Schwester des Mondes - Teil meines Lebens. Sorella Di Luna
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Schwester des Mondes - Teil meines Lebens - Sorella Di Luna страница 8
Ach Mama, wo warst Du nur...
Giorgios Antwort:
„Antwort von Deiner Mama:
Liebe Luna,
ja, es hat mich oft geschmerzt, dass Du mich aus Deiner Seele ausgeschlossen hast, nicht mit mir geredet hast, immer nur alles mit Dir selbst ausmachen wolltest. Das war schlimm für mich, aber was sollte ich machen? Ich habe Dich immer geliebt, denn Du bist mein Kind, also ist meine Liebe bedingungslos und so wird es bleiben.
Ja, ich habe es meinen Kindern nicht immer leicht gemacht, aber ich habe Euch immer geliebt (und das bedeutet leider auch immer mal wieder Schmerzen bereiten – auf beiden Seiten.) Nun, ich habe versucht, Dich an Deinen Sohn heranzuführen, Deine Liebe zu ihm auch offen zu zeigen und ich bin zufrieden, dass mir das gelungen ist. Das war schön für mich und hat mich glücklich gemacht.
Eine Welt ohne mich gibt es nicht, hast Du das nicht gespürt, als Du jetzt die Kerzen für mich angezündet hast?
Ich würde mir wünschen, ich könnte Dich noch immer wie ein schutzbedürftiges Kind durchs Leben führen, aber willst Du das wirklich? Nimm die Hilfe an, die Du bekommen kannst, suche Dir neue, aber bitte lass Dich nicht fallen!
Du hast alle Kraft, die auch ich hatte. Fehlen tut ihr mir alle, aber ich danke Gott jeden Tag für die Zeit, die ich mit Euch verbracht habe.
Und wenn Du mir etwas verheimlicht hast: Das tut mir leid, dass Du Deine Seele so belastet hast, aber für mich zählt immer nur das Eine: Du liebst mich und was will ich mehr?“
Als Luna diese Zeilen von Giorgio liest, schauert es sie. Wie gut hat er den Ton getroffen. Wie konnte er all das in ihr sehen? Wie kann es sein, dass sie das Gefühl hatte, es wäre wirklich ihre Mutter, die zu ihr spricht?
Sie hat Angst vor dem, was Giorgio sehen kann und Angst vor dem, was in ihr ist. Sie greift automatisch nach dem Wodka und trinkt. Trinkt, und kann nicht mehr aufhören. Sie möchte nicht vergessen, nein sie möchte fühlen!
Sie möchte herausfinden, was Trauer bedeutet. Sie will wissen, was Lust am Leben ist. Sie findet in sich nichts mehr als ein leeres Gefühl. Die ersten Gläser bringen Euphorie. Sie kann das, sie steht das durch, die Erinnerungen schrecken sie nicht mehr. Viele Gläser später findet Luna sich im Badezimmer wieder, mit dem Skalpell in der Hand und einem Tuch voller Blut. Sie spürt keinen Schmerz mehr.
Am Tag danach fühlt sie zum ersten Mal bewusst, dass es jemanden in ihr gibt. Jemanden, der nicht die erwachsene Luna ist, jemand, der ein Kind ist. Sie fühlt sich zwiespältig, kann nicht adäquat reagieren, nicht vernünftig agieren. Es scheint sie zu zerreißen, die Ambivalenz der Gefühle, des Empfindens.
Sie hört nach vielen, vielen Jahren wieder das Flüstern. Nur kurz, wie zufällig, wie im Vorbeigehen, aber sie hört es. Und weiß, dass ihre unsichtbaren Freunde, die sie als Kind hatte, nicht mehr weit von ihr sind. Sie möchte sie gerne besuchen, scheut aber davor zurück. Noch ist der Weg ihr zu weit. Noch kann sie klare Gedanken fassen. Noch ist der Zeitpunkt nicht da.
Sie fühlt sich ihrer toten Mutter gegenüber beschämt. Trotz steigt in ihr auf, wenn sie daran denkt, was sie ihr alles verheimlicht hat. Und dass sie heute noch die Schuld bei sich selber sucht. Weil sie es zugelassen hat. Das Stöhnen, das Bewegen, das Streicheln, das Küssen, die Perversionen, die Unterwürfigkeit.
Giorgio schreibt:
Liebe Luna,
diese Schuldgefühle sind die Folge Deiner traumatischen Belastungen, die Du so lange versucht hast alleine zu tragen. Das ist aber unmöglich, ja es ist unmenschlich…
Du brauchst professionelle Hilfe, um wieder zu Dir selbst zu finden, Dich selbst wieder lieben zu können. Ich werde Dich dabei begleiten, Dir zur Seite stehen!
Dein Giorgio
3 Verloren
„In jedem Augenblick entscheidest du dich für dich selbst, aber entscheidest du dich auch für dein Selbst? Körper und Seele enthalten tausend Möglichkeiten, aus denen du viele „Ichs“ aufbauen kannst. Aber nur eines von ihnen befindet sich in Übereinstimmung mit dem, der sich dafür entscheidet, und dieses eine wirst du niemals finden, wenn du nicht alle jene oberflächlichen Gefühle und Möglichkeiten des Seins und des Handelns ausschließt, mit denen du aus Neugier, Abenteuerlust oder Gier spielst und die dich daran hindern, Anker zu werfen in dem Erlebnis des Mysteriums des Lebens und in dem Bewusstsein des dir anvertrauten Talents und in dem Wunder deines Selbst, das dein wahres „Ich“ ist.“
Dag Hammarskjöld
Lunas Tagebuch, Dienstag, 20. August 1985 (Luna ist 17)
Leere! Passivität. Dominanz von Heuchelei und Lügen, völlige geistige Stagnation. Phantasien, die meine kühnsten Träume nicht hergeben wollen, verschiedene Sphären eines Traumes, von bizarrer Realität. Hoffnungslosigkeit, Aufgabewillen, Zukunftsangst, Selbstmordgedanken, Abdriften. Aus mir heraus um mich anzuschauen. Wo lebe ich? Traumwelt? Apathie. Scheinwelt? Ein Traum, den ich selber inszeniere? Ist mein Tod dann das Erwachen des Träumenden von eben diesem Traum, in dem ich der Protagonist bin? BIN ich also gar nicht? „Cogito ergo sum“ besitzt hier keine Relevanz! Woher weiß ich, daß diese Personen, die meine Träume begleiten, genauso denken wie ich???
Ich träume. Ich BIN ein Traum. Mein Tod ist Erwachen und Untergang gleichzeitig. Was geschieht mit einer Traumfigur? Sie verschwindet beim Erwachen, ist aber weiterhin in der Vorstellungskraft existent. Sie ist unnahbar, unangreifbar, unhörbar und trotzdem existiert sie. Ich habe Angst.
ICH HABE ANGST!!
Damals hätte Luna ihr Leben gegeben für Schutzengel wie Giorgio und Gitty. Ihre Situation hat sich nur ein wenig verlagert. Aber Verzweiflung und Dunkelheit sind geblieben. Luna liest sich durch ihre alten Tagebücher und ihr wird übel. Vor lauter Angst und Sorge um sich selbst. Das, was sie geschrieben hat, ist geblieben – es ist nur noch viel mehr dazu gekommen.
Luna erhebt sich mit Mühe von ihrem Stuhl, wendet den Blick ab vom Monitor in den Garten hinaus. Sie öffnet die Balkontür und zündet sich eine Zigarette an. Sie raucht nicht im Haus. Die Sonne wirft goldene Strahlen über den Rasen, zerteilt sich zwischen den Ästen hindurch. Sie sieht es, kann es beschreiben, aber nicht fühlen. Also geht sie wieder hinein und gießt sich einen Wodka-Orange ein. Sie kippt ihn hinunter und lässt einen zweiten folgen. Jetzt merkt sie den Alkohol in ihrem Magen. Er macht ein warmes Gefühl. Ein dritter Wodka. Sie geht wieder hinaus, zündet sich noch eine Zigarette an. Sie registriert die Sonne in den Bäumen, aber sieht die Bäume nicht. Sie registriert das Grün der Koniferen, aber sie sieht den Garten nicht wirklich. Sie weiß, dass der Alkohol ihr die falsche Wahrnehmung beschert. Aber sie ist auch nicht bereit, etwas daran zu ändern. Das Telefon klingelt. Endlos. Sie geht nicht dran. Es klingelt wieder. Sie möchte mit niemandem reden. Denn wer immer am anderen Ende ist könnte ihr sagen, dass es nicht gut ist, was sie tut. Dass Alkohol keine Lösung ist. Sie weiß es selber und schüttet sich den vierten Wodka ein.