angst, Menschen, die man liebt, nicht halten zu können, Verloren in jeder Geste, jedem Wort, in jeder Unterschwelligkeit, in jedem Versuch, sich anzuvertrauen.

       Denn was zu viel ist, ist zu viel. So viele Versprechen, die Luna hält, um´s Verrecken hält, und so viele fehlgeleitete Gedanken, die Luna nicht fassen kann und doch unter Verschluss hält, so viele Wünsche, Forderungen, Bedürfnisse, Begierden, die nicht nach außen drängen dürfen.

       Die große Luna und die kleine Lunetta werden sie eines Tages sammeln und sie alle zusammen vernichten. Damit Ruhe herrscht. Aber erst müssen die beiden sich finden, hat Giorgio gesagt! Und so langsam kann ich sie beide von außen betrachten, beide sind da, be- und verurteilen mich, halten die Balance, oder drängen in die eine oder andere Richtung.

       Ich fasse sie beide an der Hand! Eine rechts, eine links und nehme sie mit. Ich, die ich in der Mitte stehe und noch keinen Namen habe!

       Meine Seele, die nicht ist, ist wertvoll. Für mich nicht. Für andere. Ich schenke sie Euch. Allen. Lunas Seele hat einen Freiflug, einen ewigen Freiflug gewonnen.

       Arrivederci Seele!“

      Luna schreibt diese Zeilen spät abends. Sie ist müde und angeschlagen von der halben Flasche Cognac, die sie im Laufe des Abends getrunken hat. Die Euphorie ist dahin, was bleibt ist die unhaltbare Sehnsucht nach dem Tod, nach dem Ende der Quälerei, des Ungewissen. Und sie möchte, dass das angstvolle Warten ein Ende hat. So angstvoll, wie sie auch in ihrer Kindheit gewartet hat, wenn sie in ihrem Kinderzimmer im Bett lag und nie wusste, ob sich heute Abend noch die Tür öffnen würde.

      Und der Schlag im Magen, der Druck auf ihrer Brust, wenn sie sich dann wirklich öffnete und er hereinkam. Und immer hat sie sich bereitwillig ausgezogen, sich ausziehen lassen, streckte und räkelte sich vor ihm, ließ ihn seinen, für sie schweren Körper, auf ihr arbeiten oder auch ruhen.

      „Ist das schön?“ fragt er. Sie bejaht, denn sie weiß, dass ihn diese Antwort stolz macht. Sie weiß, dass es für ihn wichtig ist. Aber in ihr zieht sich alles zusammen, sie spürt wieder den säuerlichen Geschmack in ihrem Mund, die Vorboten der Übelkeit.

      Und oft musste sie diese Dinge tun, ihn befriedigen, ihn sie berühren lassen, sie erforschen lassen, während sie angestrengt und voller Angst auf jedes Geräusch außerhalb ihres Zimmers lauschte. Was, wenn die Eltern es hören würden? Es gar sehen würden? Wenn sie früher als sonst nach Hause kämen? Die Schande und Scham wären unvorstellbar…

      Denn

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